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Mein Weg nach Glarus: Wie Vorurteile und Bürokratie meine Ankunft in der Schweiz vermiesen

Woher kommst du wirklich? Yvonne Samsarova beschreibt, wie Vorurteile ihr Ankommen in der neuen Heimat erschweren – und warum sie oft nur die «Ausländerin» bleibt, obwohl sie hier lebt und arbeitet.

Yvonne
Samsarova
22.10.24 - 17:25 Uhr
Glarus
Ein Ausflug in die Natur endet mit zu ernüchternden Begegnungen: Das Gefühl des Fremdseins begleitet viele «Ausländer» – wie unsere Redaktorin Yvonne Samsarova – auf Schritt und Tritt. 
Ein Ausflug in die Natur endet mit zu ernüchternden Begegnungen: Das Gefühl des Fremdseins begleitet viele «Ausländer» – wie unsere Redaktorin Yvonne Samsarova – auf Schritt und Tritt. 
Bild Catalin Balcau 

Wir sind wandern, mein Freund und ich. Das Wetter ist schön, die Laune gut, die Natur atemberaubend – immer wieder kommen Menschen an uns vorbei, wir grüssen sie freundlich mit einem «Grüezi», sie uns ebenso. Schliesslich erreichen wir unser Ziel: den Bachtelturm im Kanton Zürich. Oben angekommen, geniessen wir die Aussicht und bewundern die Berge. Eine ältere Dame neben uns fragt freundlich, ob sie uns etwas erklären könne. Ah, denke ich, wie nett die Menschen hier doch sind, so offen und zuvorkommend! Wir unterhalten uns darüber, wie wichtig es ist, sich eine Auszeit zu nehmen, wie kraftspendend die Natur ist und wie schön die Schweiz ist.

Dann der Wendepunkt: Die Dame fragt uns, wie lange wir denn noch in der Schweiz bleiben. Sie hält uns offenbar für Touristen. Freudig antworte ich: «Wir bleiben hier.» Mein Freund fügt hinzu, dass wir erst seit ein paar Wochen hier sind. Plötzlich verändert sich ihre Miene. Ihr Gesicht verzieht sich, und nach einem tiefen Seufzer sagt sie: «Ah, dann gehören Sie auch zu diesen Neuankömmlingen. Dabei haben wir doch schon genug Leute hier.»

Der ständige Druck, sich rechtfertigen zu müssen  

Mein Freund und ich sehen uns fassungslos an. Was sagt man auf so etwas? Sie fährt fort: «Neun Millionen Menschen haben wir schon hier, wie viele wollen denn noch kommen?!» Ich erkläre ihr, wie dankbar ich bin, dass wir das Privileg haben, uns aussuchen zu können, wo wir leben – im Gegensatz zu vielen, die aufgrund von Krieg oder anderen Umständen gezwungen sind zu fliehen. Ich erwähne auch, dass ich Journalistin bin und auf Digitalisierung spezialisiert bin. Mein Freund ergänzt, dass er für die Europäische Kommission gearbeitet hat. Ohne es zu wollen, beginnen wir, uns zu rechtfertigen. Es ärgerte mich im Nachhinein, dass wir uns überhaupt in diese Position gedrängt fühlten.

Die Dame schien unsere Bildung und Arbeit zu beruhigen, das ungute Gefühl aber blieb. «Viele sind doch nur wegen des Geldes hier», sagte sie noch. Mein Freund und ich hätten in Brüssel arbeiten können, wo wir lukrative Angebote hatten, aber wir haben uns bewusst für die Schweiz entschieden. Trotzdem fühlten wir uns an diesem Tag wie Eindringlinge, die sich erklären müssen.

Unterschiedliche Erfahrungen in Brüssel und der Schweiz

Im Nachhinein betrachtet gibt es eine Sache, die ich an Brüssel besonders schätze – vor allem jetzt, wenn ich vergleiche: Auch dort spielte es eine Rolle, woher man kommt, aber auf eine positive Art. Jeder war neugierig, weil fast alle von irgendwo anders herkamen. Es war selbstverständlich, dass jeder seinen Platz suchte, um zu arbeiten und sich zu vernetzen, ohne grosse Erklärungen oder Vorurteile. Diese Offenheit liess uns schnell heimisch fühlen, auch wenn Brüssel uns in anderen Aspekten nicht überzeugte. In der Schweiz hingegen wird das «Ausländer-Dasein» ständig thematisiert – sei es durch Fragen oder bürokratische Hürden. Aber die Zugehörigkeit zu einem Land sollte doch nicht von einem Ausweis oder einem Namen abhängen.

Die Wanderung war nur ein Beispiel für diese alltäglichen Begegnungen, welchen man als «Ausländerin» ausgesetzt ist. Später, als wir zurück in unserer Wohnung waren, erlebten wir eine weitere unangenehme Begegnung. Unsere Nachbarin warnte uns vor einem anderen Nachbarn, der angeblich «sicherlich etwas stehlen würde», weil er ein Ausländer sei. Dann, als sie meinen Namen hörte, den ich mindestens vier Mal wiederholen musste, seufzte auch sie: «Ach so, ja, das ist dann wohl was aus dem Osten.» In dem Moment erwischte ich mich selbst dabei, wie ich mir wünschte, einen «einfacheren» Namen zu haben, nur um nicht ständig erklären zu müssen, wer ich bin, woher ich komme und warum ich denn da bin.

Bürokratische Herausforderungen

Dieses Gefühl der Fremdheit wird durch die Bürokratie weiter verstärkt. Der Ausländerausweis, auf den ich seit Wochen warte, macht es nicht einfacher, sich hier heimisch zu fühlen. In der Zwischenzeit sind alltägliche Dinge wie das Eröffnen eines Bankkontos oder der Abschluss einer Versicherung unnötig kompliziert. Eine Freundin scherzte: «Jetzt wirst du dann offiziell Ausländerin.» Aber wie soll man sich in einem Land wirklich zu Hause fühlen, wo man auf dem Papier als «Ausländer» kategorisiert wird?

Ich frage mich, wie es Menschen geht, die nicht das Glück hatten, wie ich schon als Kind Deutsch zu lernen oder deren «Ausländersein» ihnen direkt ins Gesicht geschrieben steht. Ein Leben lang müssen sie sich rechtfertigen, obwohl sie hier aufgewachsen sind und Schweizerdeutsch sprechen.

Warum glauben manche, dass sie allein durch ihre Geburt in diesem Land mehr Rechte hätten als andere, die bewusst und mit grosser Mühe beschlossen haben, hier ein neues Leben aufzubauen?

Ein Umzug in ein neues Land ist kein einfacher Schritt. Es sind nicht nur die bürokratischen Hürden, sondern auch Freunde und Familie, die man zurücklässt, in der Hoffnung, an einem neuen Ort eine bessere Zukunft zu finden.

Die Sache mit den Vorurteilen 

Und während ich diese Erlebnisse verarbeite, denke ich daran, wie leicht es wäre, selbst Vorurteile zu entwickeln. Ich könnte jetzt sagen, dass alle Schweizerinnen und Schweizer rassistisch und ausländerfeindlich sind, basierend auf diesen Begegnungen, die übrigens nicht die einzigen waren – das war nur an einem Tag. Aber das wäre genauso ungerecht, wie wenn andere aufgrund der Herkunft oder eines Akzents vorverurteilen. Ich weiss, dass nicht alle Menschen gleich sind. Aber das Beispiel zeigt, wie gefährlich Vorurteile sind, wenn man nicht reflektiert und Dinge hinterfragt. Daher ist es enorm wichtig, immer wieder das Gespräch zu suchen, damit sie nicht weiterwachsen.

Nach diesen Erlebnissen war ich froh, beim Mittagessen mit meinen Kolleginnen und Kollegen darüber sprechen zu können. Ihre Reaktionen waren ähnlich fassungslos wie meine, und sie ermutigten mich, über diese Begegnungen zu schreiben. Ich muss auch sagen, dass ich bisher im Kanton Glarus keine solchen Bemerkungen bekommen habe. Ich bin gespannt, ob es so bleibt und ob Diskriminierung vielleicht auch eine Kantonssache ist. 

Letztlich hoffe ich, mit diesem Text einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, das Bewusstsein für solche Probleme zu schärfen. Wir alle sind Menschen mit individuellen Geschichten, Träumen und dem Wunsch, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Niemand sollte sich in einem Land, in dem man lebt und arbeitet, ständig rechtfertigen müssen – unabhängig von Herkunft oder Namen. 

Könnt ihr Yvonne nachfühlen?

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Über die Kolumne «Wien, Brüssel, Ennenda»
Geboren in München und aufgewachsen zwischen Berlin, Sofia und Wien, hat Yvonne Samsarova in drei Ländern Wurzeln geschlagen – Bulgarien, Deutschland und Österreich. Doch jetzt erobert sie ihre vierte Heimat: die Schweiz. 

Als Journalistin hat sie in Wien und zuletzt in Brüssel für die ARD gearbeitet. Ihre Leidenschaft im Journalismus liegt darin, Menschen eine Stimme zu geben, die oft überhört werden. 

Der Traum, in den Bergen zu leben, hat sie schon lange begleitet, und nun wird er wahr. Sie freut sich riesig darauf, die Schweiz und vor allem ihre Menschen besser kennenzulernen – und ihre Geschichten zu erzählen! In dieser Kolumne berichtet sie über ihre ersten Erlebnisse im Glarnerland.

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