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April, April: Matthias Schnyders neue «Kalberwurst» kommt ohne Fleisch aus

Der Netstaler Matthias Schnyder revolutioniert das Glarner Traditionsprodukt und verkauft nach langem Pröbeln die erste vegetarische Alternative zur Kalberwurst - aber nur als Aprilscherz.

Sara
Good
01.04.23 - 04:30 Uhr
Wirtschaft
Gemüse-Innovation: Matthias Schnyder produziert nun aus Blumenkohl und Tofu eine vegetarische Alternative zur Kalberwurst.
Gemüse-Innovation: Matthias Schnyder produziert nun aus Blumenkohl und Tofu eine vegetarische Alternative zur Kalberwurst.
Bild Sasi Subramaniam

Alle Glarner Metzgermeister haben ein Kalberwurstrezept, nur Matthias Schnyder hat zwei. Monatelang hat der Netstaler gepröbelt, bis er endlich zufrieden war. Nun liegt seine neuste Kreation vor ihm auf dem Teller. Optisch ist sie vom Original kaum zu unterscheiden: Die weisse Wurst dampft vor sich hin und verströmt einen herzhaften Geruch in der Metzgerei.

Schnyder nimmt einen Löffel und übergiesst sie mit weisser Zwiebelsauce. Dann schneidet er ein Stück ab, der Happen verschwindet in seinem Mund und auf des Metzgermeisters Gesicht breitet sich eine zufriedene Miene aus. «Ich wäre bestimmt der Letzte gewesen, der gedacht hätte, dass dieser Geschmack auch ohne Fleisch möglich ist!»

Der Darm ist «fake»

Ab diesem Wochenende nimmt Matthias Schnyder die Wurst, die eigentlich keine ist, in das Sortiment der Molki in Netstal auf. Statt Kalb-, Schweinefleisch und Speck landen im vegetarischen Pendant unter anderem Blumenkohl, Maismehl und Tofu. Ansonsten seien die Zutaten dieselben: Milch, Gewürze und Brot. «Damit die Wurst vegetarisch ist, füllen wir sie in einen Kunstdarm aus Zellulosefasern», erklärt Schnyder. Die Illusion scheint perfekt.

«Ich wollte das Glarner Kulturgut auch Menschen zugänglich machen, die kein Fleisch essen»

Matthias Schnyder, Metzgermeister aus Netstal

Täuschen will der 57-Jährige mit seiner Vegiwurst aber niemanden. Im Gegenteil: «Der Trend geht immer mehr hin zu vegetarischen Alternativen. Ich wollte das Glarner Kulturgut auch Menschen zugänglich machen, die kein Fleisch essen», führt Schnyder die Idee hinter seiner Kreation aus. Bisher habe er ausschliesslich positive Rückmeldungen zum Geschmack erhalten.

Test für die Landsgemeinde

Die Herstellung unterscheide sich nicht gross – einzig, dass andere Zutaten im übergrossen Mixer, dem sogenannten Kutter, landen. Die Klingen zerkleinern und vermischen alles miteinander, bis eine zähflüssige Masse entsteht. Diese wird in die Hülle gefüllt und dann in einem 75 Grad heissen Wasserbad gekocht, um das Produkt länger haltbar zu machen. Rund 100 Stück hat Schnyder in einer ersten Charge hergestellt, als Hauptprobe für den grossen Auftritt in rund einem Monat an der Landsgemeinde.

Das genaue Rezept ist geheim: Matthias Schnyder verrät aber, dass in der vegetarischen Wurst unter anderem Lauch, Blumenkohl und Tofu landen.
Das genaue Rezept ist geheim: Matthias Schnyder verrät aber, dass in der vegetarischen Wurst unter anderem Lauch, Blumenkohl und Tofu landen.
Bild Sasi Subramaniam

Dass eingesottene Kalberwurst-Fans ob der vegetarischen Alternative die Nase rümpfen könnten, ist Matthias Schnyder wurst. Die Zusammensetzung des Traditionsprodukts war sowieso jahrzehntelang ein Politikum: Die Kalberwurstrezeptur war anfangs des 20. Jahrhunderts so umstritten, dass die Landsgemeinde 1920 den genauen Inhalt per Gesetz festlegte.

Der Streit ging auf nationaler Ebene weiter, weil die Zugabe von nicht fleischlichen Zutaten zum Wurstbrät eigentlich verboten war. In eine Kalberwurst gehört aber Weissbrot. Nach langem Kampf erhielten die Glarner Metzgermeister 1957 eine Sonderbewilligung für die Herstellung. Der Glarner Kalberwurst-Streit wurde 1992 beigelegt. Seit dann erlaubt das schweizerische Lebensmittelgesetz, dass man dem Brät auch Brot beimischen darf.

«Alles schmeckt gleich»

Diese Hürde stellt sich Matthias Schnyder somit nicht mehr. Da die Kalberwurst als Spezialität aber geschützt ist, nennt er sein Produkt nun «Vegetarische Wurst nach Glarner Art». Mit dieser möchte er das schon vielfältige vegetarische und vegane Sortiment aufmischen, welches Schnyders persönlichen Gout überhaupt nicht trifft: «Vieles wird mit Erbsenmehl produziert. Deshalb schmecken die meisten Produkte gleich», bemängelt er.

Matthias Schnyder ist sozusagen Geschmacksexperte. Schon dreimal setzte er seine Sensorik am Ausbildungszentrum für die Schweizer Fleischwirtschaft in Spiez BE ein. Mit drei Jury-Gspändli probiert er jeweils einen ganzen Tag lang Produkte, die dem Zentrum eingeschickt werden. Zwischendrin neutralisiert er seinen Geschmack mit Apfelschnitzen oder einem Schluck Wasser. «Dabei spielen persönliche Vorlieben keine Rolle. Wir haben Kriterien wie Geschmack, Konsistenz oder Aussehen, um die Produkte zu bewerten», so der Metzgermeister.

Zurück zum Teller, der vor Matthias Schnyder auf dem Tisch steht. Er spiesst den letzten Bissen mit der Gabel auf, tunkt ihn in die Sauce und verspeist ihn. Bei aller Liebe für seine Wurstalternative muss er ehrlicherweise zugeben: «Wenn ich mich entscheiden müsste, wäre mir die richtige Kalberwurst dann doch lieber.» Trotzdem ist er gespannt, wie seine vegetarische Spezialität nun bei den Kundinnen und Kunden ankommt. Deshalb kann man das Produkt am Samstag um 10 Uhr gratis in der Molki in Netstal probieren.

Sara Good verantwortet die Glarner Inhalte auf «suedostschweiz.ch». Zudem kreiert sie multimediale Inhalte und schreibt Artikel für die «Glarner Nachrichten». Sie hat den Diplomlehrgang am MAZ absolviert und Multimedia Production in Chur studiert. Mehr Infos

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Wenn man am Ball bleiben will, muss man solche Ideen haben.Da es immer mehr Leute gibt ,die sich vegetarisch oder vegan ernähren wollen.

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