×

«Rapperswil-Jona ist die zweitschönste Stadt am Zürichsee – mindestens»

Der Wahl-Rapperswiler Guglielmo Brentel ist einer der einflussreichsten Touristiker der Schweiz. Im Interview schätzt der Chef von Zürich Tourismus die aktuelle Krise für die Region ein. Und zeigt auf, was gemacht werden muss, damit der Tourismus zum Fliegen kommt.

Fabio
Wyss
30.12.20 - 04:30 Uhr
Tourismus
Guglielmo Brentel, der Chef von Zürich Tourismus zeigt, wie unsere Region von der Krise profitieren kann.
Guglielmo Brentel, der Chef von Zürich Tourismus zeigt, wie unsere Region von der Krise profitieren kann.
BILD KEYSTONE

Blau leuchtet der Zürichsee, darin spiegelt sich das Schloss Rapperswil. Im Hintergrund türmt sich in weissem Kleid der Etzel. Die Aussicht lässt Herzen höherschlagen. Kein Wunder wohnt hier oberhalb der Kempratner Bucht einer der wichtigsten Touristiker des Landes: Guglielmo Brentel, Chef von Zürich Tourismus, ehemaliger Präsident von Hotellerie Suisse. Seine Branche ist dieses Jahr in eine tiefe Krise gestürzt. Der 65-Jährige arbeitet daran, dass es baldmöglichst wieder aufwärtsgeht.

Ob Zürich oder Rapperswil-Jona – der Tourismus krankt an Corona. Die Menschen zieht es aufs Land oder in die Berge. Graut Ihnen als Chef von Zürich Tourismus vor dieser Entwicklung?

GUGLIELMO BRENTEL: Nein, wir haben keine Systemkrise, wir haben eine Pandemie. Sobald man reisen kann, wird sich der Tourismus generell wieder erholen. Der Städtetourismus funktioniert. Dieses Segment wächst touristisch am stärksten. Es sind eher die Badeferien, welche künftig Kunden verlieren – und zwar an den Bergtourismus. Mich erstaunt seit Jahren, dass die Attraktivität der Berge nicht mehr Leuten bewusst war.

Sind Schneeschuhwanderungen, Langlauf oder andere Naturerlebnisse in den Bergen also nachhaltige Trends?

Viele haben erkannt, dass Ferien in den Bergen erholsamer sind. Es gibt sehr viel zu erleben – auch ohne, dass man Kenntnisse des Bergsteigens, Downhill-Bikings oder Tourenskifahrens besitzt. Eine Renaissance des Bergtourismus in den Alpen halte ich für durchaus möglich. Ich hoffe es, aber es gibt auch Zweifel: Trotz allem vermissen die Menschen das Reisen. Sobald es wieder einfach und verlässlich möglich ist, gibt es einen Nachholbedarf für Reisen ans Meer oder auf eine Insel.

Und wie entwickelt sich der für Rapperswil-Jona so wichtige Geschäftstourismus?

Das wird sich anders entwickeln. Es wird kleinere, qualitativ hochstehende Tagungen geben. Das spricht für Rapperswil-Jona und unser Land im Allgemeinen. Es gibt aber Befürchtungen, dass der Geschäftstourismus durch Videokonferenzen bis um die Hälfte einbricht. Ich glaube das nicht. Seit Beginn der Pandemie gibt es bei vielen Branchen Reiseverbote. Sobald die Konkurrenz wieder mit Reisen beginnt, muss die gesamte Branche nachziehen. Sonst verliert man Kunden. Es geht nichts über einen persönlichen Kontakt: zum Kennenlernen, zum Einschätzen, zum zwischen den Zeilen zu lesen.

Aber dennoch kann durch den Verzicht auf Geschäftsreisen auch viel Geld gespart werden.

Natürlich. Vieles geht auch via Videokonferenz. Für alles wird nicht mehr gereist, der Assistent oder die Assistentin muss nicht immer mitreisen. Der Blick auf China zeigt aber: Die Flugbewegungen sind schon wieder wie vor Corona. Ich vermute, dass auch der Geschäftstourismus hier in rund vier Jahren wieder zurück auf dem Niveau von 2019 liegt.

Bis dahin muss aber noch viel passieren. Sie selber sorgten Anfang Monat für Schlagzeilen. Sie fordern, dass die Schweiz einen internationalen Impfausweis vorantreibt.

Wir reden viel über die Krise, über die Bewältigung und das Überleben im Tourismus. Wir müssen in erster Linie überleben. Dafür macht der Bund vieles richtig: die Kurzarbeit, die Covid-Kredite oder die Härtefallregelung, welche zwar noch etwas knorzt. Aber: «Gouverner c’est prévoir». Als Führungsperson muss man vorausblicken. Schon jetzt müssen wir uns darum für die Zukunft rüsten. Der Impfstoff ist ein Lösungsansatz aus dieser Krise heraus.

Und was erhoffen Sie sich von einem internationalen Impfausweis?

Blöd wäre, wenn im Frühling viele Leute geimpft wären und erst dann die Verhandlungen über einen internationalen Impfausweis geführt werden. Damit sich der Markt erholt, muss möglichst schnell wieder gereist werden können. Einen Impfzwang wird es nicht geben, aber ohne Impfung wird man sich nicht sehr frei bewegen können. Dafür braucht es nicht viel Fantasie.

Wie stellen Sie sich das vor?

Es gibt ja schon den gelben internationalen Impfausweis. Dort steht drauf, ob man gegen Gelbfieber oder Pocken geimpft ist. Erst dann kann man in gewisse Länder einreisen. Die Länder werden das auch bei einer Covid-Impfung verlangen. Schon jetzt kann die Schweiz das, zumindest im Schengen-Raum und mit wichtigen Partnern wie den USA, regeln. Ob die Impfung per Ausweis oder elektronisch (deutet auf sein Handy) erfolgt, ist egal. Aber es muss geregelt sein.

Sie sprachen vom Überleben der Branche. In Zürich mussten diesen Herbst einige Hoteliers das Handtuch werfen. Tritt diese Entwicklung in einer Kleinstadt wie Rapperswil-Jona verzögert ebenfalls ein?

Das ist sehr schwierig zu beurteilen. Es ist eigentlich erstaunlich, wie wenige Hotels Konkurs anmelden mussten. Es muss bedacht werden: Das Business brach im ersten Lockdown um 90 Prozent ein. Die zwischenzeitliche Erholung im Sommer führt dazu, dass sowohl Rapperswil-Jona als auch Zürich rund 70 Prozent Umsatzeinbussen verkraften müssen. Weil es ganz unterschiedliche Organisationen und Besitzerverhältnisse gibt, sind Prognosen schwierig. Die Frage ist: Inwiefern besteht die Möglichkeit Geld einzuschiessen? Ich schätze, dass es nicht unbedingt zu einem Hotelsterben kommt – eher zu Wechseln und Konzentrationen bei den Betreibern.

In Rapperswil-Jona war das Angebot schon vor der Krise überschaubar.

Touristisch wird die Stadt unter dem Wert gehandelt. Dank Leuten wie Tourismusdirektor Simon Elsener ändert sich das. Und auch wegen der engen Zusammenarbeit mit Zürich. Wenn die Bevölkerung in Rapperswil-Jona ebenfalls noch daran glaubt, hat der Tourismus hier eine grosse Zukunft.

Damit meinen Sie, dass Projekte wie die Neugestaltung des Visitor-Center scheiterten?

Die Bürger stehen nicht auf und denken als Erstes an den Tourismus. Das merkte ich, als ich zehn Jahr lang das Restaurant «Kreuz» führte. Früher war das bei den Zürchern das Gleiche. Aber sie haben es mittlerweile geschafft, sich als Attraktion zu vermarkten. Und zwar, weil sie aufgehört haben, sich nur als Stadt zu vermarkten.

Sondern?

Als ein Resort in den Alpen. Für einen Inder oder Chinesen ist Zürich Natur pur. Mehr Natur ertragen sie gar nicht (lacht). In Rapperswil-Jona ist das ähnlich. Für Europäer gehört die Stadt zum Erlebnisraum Zürich.

Die interessieren sich nicht so für den Kantönligeist.

Das interessiert kein Tourist. Sogar viele Genfer wissen nicht, in welchem Kanton Rapperswil-Jona liegt. Zu Zürich gehört der ganze See dazu. Es gäbe so viel Potenzial im Schweizer Tourismus. Mit Ausnahme von Zürich und Rapperswil-Zürichsee Tourismus scheitert es aber an Gemeinde- und Kantonsgrenzen. Das liegt daran, dass die Tourismusorganisationen von Steuergeldern finanziert sind. Die Politiker denken jedoch nicht an die Touristen, sondern an die Wähler. Der Tourismus muss aber vom Gast her gedacht werden. Am Schluss profitieren alle: Wenn es Zürich gut geht, geht es auch Graubünden und uns gut. Wenn man das sieht, gibt das grosse Chancen für den Detailhandel, die Zulieferer oder die Bauwirtschaft in der Region.

Vielen Einwohnern dürfte aber das aktuelle Besucheraufkommen genügen.

Ich bin in Unterseen bei Interlaken aufgewachsen. Ohne Touristen wäre das nicht auszuhalten gewesen. Touristen wollen Attraktionen; davon profitieren aber auch die Einheimischen. Das ist ein Geben und Nehmen. Es gäbe auf dem Zürichsee weniger Schifffahrt ohne Touristen. Es gäbe weniger Geschäfte in der Stadt ohne den Zusatzumsatz der Touristen. Solange der Tourismus bevölkerungsverträglich bleibt, steigt die Lebensqualität der Bewohner. Die hohen Preise in der Schweiz sind dabei von Vorteil: In der Zürcher Tourismusregion gibt es de facto keinen Massentourismus.

Mit dem «Moxy»-Hotel neben dem Zeughaus-Areal kommt Marriott, die grösste internationale Hotelkette, nach Rapperswil-Jona. Was bedeutet das für die Stadt?

Rapperswil-Jona wird dadurch in die Buchungskanäle von Marriott aufgenommen. Die Stadt wird so international zum Thema, «it’s put on the map» sozusagen. Ich muss zwar eingestehen, dass ich kein Fan bin, wenn solche internationalen Brands überhandnehmen, aber eine gute Mischung von Brands und lokalen Hotelbetrieben ist attraktiv. Zusammen mit typischen Rapperswiler Hotels wie hoffentlich bald wieder dem «Schwanen» ist das die Grundlage für einen prosperierenden Tourismus.

Die Schweiz gilt als das Land, in dem alles funktioniert. Corona brachte dem Land einen zweifelhaften Ruf ein: hohe Infektionsraten, viele Tote. Wie stark leidet darunter die Marke Schweiz?

Das Thema ist heikel. Wir als Touristiker sagen: Die Schweiz ist sicher. Gleichzeitig haben wir zeitweise die höchsten Fallzahlen von Europa. Die Schweizer Bürger schätzen ihre Freiheit, das hat negative Folgen – wie die vielen Todesfälle. Wir müssen aber festhalten: Das Land sorgt sich um die Betroffenen. Wenn etwas passiert, ist man hier gut aufgehoben. Sind die hohen Zahlen eine Glanzleistung? Sicher nicht – Corona ist ein Misserfolg. Wird das nachhaltig negative Folgen haben für unseren Ruf? Ich glaube nicht – das Gedächtnis des Menschen ist sehr kurz. Und trotz aller Kritik: Wir haben weder alles richtig noch alles falsch gemacht.

Was kann der Tourismus daraus lernen?

Wir müssen die Digitalisierung vorantreiben. Es muss analysiert werden, was der Gast wirklich braucht. Ist es wirklich nötig, jeden Tag das Bett frisch zu machen? Braucht es immer ein Telefonat, um Wünsche zu erfüllen? Stellen Sie sich vor, bei den Banken oder der Post müsste man heute noch das Einzahlungsbüchlein abstempeln lassen. Bei der Hotellerie ist dagegen noch alles gleich wie vor 100 Jahren. Damals brauchte es eine halbe Stunde, um ein 5-Stern-Zimmer zu reinigen; heute dauert es 30 Minuten.

Es wird aber auch immer Gäste geben, die das Familiäre, das «Grüezi» an der Rezeption schätzen.

Es wird ein sowohl als auch. Hightech und Hightouch. Nicht ein entweder oder. Das gut aufeinander abzustimmen, ist die Aufgabe unserer Branche. Zudem müssen die Dienstleister mehr miteinander kooperieren. Die Digitalisierung braucht aber auch ein Umdenken in der Gesellschaft.

Inwiefern?

Das Internet ist sieben Tage, 24 Stunden erreichbar. Wir schliessen aber dann die Läden, wenn die meisten Gäste in der Stadt sind. Der Detailhandel steckt in einer Krise. Darum muss der Sonntagsverkauf kommen. Zumindest die Läden in der Rapperswiler Altstadt sollten öffnen können. Weltweit ist der Sonntag der zweitbeliebteste Arbeitstag im Detailhandel. Mit Sonntagsverkäufen könnte er ein Freizeitangebot schaffen. Und der Städtetourismus würde auch profitieren.

Wieso lebt eigentlich der oberste Touristiker von Zürich in Rapperswil-Jona?

Es darf nicht vergessen werden, dass ich zudem Berner Oberländer bin (schmunzelt). In den 80er-Jahren zog es mich als Hotelier nach Zürich. 25 Jahre lebte ich in Altendorf. Mir gefällt aber Rapperswil-Jona schon immer. Wie Zürich hat Rapperswil-Jona eine städtische Ausstrahlung, ein städtisches Denken. Rapperswil-Jona ist ein regionales Zentrum für 100 000 Einwohner. Es ist für mich die zweitschönste Stadt am Zürichsee – mindestens.

Zur Person
Schon als 23-Jähriger führte Guglielmo Louis Brentel ein Hotel mit 500 Zimmern. In Peru notabene. Und das gleich nach Abschluss der Hotelfachschule in Lausanne. Den Berner Oberländer zog es nach Tätigkeiten in Genf und New York an den Zürichsee. Brentel präsidierte schon den Zürcher Hotelier-Verein, Hotellerie Suisse, die Hotelfachschule Lausanne. Jetzt berät der 65-Jährige mit seiner in Rapperswil-Jona ansässigen Firma H&G Hotel Gast AG Hotel- und Gastrobetriebe. Zudem ist Brentel Mitglied des Verwaltungsrates der Flughafen Zürich AG. Er ist geschieden und Vater zweier Kinder. (wyf)

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.

eine aneinanderreihung von allgemein bekanntem. wenn so ein interview mit einem angeblich "hohen touristiker" nichts gehaltvolleres hervorbringt, dann zweifle ich schon ein wenig über das niveau und verständnis von "touristikern".. (ich bin selbst dipl. tourismusfachmann hf). (in rapperswil-jona aufgewachsen und kenne gegebenheiten und leistungsträger).
dieses interview bringt eine aneinanderreihung von "schaumschlägerei", ein paar marketing-floskeln und allgemeine "kreuz und quer weltanschauungen" hervor
keinerlei hinweis, was auf den gehalt der aussagen auf professionelle ansichten eines erfahrenen touristikers schliessen. eine seite lang keinerlei gehaltvolle, fundierten expertenaussagen eines "touristikers" - nur allgemein bekanntes. da stellt sich mir einmal mehr die frage: was bezeichnet ein "touristiker"?? was macht ein touristiker aus? kann sich "einer der höheren touristiker" von allgemeingültigem abheben?? eine beratertätigkeit mit einer beraterfirma in der hotellerie und gastronomie mit dem namen h&g hotelgast ag lässt mich einmal mehr das niveau im tourismus anzweifeln und die professionalität hinterfragen. was ist mit der viel zitierten positionierung und einem klaren profil - im tourismus?? also wenn das aussagen eines der höheren "touristikern" sein soll - was ist ein "touristiker" überhaupt???

Mehr zu Tourismus MEHR