Liebe Glarnerinnen und Glarner, wir müssen uns über den Geruch von Ziger unterhalten
Redaktionsleiter Sebastian Dürst findet, dass Ziger stinkt. Und wagt sich an eine etwas andere Liebeserklärung an unseren «Nationalkäse».
Redaktionsleiter Sebastian Dürst findet, dass Ziger stinkt. Und wagt sich an eine etwas andere Liebeserklärung an unseren «Nationalkäse».
Eine Spezialität aus der Heimat kann man sich nicht auslesen, man muss sie einfach gut finden. Darum trinken die Walliser ja immer noch Chasselas und die St. Galler haben das Gefühl, eine Bratwurst ohne Senf sei irgendwie besser. Das Schicksal hat uns Glarnerinnen und Glarner im Mittelfeld der Esswarenspezialitäten platziert: Wir können zwar kein Fondue oder Panettone bieten, immerhin aber die Glarner Pastete und die Kalberwurst. So weit, so gut.
Nun ist es aber so, dass unser Kanton im Rest der Schweiz weder Kalberwurst-Graben noch Pasteten-Täli heisst. Wir sind der Zigerschlitz. Weil halt wirklich nur noch bei uns der Glarner Schabziger hergestellt wird. Und weil der halt so unverwechselbar in Geschmack und Form ist, dass er uns Bekanntheit weit über die Schweiz hinaus beschert hat.
Während man die Kalberwurst (als Ignorant) auch als normale Bratwurst betrachten kann und die Glarner Pastete eine von Hunderten von Blätterteigsüssigkeiten ist, gibt es so etwas wie Ziger sonst nirgends. Wir Glarnerinnen und Glarner sind darum in aller Regel stolz auf unseren «Kräuterkäse».
Der Hass: Warme Zigerbrüüt am Apéro
Mein Lieblingszigermoment ist immer dann, wenn ich zusammen mit ausserkantonalen Gästen Ziger essen kann. Wenn ich fachmännisch die Zigerbrüüt koste und den Butteranteil als zu hoch einschätze. Ich kann dann die Zigerbrüüt-Macher verständnisvoll verteidigen: «Sie wissen wohl, dass viele Gäste von ausserhalb kommen und dann nicht so viel Ziger verleiden.» Oder wenn ich die Gäste in der Beiz bei den Zigerhöräli vorwarnen kann: «Das hat man gern oder nicht, wenn man nicht damit aufgewachsen ist.»
Ich mag Ziger, ich würde sogar fast von Liebe sprechen. Es gibt aber etwas, über das man im Glarnerland sehr ungern spricht: Ziger stinkt! Es ist eine meiner ältesten Kindheitserinnerungen, wie ich das Burgschulhaus in Glarus als Erstklässler verlasse und eine Wolke Zigergeruch aus der Ygruben mich voll erwischt. Es schüttelt mich noch heute, wenn ich an das Ekelgefühl in diesem Moment denke.
Seit diesem Moment habe ich viele weitere Gestankserlebnisse gesammelt: Nach dem Fondue zu Hause rieche ich nicht den Käse, sondern nur den Ziger. Den lagere ich jeweils gerieben in einem Schälchen, um die Brot-Fondue-Würfel darin zu tunken. Und wenn ich in der Milchzentrale meines Vertrauens am Samstag Glace kaufe, hoffe ich immer, dass die Zigerbrüüt schon ausverkauft sind. Und Apéros! Im Glarnerland gibt es keinen Apéro ohne Ziger in irgendeiner Form. Die Duftwolke wird in dem Fall noch schlimmer: Billiger Fendant (Chasselas-Trauben!) mischt sich mit dem betäubenden Geruch von Ziger. Das wird besonders schlimm, wenn die Brüüt eine Stunde lang in der Wärme gelegen sind und nur noch die unbeliebten Varianten (mit Trauben zum Beispiel) auf einen hungrigen Apéroteilnehmenden warten.
Eine Ironie des Schicksals
Versteht mich bitte nicht falsch: Ich will unseren Käse nicht schlecht schreiben. Im Gegenteil: Ich leide darunter, dass ich ein so köstliches Lebensmittel tatsächlich in der Nase kaum ertragen kann. Es ist wohl eine Ironie des Schicksals, dass unser Dialekt zwischen «riechen» (schmöggä) und schmecken (schmöggä) keinen Unterschied macht.
Ich glaube nicht, dass meine Liebe für den Zigergeschmack bei gleichzeitigem Hass auf den Zigergeruch etwas Besonderes ist. Ich glaube, dass sich viele Glarnerinnen und Glarner schlicht nicht trauen, ihre Abneigung gegen den Geruch öffentlich zu gestehen.
Darum hoffe ich, dass dieser Beitrag dazu führt, dass wir offen über dieses Thema sprechen können, ohne die Glarnerischkeit des Gesprächspartners zu untergraben. Oder will mir die tatsächlich jemand absprechen?
Sebastian Dürst ist Redaktionsleiter der «Glarner Nachrichten». Er ist in Glarus geboren und aufgewachsen. Nach Lehr- und Wanderjahren mit Stationen in Fribourg, Adelboden und Basel arbeitet er seit 2015 wieder in der Heimat. Er hat Religionswissenschaft und Geschichte studiert. Mehr Infos
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Während dem lesen von diesem…
Während dem lesen von diesem Artikel, bekam ich immer mehr Lust auf Ziger.