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Was es mit der «Quälspange» in Netstal auf sich hat – oder warum jeder einen Grund fürs Autofahren findet

Sebastian
Dürst
07.12.23 - 04:30 Uhr
Mobilität
Kommentar
Stau mit Tradition: Schon im Dezember 2014 staute sich der Feierabendverkehr dort, wo heute der Kreisel zur Querspange steht.
Stau mit Tradition: Schon im Dezember 2014 staute sich der Feierabendverkehr dort, wo heute der Kreisel zur Querspange steht.
Bild Sasi Subramaniam

Man kann die vor Wut schäumenden Autofahrerinnen und Autofahrer verstehen, die sich mit einer Petition an den Kanton wenden: Wenn sich die Pendelzeit je nach Wohnort vom einen auf den anderen Tag verdoppelt, macht das keinen Spass. Und wenn man die Verdoppelung der Pendelzeit sogar an einer neu eröffneten Strasse festmachen kann, ist der Schuldige natürlich schnell gefunden. Es ehrt Initiant Manuel Schwitter, dass er sich keine Lösung anmasst, sondern dass er ganz allgemein eine Reaktion des Kantons fordert. 

Baudirektor Kaspar Becker hat wohl beim Spatenstich für die Querspange im August 2022 eine Vorahnung gehabt. Er sagte damals: «Von 40’000 Einwohnern des Kantons Glarus sind 39’998 Verkehrsexperten. Nur zwei kommen nicht draus: Der Kantonsingenieur und der Baudirektor.» Und damit liegt er nicht ganz daneben. Seit der Stau-Eskalation bei der Querspange müssen Becker und seine Verwaltung harte Kritik einstecken. Das ist in Ordnung. Allerdings zeugen die Lösungsvorschläge, die sich auf der Petitions-Seite, in den sozialen Medien und an den Stammtischen finden, von wenig Bereitschaft, sich tatsächlich mit dem Problem zu beschäftigen. Ja, die meisten Kritiker machen sich nicht einmal die Mühe, sich über das Gesamtkonzept der neuen Strassen zu informieren oder über die Gründe, warum die Strasse aussieht wie jetzt. Und natürlich erinnert sich fast keiner an die Landsgemeinde-Entscheide, die zu diesem Strassenbau geführt haben. Bereits im Jahr 2010 hat die Landsgemeinde nämlich dem Bau von Stichstrasse und Querspange zugestimmt. Mehrmals hatte darauf auch der Landrat Druck gemacht, dass diese Verbindung schneller gebaut wird.

«Jetzt hast du grad ein wenig mit dir selber gesprochen», beschied mir ein Vorgesetzter in der Armee jeweils, wenn ich mich über etwas beschwerte, das ich selbst zu verantworten hatte.

Eigeninteresse zurückstellen

Die Geschichte der Querspange ist aber nur ein Drittel der Schuldzuweisung. Das zweite Drittel Schuld tragen diejenigen, die selbst im Stau stehen. Es ist das klassische Problem, wenn man zwischen objektiven und subjektiven Begründungen unterscheiden muss. Subjektiv hat jede Auto-Pendlerin und jeder Auto-Pendler einen guten Grund, warum er sich für das Auto, und nicht das Velo, den Bus oder den Zug entscheidet. Ich will mir auch nicht anmassen, diese Gründe zu bewerten. 

Fest steht aber, dass es aus objektiver Sichtweise durchaus Unterschiede in der Wichtigkeit der Begründungen für eine Autofahrt gibt. Und es ist wahrlich erwiesen, dass sich ein wesentlicher Teil der Fahrten sehr einfach vermeiden liesse. Nur bedingt das natürlich, dass jeder und jede den persönlichen Grund gegenüber dem Wohl der Gesamtheit der Pendler abwägt. Man muss kein Grüner sein, um das Auto auch mal stehen zu lassen. Man kann es auch machen, um dem Rest der Pendler freiere Fahrt zu ermöglichen. 

«Machen statt motzen», hat mir ein weiterer Vorgesetzter in der Armee jeweils beschieden, wenn ich lieber über eine unangenehme Aufgabe geflucht habe, statt sie zu erledigen.  

Verkehrsberuhigung fehlt

Das dritte Drittel der Schuld für das Querspangen-Chaos schliesslich kann durchaus dem Kanton angelastet werden. Ganz offensichtlich nutzen nämlich immer noch viele Autofahrer die Abkürzung via Stichstrasse und Flugplatz, was natürlich den neuen Kreisel belastet. Und auch die Mattstrasse in Netstal wird immer noch als Stau-Umfahrung genutzt, was weitere Abbiege-Manöver nötig macht. Nun ist es ja so, dass Pendlerinnen nicht blöd sind: Würde sich diese Umfahrung (zeitlich) so gar nicht lohnen, würde sie automatisch wegfallen. Darum reichen offensichtlich weder die Verkehrsberuhigungsmassnahmen in Netstal noch in Mollis aus, um die Wege unattraktiv genug zu machen. 

Und um auf die Petition der wütenden Pendler zurückzukommen: In dieser Situation stur auf seinem Recht zu beharren, wird die Situation sicher nicht entspannen. Denn dass die Situation im Moment unbefriedigend ist, dürfte allen klar sein. Und auch wenn es die Folgen von langfristigen Entscheiden sind, braucht es jetzt ein kurzfristiges Zeichen der Verantwortlichen. 

«Ist so, weil ist so», hat mir ein Vorgesetzter jeweils gesagt, wenn ich mich über systematische Fehler in der Armee genervt habe. Und das hat mich jedes Mal zum Schäumen gebracht.

Sebastian Dürst ist Redaktionsleiter der «Glarner Nachrichten». Er ist in Glarus geboren und aufgewachsen. Nach Lehr- und Wanderjahren mit Stationen in Fribourg, Adelboden und Basel arbeitet er seit 2015 wieder in der Heimat. Er hat Religionswissenschaft und Geschichte studiert. Mehr Infos

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Ein gewisser Ehrgeiz zur Problembewältigung seitens Staatsangestellten wäre jetzt angebracht... (für was auf eine Petition warten, HÄ?...)
Bei "privaten" Bauunternehmungen ist man stets und meistens der Innovation bremsend zur Stelle ). Es wäre jetzt an der Zeit Nägel mit Köpfen im "öffentlichen" und zugunsten des attraktivitätssteigerndem Interesse zu machen...

Stillstand ist Rückschritt...

Es ist zu 100 Prozent den Behörden anzulasten.Unfähig ein Verkehrskonzept zu organisieren.das zeigt Querspange und Parkregime. Das Glarnerland wirdso zerstört.Die Behörden müssten ersetzt werden.jede Privatperson bekäme einen Vormund.😡

Aufräumen ist weder im Militär noch in der Strassenmobilität seit jahrzehnten Politisch mehrheitsfähig.
Ergo wäre die Chance in der Puppenstube "Zigerschlitz" ein reales Monitoring an 6 neuralgischen Punkten im Tal. Wo über 2 Monate alle Bewegungen aufgezeichnet werden, Auto , Kennzeichen , Inhalt, Zeit das kann locker "SwissTrafic in Bern" direkt umsetzen. Dann das ganze über KI laufen lassen und jedem ; von Kantons oder Arbeitgeberseite ein Angebot offerieren , die er oder Sie nicht abschlagen kann, weil besser ...der Nackte Arsch kommt schneller von A noch B und später wird, das " von mir entwickelte "Monkey-System" so oder so Einzug halten in der ganzen Schweiz. Probleme sind da...um neue Wege und Lösungen zu finden !

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