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Passiert noch ein Wunder?

Im ehemaligen Arzthaus der Thurgauisch-Schaffhausischen Heilstätte (TSH) lebt die wohl aussergewöhnlichste WG von Davos. Im Mai aber ist Schluss, und die acht Frauen und Männer müssen ausziehen. Doch das Finden eines neuen Zuhauses gestaltet sich sehr schwierig.

Andri
Dürst
02.11.23 - 07:00 Uhr
Menschen & Schicksale
Die sympathischen WG-Bewohner hoffen, demnächst ein neues Zuhause zu finden.
Die sympathischen WG-Bewohner hoffen, demnächst ein neues Zuhause zu finden.
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Bereits die Anreise zum ehemaligen TSH-Arzthaus ist ein kleineres Abenteuer. Über viele Kurven und steile Strassen­abschnitte geht es, ehe man im Wald ein auf den ersten Blick unscheinbares Holzhaus entdeckt. Doch die 1934 erstellte Baute ist ein architektonisches Juwel. Es erstaunt daher nicht, dass das unter Schutz stehende Gebäude auch im Architekturführer «Bauen in Davos» Erwähnung findet. Es handle sich dabei um den letzten erhaltenen Holzständerbau des bekannten Architekten Rudolf Gaberel, liest man dort. Einst für den Chefarzt der TSH sowie seine Familie und Bedienstete errichtet, dient es heute aber als Wohnraum für acht Menschen.

Viel erlebt in 17 Jahren

Gegründet wurde die WG 2006. Damals wie heute dabei ist Gabriela. «Wir haben mit vier Mitbewohnern angefangen, waren dann aber schnell mal zu fünft. Bald merkten wir auch, dass noch mehr Per­sonen Platz haben», erinnert sie sich. Zu Spitzenzeiten hätten elf Personen im dreistöckigen Haus gelebt, erzählt sie. Zähle man alle bisherigen und aktuellen Bewohner zusammen, so komme man gut und gerne auf eine Zahl zwischen 40 und 50. Derzeit leben acht Personen im Gaberel-Bau – die Jüngste ist 36, der ­Älteste 57. Was früher wie heute gilt: «Wir sind keine Zweck-WG, sondern ­haben diese Wohnform bewusst gewählt», meinen alle einhellig. So bezeichnen die Bewohner ihren Alltag auch als «Familienleben». Doch man habe natürlich auch seine Privatsphäre, wenn man das wolle, meint Bruno. Gabriela ergänzt, dass es wohl so manches Ehepaar nicht so lange miteinander ausgehalten habe wie die Zauberberg-WG-Bewohner.

Es geht sportlich zu und her

Das Wohnzimmer ist der zentrale Ort im Haus – dort treffen sich diejenigen, die Lust haben, um zu quatschen und sich auszutauschen. Aber auch die gemein­samen Abendessen finden dort statt. Dass auch immer etwas auf den Teller kommt, dafür sorgen alle. In der Küche hängt ein auf zwei Wochen ausgelegter Plan, in dem jeder und jede eintragen kann, wann er oder sie zu Hause ist. Wer an diesem Abend kocht, weiss also, wie viele Portionen es zuzubereiten gilt. ­Apropos Essen: Direkt neben der Küche befindet sich die Vorratskammer. Diese werde jeweils gut gefüllt, vor allem im Herbst. Denn im Winter ist es nicht möglich, die steile und nicht asphaltierte Strasse von der Klinik zum Arzthaus hochzufahren. «Um ins Tal zu kommen, fahren wir meist mit den Skiern hinunter. Um wieder hochzukommen, nehmen wir oft die Schatzalpbahn und fahren durch den Wald hierher», erzählt Jutta. Im Sommer sind die meisten zu Fuss oder mit dem Velo unterwegs. Doch die Bewohner machen Sport nicht nur zum Zweck – auch in der Freizeit sind sie oft in der Natur unterwegs. Die dafür notwendigen Utensilien wie Velos, Tourenskis und Snowboards lagern sie im geräumigen Keller im Untergeschoss.

Auf der Suche

Genau ein solcher Keller wäre eine Bedingung, die eine neue Behausung er­füllen müsste. Denn die WG muss ausziehen – endgültig. Infolge des Neu- und Umbauprojekts auf dem Klinikareal wurde den Bewohnern gekündigt. Nun sind sie auf der Suche nach einer neuen Bleibe. Gerne würde die WG zusammenbleiben. Doch angesichts der angespannten Wohnungssituation in Davos ist dies keine einfache Ausgangslage. Zumindest in einem Punkt sind die Bewohner bescheiden: Die neue WG müsse nicht mitten in Davos liegen – das tue die jetzige ja auch nicht. Doch ein eigenes Zimmer für jeden und jede, das wäre eine Anforderung an eine neue Wohnung. «Wenn wir nichts finden, müssen wir unter Umständen von Davos wegziehen», sorgt sich Jutta. Bruno ergänzt, dass die Wohnungssituation in Davos viele negative Auswirkungen auf den hiesigen Arbeitsmarkt habe. «Wenn Leute, die sogenannt einfache Arbeiten hier verrichten, keine Wohnung finden, werden sie verdrängt.» «Wieso soll man uns auseinanderreissen?», fragt sich ­Gabriela. «Wenn wir nun alle separat wohnen würden, bräuchten wir ja viel mehr Wohnfläche – was angesichts der Wohnungsknappheit ja keinen Sinn ­machen würde.»

Auch wenn man sich bewusst sei, dass man so etwas wie das Arzthaus nie wieder finden werde – die Suche nach einer neuen Wohnung laufe schwierig. «Emotional geht es rauf und runter», berichtet Jutta. Zu hoffen ist, dass eine Leserin oder ein Leser dieses Artikels ein passendes Angebot – eine Unterkunft mit 6 bis 8 Zimmern – vermitteln könnte. Angst, dass die Zauberberg-WGler einem die Hütte auseinandernehmen, müsse man sicherlich nicht haben, betonen alle. «Wir sind auch keine Party-WG, sondern leben als Grossfamilie», sagt Jutta. Und man schaue auch gut zum Haus. So hat die Truppe beispielsweise auch den Gemüsegarten vor dem Haus reaktiviert. Auch besinnlich kann es in der WG zu- und hergehen, beispielsweise, wenn Weihnachten gefeiert wird. Damit diese heuer nicht zum letzten Mal gemeinsam über die Bühne gehen, ist aber wohl ein kleines Wunder notwendig.

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