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Cassis’ Liebe zum Berggebiet ist auf dem Prüfstand

20.09.17 - 09:56 Uhr
Politik
Kommentar
Hier wirft Ignazio Cassis seinen Wahlzettel ein.
Hier wirft Ignazio Cassis seinen Wahlzettel ein.
ANTHONY ANEX/KEYSTONE

Ein perfekter Kandidat fand sich nicht auf dem Ticket, das die FDP heute Morgen der Vereinigten Bundesversammlung präsentierte: Für Ignazio Cassis sprach die Herkunft, für Isabelle Moret das Geschlecht, für Pierre Maudet die Exekutiverfahrung. Also einiges für jeden, doch für keinen alles. Mit der Wahl Cassis’ fällten die Parlamentarier nicht den mutigsten, aber einen logischen und verfassungstreuen Entscheid. Sie wählten einen, den sie gut kennen und dem sie vertrauen, und fanden gleichzeitig einen Ausweg aus einer unerfreulichen Situation: Nach mehr als 18 Jahren ist nun endlich auch die italienische Schweiz wieder im Bundesrat vertreten. Das ist begrüssenswert.

Im Verlauf seines politischen Lebens hat Cassis bewiesen, dass er unbequeme Positionen vertreten kann, wenn er sie für richtig hält. In den vergangenen Wochen jedoch hat er diese für einen Bundesrat zwingende Charaktereigenschaft vermissen lassen. Wie er sich der SVP angebiedert hat – etwa durch die vorauseilende Rückgabe seines italienischen Passes – war unwürdig. Die wählerstärkste Partei hat Cassis’ Wankelmütigkeit gekonnt ausgenutzt. Bauernschlau hat sie ihn schon eine Woche vor der Wahl zu ihrem Kandidaten erkoren – und erwartet von ihm im Gegenzug nun selbstredend Dankbarkeit und eine gutbürgerliche Politik. Entsprechend muss es eine der vordringlichsten Aufgaben des Tessiners sein, vom ersten Tag im Amt an zu beweisen, dass er mehr ist als ein Bundesrat von SVP-Gnaden.

Cassis ist das grundsätzlich zuzutrauen: Als gegenüber Parlamentariern anderer Parteien meist sehr umgänglicher FDP-Fraktionschef hat er in der Vergangenheit bewiesen, dass er Brücken zu bauen gewillt ist – in beide politischen Richtungen. So arbeitete er in etlichen Geschäften mit der SVP zusammen, schmiedete aber gemeinsam mit der SP eine Allianz für eine zurückhaltende, aber noch knapp verfassungskonforme Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative.

Bündner und Glarner müssen sich vorsehen

Und was bedeutet Cassis’ Wahl für die Berggebiete, die seit dem Rücktritt der BDP-Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf vor zwei Jahren nicht mehr in der Regierung vertreten sind? Das bleibt vorerst offen. Im Gespräch mit der «Südostschweiz» betonte der Tessiner vor ein paar Wochen zwar, in Bundesbern die Sensibilität für die Anliegen der peripheren Talschaften verbessern zu wollen, zumal er ja selbst aus einer Randregion komme. Doch da war er genauso im Wahlkampfmodus wie bei seinen Liebesbekundungen gegenüber Rätoromaninnen und Rätoromanen und seinen Avancen gegenüber der SVP. Den Tatbeweis muss er erst erbringen.

Fast geschlossen haben die Glarner und Bündner Parlamentarier heute für Cassis votiert. Zeigt sich der Tessiner für die Anliegen der Berggebiete nicht so zugänglich, wie sie es sich erhoffen, müssen sie für die nächste Vakanz eine eigene Kandidatur vorbereiten. Sie dürfen sich nicht noch einmal auf dem falschen Fuss erwischen lassen wie beim Rücktritt von Widmer-Schlumpf. Die gute Nachricht: Mit Stefan Engler, Thomas Hefti und Martin Schmid stellen die beiden Bergkantone gleich drei Ständeräte, die in die Kränze kommen könnten, wenn Nachfolger für Doris Leuthard und Johann Schneider-Ammann zu bestimmen sind. Und das dürfte schon im kommenden Jahr soweit sein.

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