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Der Pakt mit dem Teufel

Die Forderung zum Gerichtsprozess ist happig: mindestens 450'000  Franken. Es geht um Spionage, einen Kronzeugen, China, Russland, – und um eine Molliser Firma sowie eine Existenz.

Marco
Häusler
16.05.23 - 04:30 Uhr
Wirtschaft
Erstflug am 2. Oktober 2014: So sieht der erste Prototyp des Helikopters aus, den Ingenieur Martin Stucki erfunden hat.
Erstflug am 2. Oktober 2014: So sieht der erste Prototyp des Helikopters aus, den Ingenieur Martin Stucki erfunden hat.
Pressebild Archiv

Verhandelt wird der Fall am Arbeitsgericht des Zürcher Bezirksgerichts Pfäffikon. Zumindest indirekt ermittelt jedoch auch die Bundesanwaltschaft. Die Stichworte zu deren Verfahren lassen den Grund dafür erahnen: Werkspionage, Erpressung und Kronzeugen, Russland, China, Italien, die Ukraine – und Mollis.

Gegenüber stehen sich der russische Milliardär und Investor Alexander Mamut respektive seine Interessensvertreterin Marina Grönberg als Klägerin sowie Martin Stucki aus Pfäffikon ZH. Er ist der Gründer des Molliser Helikopterbauers Kopter Group AG, die seit dem Verkauf im April 2020 eine 100-Prozent-Tochter des italienischen Rüstungs- und Luftfahrtkonzerns Leonardo ist.

Ursprünglich hiess die Firma aber Marenco Swisshelicopter (MSH), als sie 2007 in Mollis aus Martin Stuckis Gesellschaft Marenco hervorging. Mit dem russischen Unternehmer Alexander Mamut fand Stucki den Investor, um sich seinen Lebenstraum zu verwirklichen: In der Schweiz einen von Grund auf neuen Helikopter zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Stucki tat das ab Januar 2010; bis 2012 auch als Verwaltungsrat der MSH, bis Ende 2016 nur noch als deren Chief Executive Officer (CEO). Dann knallte es. Ganz gewaltig.

Stucki hatte sich mit Grönberg heillos zerstritten. Die gebürtige Russin war CEO der Lynwood (Schweiz) AG, der Verwalterin jenes schweizerisch-britischen Familientrusts, den Mamut gegründet hatte und über den die MSH finanziert wurde. Als Vizepräsidentin der MSH war Grönberg dort Mamuts Statthalterin. Sie ist seit 2018 Schweizerin, die Lynwood (Schweiz) AG heisst heute Hemma (Schweiz) AG und nennt sich «schweizerisches Familienbüro mit globaler Präsenz». Umgetauft wurde die Firma Ende März 2022 – rund einen Monat, nachdem der russische Präsident Wladimir Putin der Ukraine den Krieg erklärt hatte.

«Crazy Price» für «aufgeblasene Firma»

Der arbeitsrechtliche Krieg zwischen Grönberg und Stucki brach 2016 mit seinem Weggang von der von ihm gegründeten MSH aus, der Streit zwischen den beiden aber schon, als Lynwood die MSH übernahm, wie Stucki vor Gericht erklärt. Laut Klage geht es um drei Fälle, in denen Stucki nach seinem Weggang von der MSH ein Konkurrenzverbot missachtet haben soll.

Eskaliert ist der Streit zwischen Grönberg und Stucki gegen Ende des Arbeitsverhältnisses vor allem mit dem «Crazy Price», den Stucki auf Grönbergs Geheiss als CEO der MSH für den Verkauf der Heli-Firma und ihres Projekts fordern sollte: eine Milliarde Franken. Stucki erklärt dazu vor Gericht, diese Milliarde habe er tatsächlich für einen «verrückten Preis» gehalten, und er hätte es als Betrug betrachtet, wenn ihn jemand bezahlt hätte.

Um den Anschein einer grossen, wertvollen Firma zu erwecken, sei diese aber von Anfang an «aufgeblasen» worden. So seien über seinen Kopf als CEO hinweg laufend neue Leute eingestellt worden, bis die MSH bei seinem Weggang rund 120 Leute beschäftigt habe. Gleichzeitig habe man ihn zum Sparen gedrängt und ihn immer wieder mit der Drohung unter Druck gesetzt, den Geldhahn zuzudrehen.

Schauplatz des Prozesses: Am Zürcher Bezirksgericht in Pfäffikon muss sich der Gründer der heutigen Molliser Kopter Group AG gegen Vorwürfe des einstigen Arbeitgebers und Financiers seines Helikopterprojekts wehren.
Schauplatz des Prozesses: Am Zürcher Bezirksgericht in Pfäffikon muss sich der Gründer der heutigen Molliser Kopter Group AG gegen Vorwürfe des einstigen Arbeitgebers und Financiers seines Helikopterprojekts wehren.
Bild Marco Häusler

Unter dem neuen Firmennamen Kopter und dem neuen CEO Andreas Löwenstein wuchs die Firma dann weiter. Als sie 2020 an Leonardo verkauft wurde, hatte sie gegen 300 Angestellte. Und Leonardo hatte für den Kauf des Unternehmens 185 Millionen Franken bezahlt, etwa einen Sechstel von dem, was Stucki vier Jahre zuvor als «Crazy Price» verlangen sollte.

Stucki sagt dazu, dass Löwenstein Kopter rund fünf Monate nach dem Deal «innert Stunden» verlassen musste und zuerst nur interimistisch ersetzt worden sei, deute darauf, dass Leonardo den bezahlten Preis im Nachhinein als übersetzt beurteilt habe.

Klägerin schlägt Stuckis Rechtsbeistand als Zeugen vor

Vor Gericht erschien Grönberg nicht, obwohl das eigentlich ihre Pflicht gewesen wäre. So redeten vor allem der Anwalt, der Lynwood vertrat, und Stucki, der ohne offiziellen Anwalt mit Markus Gnädinger einen rechtlichen Berater an seiner Seite hatte.

Diesen bot der Lynwood-Anwalt im Zusammenhang mit dem Konkurrenzverbot, das Stucki missachtet haben soll, dem Gericht sogar als Zeugen gegen Stucki an. Denn Gnädinger habe Papiere zu einer chinesischen Firma, der Stucki nach dem Auflösen des Arbeitsvertrags mit MSH deren Technologie angeboten haben soll.

Insgesamt soll Stucki laut Lynwood aber dreimal gegen das vertraglich vereinbarte Wettbewerbsverbot verstossen haben. Dieses sah vor, dass Stucki auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses drei Jahre lang «jede direkt oder indirekt mit der Gesellschaft konkurrierende Tätigkeit» zu unterlassen habe. Trotzdem habe Stucki im Mai 2017 eine Gesellschaft gegründet, die den genau gleichen Zweck wie die MSH habe: Planung, Bau und Vertrieb von Luftfahrzeugen. Weiter sollen zu diesem neuen Unternehmen Unterlagen für die Entwicklung eines neuen Helikopters existieren, die auf Akten der MSH basierten. Als Beweismittel werden eine Powerpoint-Präsentation und ein Businessplan aufgeführt. In beidem tauche sogar der Name MSH auf.

Auch habe Stucki diese Präsentation, den Businessplan und MSH-Technologie in China mit potenziellen Investoren für ein neues Helikopterprojekt geteilt, lautet ein weiterer Vorwurf. Und schliesslich soll Stucki über das neue Unternehmen mit einem ukrainischen Helikopterentwickler und -produzenten kooperiert haben.

Hausdurchsuchung bei Stucki nach Anzeige beim Bundesanwalt

Nun soll Stucki die Rechnung für diese drei angeblichen Verstösse präsentiert werden: Lynwood fordert eine Konventionalstrafe von je 150'000 oder total 450'000 Franken. Vorerst.

Denn Lynwood hat Stucki auch bei der Bundesanwaltschaft strafrechtlich angezeigt und fordert in jenem Verfahren fast 18 Millionen Franken Schadenersatz. Als «Nachklagevorbehalt» bringen die Lynwood-Anwälte nun zudem vor, dass der von Stucki angerichtete Schaden auch «problemlos über 400 Millionen Franken betragen» könne.

Stucki räumte ein, das Aktienkapital von 100'000 Franken der im Mai 2017 gegründeten neuen Firma liberiert zu haben. Er habe damit aber nur einem damaligen Freund einen Gefallen getan, der ihn dann «über den Tisch gezogen» habe. Mit dessen Firma habe er ansonsten nie etwas zu tun gehabt, geschweige denn eine Zusammenarbeit mit einer ukrainischen Firma gesucht.

Schon in der Klageschrift räumen die Lynwood-Anwälte ein, dass die Informationen zu China und der Ukraine nur mündlich vorlägen. Weiter stützen sie sich auf E-Mails, die Powerpoint-Präsentation und den Businessplan. Entdeckt wurde das alles bei der Hausdurchsuchung durch die Bundesanwaltschaft in Stuckis Firma. Bei der Durchsuchung anwesend war nur ein weiterer damaliger Freund und Geschäftskollege, der die MSH mit Stucki verlassen hatte und von ihm dann bei Marenco angestellt wurde.

Ehemaliger Geschäftsfreund wird zum Kronzeugen

Auch diesen einstigen Freund und weitere Ex-Kader von MSH-Firmen verklagte Lynwood und forderte von ihnen Schadenersatz von mehreren Millionen Franken. «Er hatte Angst um sein Leben», erzählt Stucki zu diesem Ex-Freund. Um sich weiteren Lynwood-Klagen zu entziehen, habe sich dieser dann der Bundesstaatsanwaltschaft als Kronzeuge zur Verfügung gestellt. «Ich schloss einen Pakt mit dem Teufel», soll er Stucki gegenüber nach der Auslieferung von Akten gesagt haben.

Die Strafuntersuchung habe aber nichts gegen ihn ergeben, sagt Stucki. Die Bundesstaatsanwaltschaft habe nach fünf Jahren angekündigt, das Verfahren gegen ihn einzustellen. Noch nicht passiert sei das nur, weil Lynwood Ende Januar erneut Akteneinsicht verlangt habe.

«Ich war mitten in einem kolossalen Burn-out und bemerkte das noch nicht einmal.»

Martin Stucki, ehemaliger Geschäftsführer der Marenco Swisshelicopter AG

Die Powerpoint-Präsentation sowie verschiedene weitere Unterlagen habe er rein privat für sich erstellt und nie in Umlauf gebracht, führte Stucki weiter aus. Viele der als Beweismittel eingebrachten Dokumente bezeichnete er als «dubios». Einige «erwecken sogar den Anschein, sie seien nur für dieses Verfahren gegen mich angefertigt worden», sagt er. Zudem habe sich das Konkurrenzverbot immer nur auf die Schweiz bezogen. Kontakte zu China habe er sehr wohl, er wisse aber nichts von einer Firma, die er angeblich in Hongkong gegründet haben soll.

Den eigenen Rausschmiss auf Drängen unterzeichnet

«Langsam bin ich extrem sauer», erklärte Stucki. Er lebe mit der Prozessflut, die ihm Grönberg beim Weggang angedroht und dann auch ausgelöst habe, seit über sechs Jahren «provisorisch», von Tag zu Tag. Das mache sich längst auch gesundheitlich bemerkbar, was schon Ende 2016 auch zu seinem Weggang bei der MSH geführt habe. «Ich war mitten in einem kolossalen Burn-out und bemerkte das noch nicht einmal.»

Dazu gekommen sei es, weil sich Grönberg stets in die Geschäftsführung eingemischt, ihn als unfähigen CEO dargestellt und gemobbt habe. Zudem habe sich die MSH stets am Rand des Konkurses bewegt und Lieferanten nur massiv verspätet bezahlt. Immer wieder sei ihm von Lynwood damit gedroht worden, den Geldhahn zuzudrehen, womit das Projekt gestorben wäre. Unter diesem Druck habe er auch immer wieder gegen seinen Willen Verträge unterschrieben.

Bis er es nicht mehr aushielt. Er habe Grönberg eine ordentliche Kündigung angeboten. Doch sie habe ihn als ansonsten entmachteten Technikchef behalten wollen, schliesslich aber zur Unterzeichnung eines «Termination Agreements» gedrängt, eines Abkommens zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Laut diesem stünden ihm aus dem Verkauf seiner Aktien noch bis zu 14 Millionen Franken zu, sagt Stucki. Erhalten habe er davon erst einen geringen Teil.

Nach fast sechs Stunden Verhandlungszeit war Schluss. Zumindest für die Öffentlichkeit. Die Schlichtungsverhandlungen danach verliefen laut Auskunft des Gerichtsschreibers ergebnislos. Vorerst. Sollten sich die Parteien noch auf einen Vergleich einigen, so würde das Verfahren enden. Ansonsten wird es fortgesetzt – direkt mit einem Urteil oder mit allfälligen weiteren Beweisverfahren samt Anhörung von Zeugen.

Marco Häusler ist Dienstchef der Zeitungsredaktion «Glarner Nachrichten». Er absolvierte den zweijährigen Lehrgang an der St. Galler Schule für Journalismus und arbeitete bei der ehemaligen Schweizerischen Teletext AG und beim «Zürcher Unterländer», bevor er im Februar 2011 zu Somedia stiess. Mehr Infos

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"Denn Lynwood hat Stucki auch bei der Bundesanwaltschaft strafrechtlich angezeigt und fordert in jenem Verfahren fast 18 Millionen Franken Schadenersatz. Als «Nachklagevorbehalt» bringen die Lynwood-Anwälte nun zudem vor, dass der von Stucki angerichtete Schaden auch «problemlos über 400 Millionen Franken betragen» könne."

Kann das so stimmen? Schadenersatz im Stfafverfahren?

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