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Grossratswahlen – eine Nachlese

Selbst eingefleischte Politfüchse rieben sich letzten Sonntag – am grossen Bündner Wahltag – verwundert die Augen, als sie die Sitzverteilung im Kreis Davos sahen. Die DZ begab sich auf Spurensuche, wie es zum überraschenden Sitzgewinn für die Mitte kam.

Andri
Dürst
21.05.22 - 12:00 Uhr
Politik
Mit einem Video erklärte der Kanton dem Stimmvolk den «doppelten Pukelsheim».
Mit einem Video erklärte der Kanton dem Stimmvolk den «doppelten Pukelsheim».
Grafik: staka

Wer am meisten Stimmen macht, der ist gewählt – die Zeiten dieses Prinzips sind passé. Am 15. Mai kam nämlich erstmals das Proporzsystem – genauer gesagt der doppelte Pukelsheim – in Graubünden zum Einsatz und löste das Majorzverfahren ab. Das neue Wahlsystem sorgte nicht nur im Kanton, sondern auch in Davos für ordentlich Wirbel. Dass hier die FDP wohl einen ihrer drei bisherigen Grossratssitze abgeben muss, wurde von vielen erwartet. Auch der zweite Sitz wackelte aus Sicht einiger Politbeobachter munter. Doch wer soll diese Sitze erben? Während im Vorfeld oft der SVP und der SP ein Sitzgewinn vorausgesagt worden war, trat «nur» letzterer Fall ein. Trotzdem wurde der Davoser FDP – die an sich ein starkes Resultat erzielt hatte – der zweite Sitz «weggenommen» und an die Mitte «vererbt». FDP-Kandidat Peter Engler, der mit 844 Stimmen das fünftbeste Resultat im Kreis machte, hatte gegen Seraina Mani von der Mitte das Nachsehen, obschon auf sie «nur» 414 Stimmen entfielen.

Kantonale Verhältnisse an oberster Stelle

Doch der Reihe nach. Als am Sonntag alle 39 Wahlkreise ausgezählt waren, konnten die Parteistärken auf kantonaler Ebene berechnet werden. So erhielt zum Beispiel die FDP 22.03 Prozent Wähleranteil. Anschliessend wurden alle 120 Grossratssitze entsprechend der Parteistärken aufgeteilt, wobei die FDP 27 Sitze erhielt. Dieser Schritt wird als «Oberzuteilung» bezeichnet.

Anschliessend geht es beim nachfolgenden zweiten Schritt (der sogenannten «Unterzuteilung») darum, in den 39 Wahlkreisen den Parteien ihre Sitze zuzuteilen, die ihnen aufgrund der Oberzuteilung zustehen. Dabei sind zwei Bedingungen zwingend einzuhalten: Jede Partei muss am Schluss die Anzahl Sitze bekommen, welche ihr gemäss Oberzuteilung zusteht, und jeder Wahlkreis muss die Anzahl Sitze haben, die ihm zugeteilt wurden. In unserem Beispiel darf also an der Zahl von 27 FDP-Sitzen nicht gerüttelt werden, und auch an der Anzahl von sechs Vertretern aus Davos lässt sich nichts «schräubeln». Wichtig zu erwähnen ist, dass beim Schritt der Unterzuteilung nur ganze Sitze verteilt werden können. Daher lässt sich die Proportionalität auf Ebene der Wahlkreise nicht immer genau abbilden.

Kreuz und quer durch Graubünden

Hauptknackpunkt des ganzen Systems ist aber die sogenannte «gegenläufige Sitzverteilung». Walter Frizzoni, Akademischer Mitarbeiter bei der Standeskanzlei Graubünden, erklärt dazu: «Beim doppelten Pukelsheim ist es möglich, dass eine Liste in einem Wahlkreis weniger Sitze erhält als eine andere Liste, obwohl sie gleich viele oder sogar mehr Stimmen als diese im entsprechenden Wahlkreis erhalten hat. Gesamtkantonal wird dies allerdings wieder in anderen Wahlkreisen ausgeglichen, und jede Partei erhält insgesamt kantonal eine ihrem Wähleranteil entsprechende Anzahl an Sitzen».

Pukelsheim, nicht Hagenbach-Bischoff

Langsam wird auch klar, dass Proporzsystem nicht gleich Proporzsystem ist. Denn der doppelte Pukelsheim hat einen anderen «Meccano» als das System Hagenbach-Bischoff, das beispielsweise bei den Nationalratswahlen zum Einsatz kommt. Würde man die Davoser Sitze nach diesem Verfahren berechnen, käme man zum folgenden Schluss: In Davos wurden total 15 001 Parteistimmen abgegeben. Teilt man das durch 6 (die Anzahl Grossratssitze im Kreis), erhält man die Zahl 2500,2. So viel ist theoretisch nötig, um einen Sitz zu erhalten. Auf die FDP entfielen in Davos 4240 Stimmen. Somit stünden ihr 1,69 Sitze zu. Die Mitte erreichte 1506 Stimmen, was einem Anspruch auf 0,60 Sitze gleichkommt. Doch wie Frizzoni betont, läuft beim doppelten Pukelsheim alles etwas anders, und die oben beschriebene Berechnung sei somit obsolet. Das «oberste Ziel» beim doppelten Pukelsheim bleibe, die Verhältnisse auf Kantonsebene abzubilden. Auf den ersten Blick mag es daher seltsam anmuten, dass beispielsweise im Kreis Schiers der Mitte-Kandidat trotz einer guten Stimmenzahl nicht wiedergewählt wurde, in Davos aber die Mitte-Vertreterin trotz einem mittelmässigen Ergebnis ins Kantonsparlament einziehen kann. Doch die «Wegnahme» von Sitzen im einen Wahlkreis und das «Auslagern» in einen anderen Wahlkreis sei so vom System vorgesehen. Übrigens musste am Sonntag niemand mit Taschenrechner diese Berechnungen anstellen. «Am Wahltag schaute der Algorithmus, wo welche Partei einen Sitz bekommt», erklärt der Kanzleimitarbeiter. Deshalb lasse sich auch nicht eruieren, in welchem Wahlkreis ein Freisinniger der Davoser FDP einen Sitz «weggeschnappt» hat.

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