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Schlussspurt mit Wahlen und Aufträgen

Noch bis am Mittwochabend tagt der Bündner Grosse Rat in Chur. Wie gewohnt tickern wir von der Oktobersession für euch.

Philipp
Wyss
20.10.21 - 08:00 Uhr
Politik
Die Regierungsbank während der Oktobersession des Grossen Rates in Chur.
Die Regierungsbank während der Oktobersession des Grossen Rates in Chur.
Bild Livia Mauerhofer

Ticker

Am dritten und letzten Tag der Oktobersession hat der Grosse Rat:

  • Die Fragestunde abgehalten
  • Die Covid-19-Debatte durchgeführt
  • Ersatzwahlen abgehalten
  • Anfragen beantwortet
  • Die Oktobersession beendet

Die nächste Session findet vom 6. bis 8. Dezember statt.

Auf Wiedersehen im Dezember

Standespräsidentin Aita Zanetti (Mitte, Suot) schliesst die Oktobersession. Sie informiert, dass insgesamt zehn Anfragen und Aufträge eingereicht wurden.

Bild Pixabay

Bilder sagen mehr als tausend Worte

Zum Abschluss der Session ein Blick in die Arbeiten unserer Fotografinnen Olivia Aebli-Item und Livia Mauerhofer gefällig? Dann klickt hier.

Peter Peyer im Interview

Während der Oktobersession sprachen wir mit dem Bündner Gesundheitsdirektor Peter Peyer über die Impfoffensive, die Zertifikatspflicht, über belegte Intensivstationen in Spitälern und über Respekt vor Grossanlässen. 

Hier gehts zum Interview.

Julia Müller zieht Auftrag für Familien-Ergänzungsleistungen zurück

Aufgrund der unbefriedigenden Antwort der Regierung zieht Grossrätin Julia Müller (SP, Felsberg) ihren Auftrag betreffend Einführung von Familienergänzungsleistungen in Graubünden zurück. In der Augustsession 2020 hatte der Grosse Rat die Abschaffung des Gesetzes über die Mutterschaftsbeiträge beschlossen. Dagegen wurde das Referendum ergriffen. Im vergangenen Juni hat das Bündner Volk sich gegen die Abschaffung dieses Gesetzes ausgesprochen. In allen politischen Lagern war jedoch unbestritten, dass bezüglich den Mutterschaftsbeiträgen im Grundsatz Reformbedarf besteht. Stein des Anstosses der abgelehnten Vorlage war insbesondere die damit einhergehende Verschiebung der Familienarmut in die Sozialhilfe.

Die Altersgruppe der bis 17-jährigen macht einen Drittel aller Sozialhilfeempfänger aus. Entsprechend ist laut Müller Familienarmut ein ernstzunehmendes Problem. «Es ist traurig, dass man anhand der Sozialhilfequoten sagt, die Armut sei in Graubünden überschaubar», so Müller im Rat. So hätten beispielsweise die Kantone Waadt, Solothurn oder Tessin mit Ergänzungsleistungen gute Erfahrungen gemacht. Für Müller ist der Reformbedarf im Thema Mutterschaftsbeiträge ausgewiesen. Sie forderte von der Regierung eine neue Vorlage, die Familienergänzungsleistungen vorsieht. 

In ihrer Antwort schrieb die Bündner Regierung, dass die Armutssituation in Graubünden zeige, dass im vergangenen Jahr 1,3 Prozent der Bevölkerung Unterstützungsleistungen durch die Sozialhilfe benötigt haben. Diese Quote ist eine der tiefsten im Land (Schweiz 3,2 Prozent). Die Sozialhilfequote der Kinder und Jugendlichen bis 17 Jahre beträgt in Graubünden 2,4 Prozent (Schweiz 5,2 Prozent). Der Anteil der Kinder und Jugendlichen an allen Personen, welche Sozialhilfe benötigen, beträgt rund 30 Prozent.

Weiter schreibt die Regierung, dass sie mit der Förderung der Familienfreundlichkeit und der Unterstützung geeigneter Strukturen im Regierungsprogramm 2021 bis 2024 einen Schwerpunkt setzt. Zudem führt die Regierung aus, dass eine Mehrheit der Bevölkerung sich im Rahmen der Referendumsabstimmung im Juni für die Beibehaltung der Mutterschaftsbeiträge ausgesprochen hat. Die Regierung teilt die Einschätzung von Müller, dass das Instrument der Mutterschaftsbeiträge reformbedürftig ist. Aufgrund des Abstimmungsergebnisses erachtet es die Regierung aber als nicht opportun das Instrument zu ersetzen. 

Im Auftrag wird davon ausgegangen, dass Familienergänzungsleistungen eine Entlastung für die Sozialhilfekosten der Gemeinden darstellen. Vergleich mit Kantonen mit Familienergänzungsleistungen legen gemäss der Regierung jedoch die Vermutung nahe, dass es nicht zu Kosteneinsparungen bei der Sozialhilfe kommt. Aus diesen Gründen hat die Regierung dem Grossen Rat beantragt, diesen Auftrag abzulehnen. Dazu kam es aufgrund des Rückzuges des Auftrags durch Auftragsstellerin Müller nicht.

Parlament will Revision des Zweitwohnungsgesetzes 

Gegen Ende der Oktobersession behandelt das Bündner Parlament einen Auftrag von Grossrat Gian Derungs (Mitte, Lumbrein) betreffend Anpassung des Zweitwohnungsgesetzes. Dies, weil der Bundesrat das Zweitwohnungsgesetz nicht anpassen und zusätzliche Massnahmen zur Standortförderung ergreifen will. Einzig beim Vollzug, bei den Wissensgrundlagen sowie den Schlüsselbegriffen der Beherbergungswirtschaft erkennt der Bundesrat Handlungsbedarf, schreibt Derungs in seinem Auftrag. In den vergangenen Jahren habe sich gezeigt, dass Bestimmungen und bundesgerichtliche Auslegungen des Zweitwohnungsgesetzes unerwünschte Auswirkungen hätten. Das zentrale Argument bei der Zweitwohnungsinitiative war die Eindämmung von neuen Zweitwohnungen auf der grünen Wiese. Das Zweitwohnungsgesetz tangiere und schränke jedoch auch die Weiterentwicklung der altrechtlichen Wohnungen und Hotelbetriebe ein. Dies will Derungs mit seinem Auftrag korrigieren. 

  • Gemeinden mit über 20 Prozent Zweitwohnungen müssen bei der Erstellung von Erstwohnungen einen Bedarfsnachweis erstellen. Dieser Nachweis kommt einer Diskriminierung vorwiegend der Berggemeinden gleich, erschwert die Erstellung von Wohnraum für Einheimische und muss aufgehoben werden.
  • Nationalrat Martin Candinas hat vor gut einem Jahr die parlamentarische Initiative «Unnötige und schädliche Beschränkungen des Zweitwohnungsgesetzes in Sachen Abbruch und Wiederaufbau von altrechtlichen Wohnungen aufheben» eingereicht. Diese verlangt, dass die 30 Prozent Erweiterung der Hauptnutzfläche von altrechtlichen Wohnungen bei der Schaffung von zusätzlichen Wohnungen wie auch bei Abbruch und Wiederaufbau zulässig ist. Für die innere Entwicklung und für die verdichtete Bauweise ist diese Stossrichtung weiter zu verfolgen.
  • Die strenge bundesgerichtliche Auslegung des Standortes von zu Hotels dazugehörenden bewirtschafteten Zweitwohnungen erschwert oder verunmöglicht die Weiterentwicklung von neuen Übernachtungsangeboten in der Hotellerie.

Das Parlament beauftragt die Regierung mit 71:18 Stimmen bei 2 Enthaltungen in Bern auf eine Revision des Zweitwohnungsgesetzes im Sinne der obigen Ausführungen hinzuwirken. Die Regierung wollte den Auftrag nicht überwiesen haben, weil er bereits in Umsetzung sei, wie die Regierung in ihrer Antwort schrieb. So wird die Regierungskonferenz der Gebirgskantone mit dem Kanton Graubünden als einem der stärksten Partner auf Bundesebene und im Parlament weiterhin auf eine Anpassungen des Zweitwohnungsgesetzes hinwirken, ohne das Schutzziel der Bundesverfassung aus den Augen zu verlieren.

Schlussspurt

Der letzte Teil der Oktobersession begann mit Wahlen: Grossrat Alessandro Della Vedova (Mitte, Chur) wurde in die Kommission für Staatspolitik und Strategie sowie Grossrat Ursin Widmer (Mitte, Felsberg) in die Kommission für Bildung und Kultur gewählt. Beide für den Rest der Amtsdauer 2018 bis 2022.

 

Mittagspause in Chur

Zum dritten und letzten Mal während der Oktobersession begeben sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier in die Mittagspause.

Stocker: «Gratistests torpedieren Impfkampagne nicht»

Seit 11. Oktober sind Covid-Tests nicht mehr kostenlos und müssen von den Testpersonen bezahlt werden. Die SVP Graubünden fordert von der Regierung während der Dauer der Zertifikatspflicht Gratistests für alle unter 25-Jährigen. Grossratstellvertreter Nicola Stocker (SVP, Trimmis) hat dazu mit 25 weiteren Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern aus dem bürgerlichen Lager eine Resolution eingereicht.

Insbesondere junge Erwachsene, die kaum gefährdet, aber dennoch von den Massnahmen stark betroffen seien, würden mit den kostenpflichtigen Tests gedrängt, sich impfen zu lassen, heisst es in der Resolution. «Gratistests torpedieren die Impfkampagne nicht», ist Stocker überzeugt. Das Mittel der Resolution habe die Fraktion gewählt, weil es das einzige Instrument sei, mit dem die Regierung unmittelbar entscheiden und antworten müsse, so Stocker.

Grossrätin Valérie Favre Accola (SVP, Davos) unterstreicht die Wichtigkeit der Resolution als Präsidentin des Unihockeyklubs Marmots Davos, in dem der Spielbetrieb immer wieder unterbrochen und Helferinnen und Helfer für Spielrunden nicht gefunden werden können. «Es liegt an uns, diesen Kindern und Jugendlichen einen Teil der früheren Normalität zurück zu geben.» Dadurch könnten auch gesundheitliche Folgekosten oder Vereinsaustritte vermieden werden.

Anders sieht dies Grossrat Oliver Hohl (FDP, Chur). «Tests waren wichtig, als wir noch keinen Impfstoff hatten. Die Testung ist eine wichtige, aber teure Eindämmungsmassnahme», so Hohl. Weiter ist er der Meinung, dass Tests die Pandemie nicht beenden werden. Und er fordert: «Zeitnah sollen Impfung und Testung nicht mehr durch die öffentliche Hand bezahlt werden.»

Grossrat Martin Bettinaglio (Mitte, Klosters) gibt sich überzeugt, dass auch Jugendliche ihren Beitrag zum Ende der Pandemie leisten können. «Mit der Impfung. Für die Mittefraktion muss aber im November auch eine Exit-Strategie der Zertifikatspflicht vorliegen», so Bettinaglio.

«Ich setze mich für die Impfung ein», sagt Grossrat Michael Pfäffli (FDP, St. Moritz). «Ich bin aber auch ein Verfechter der Zertifikatspflicht. Und auch Tests tragen dazu bei, dass man zur Normalität zurück kehren kann, so Pfäffli. «Solange die Zertifikatspflicht besteht, sollte die Möglichkeit bestehen, sich schnell und kostenlos testen zu können. Wir untergraben damit nicht die Impfbereitschaft. Aber wir tragen dazu bei, dass Jugendliche sich von älteren Mitbürgern verstanden und abgeholt fühlen.»

Die SP-Fraktion ist laut Grossrat Lukas Horrer (SP, Chur) für Ablehnung der Resolution. Ebenso die FDP-Fraktion, wie Grossrat Bruno W. Claus (FDP, Chur) sagt. «Wir müssen an der Impfquote der Jugendlichen arbeiten. Diese Resolution ist vielleicht auf den ersten Blick eine Entlastung der Jugend. Aber wir dürfen sie nicht aus der Verantwortung entlassen», so Claus.

Grossrat Benjamin Hefti (SVP, Zizers) sagt, dass die Pandemie den Jungen Freiheit genommen hat. «Wer sich impfen lassen will, konnte und kann das tun. Die Testung ist eine weitere Möglichkeit, sich weiterhin frei bewegen zu können. «Jetzt lassen Sie die jungen Menschen im Stich», so Hefti. Nicht alle Jugendlichen können an Betriebstestungen mitmachen oder sich Tests leisten», so Hefti. Niemand wisse, wann die Zertifikatspflicht falle. Darum seien kostenlose Tests für junge Erwachsene eine Möglichkeit.

Bei den Grünliberalen heben sich die Stimmen auf, sagt Grossrat Walter von Ballmoos (GLP, Davos) unterstützt die Resolution. Parteikollege und Grossrat Jürg Kappeler (GLP, Chur) lehnt sie ab.

Und Grossrat Roman Cantieni (SP, Ilanz) bringt als Schulleiter ein aktuelles Beispiel: Als eine Klasse eine Reise nach München plante, hatten viele Schülerinnen und Schüler rasch einen Impftermin. 

«Keine Sorgengruppen sind die 16- bis 25-Jährigen», sagt Grossrat Ursin Widmer (Mitte, Felsberg). Widmer kann nachvollziehen, dass sich deshalb junge Menschen zwei- oder dreimal überlegen, ob sie sich impfen lassen – oder eben nicht. «Wir haben eine 3G-Zertifizierung, die ich in Ordnung finde, und die zur Normalität führen kann», so Widmer. 3G bedeute aber nicht nur geimpft. Alle drei Gs seien gleichzusetzen. «Weil die Impfung gratis ist, sollten auch die Tests für Jugendliche gratis sein. Und genau darauf zielt die Resolution ab.» Gleichzeitig soll aber auch die Impfkampagne weitergeführt werden», so Widmer.

Regierungsrat Peter Peyer (SP, Trin) bittet das Parlament im Namen der Bündner Regierung die Resolution abzulehnen. Peyer korrigierte die Aussage von Grossrat Ursin Widmer (Mitte, Felsberg): «Die Hauptsorgengruppe sind die 40- bis 60-Jährigen. Aber auch bei den Jugendlichen ist die Impfquote zu tief», so Peyer. Die Regierung wolle wieder in Freiheit leben, ohne 3G- und auch ohne 2G-Regel», so Peyer.

Die Resolution wird schliesslich mit 69:29 Stimmen bei 1 Enthaltung abgelehnt.

Abstimmung Resolution.

Unterschiedliche Meinungen – dasselbe Ziel 

In der Debatte rund um die Pandemie äussern sich zahlreiche Parlamentarierinnen und Parlamentarier zu unterschiedlichen Aspekten: Grossrat Peter Engler (FDP, Davos) spricht die Situation der Bergbahnen im Hinblick auf die Wintersaison an. Grossrätin Nicoletta Noi-Togni (parteilos, San Vittore) spricht die zwischenmenschlich entstandenen Gräben an. Grossrat Lukas Horrer (SP, Chur) spricht die Impfung als wissenschaftliche Lösung aus der Pandemie an. Und Grossrat Roman Hug (SVP, Says) sagt, dass er weniger den Politikern in Bundesbern, sondern viel mehr der Bündner Regierung vertraut, wenn es um mögliche Massnahmen für die bevorstehende Wintersaison geht. Grossrat Patrik Degiacomi (SP, Chur) sagt, dass er sowohl impfwillige wie auch Personen, die sich nicht impfen lassen wollen oder können, verstehe. Und dass er Leute verurteile, die impfwilligen Leuten die Impfung zu verwehren versuchen. Und Grossratstellvertreter Cla Davaz (FDP, Samnaun-Ravaisch) äussert seine Bedenken im Hinblick auf die Wintersaison, dass in der Gastronomie Personal fehlen wird.

«Mit Schuldzuweisungen kommen wir nicht weiter. Und es hilft auch nicht, den Ball einfach der Politik zuzuspielen», sagt Gesundheitsdirektor Peter Peyer (SP, Trin). Und: «Die Politik besteht auch nicht nur aus der Regierung. Politik sind wir alle. Sie alle können im Rahmen ihrer Möglichkeiten mithelfen, aus dieser Pandemie zu kommen», so Peyer.

Wirtschaftsminister Marcus Caduff (Mitte, Morissen) zeigt sich aufgrund des Themas Fachkräftemangels sensibilisiert. «Ich kenne Betriebe, die jede Woche zwei Tage über Mittag schliessen müssen, weil sie über zu wenig Personal verfügen», so Caduff. Und zur Offenhaltung der Seilbahnbranche ohne Zertifikat sagte Caduff, dass dies eine Haltung der ganzen Branche und nicht nur der Bündner Regierung sei. «In der aktuellen Lage», schiebt Caduffnach. Wenn die Spitalkapazitäten wieder an ihre Grenzen stossen würden, müsste die Regelung überdacht werden. «Ich bin in einem Zwiespalt. Sollen wir den Bündner Bergbahnen mehr erlauben? Ermöglichen wir damit einen nationalen Flickenteppich?», fragt sich Caduff. Er betont aber auch, dass die am Dienstag publizierte Lösung keine Neuerung sondern der Status quo sei.

Philipp Wyss ist Chefredaktor der gemeinsamen Redaktion der Zeitung «Südostschweiz» und der Internetseite «suedostschweiz.ch». Damit zeichnet er für das Team und für den Inhalt dieser Produkte verantwortlich. Mehr Infos

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