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Mein vermeintliches Midlife-Crisis-Mobil

Sein Auto entspricht dem männlichen Midlife-Crisis-Klischee, es ist für unseren Autor aber so viel mehr als das.

25.05.22 - 16:30 Uhr
Eine lange gemeinsame Geschichte: Der Fiat 124 Spider ist drei Jahre älter als unser Autor.
Eine lange gemeinsame Geschichte: Der Fiat 124 Spider ist drei Jahre älter als unser Autor.
Bild David Eichler

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

Als Auslöser für die Midlife-Crisis gilt allgemein die Erkenntnis, sterblich zu sein. Zu dieser Einsicht kommen, wenn man Wikipedia glauben darf, Menschen im Alter zwischen 30 bis 55 Jahren. Wobei ich finde, dass 30 für Midlife etwas pessimistisch und 55 etwas optimistisch ist. Wie dem auch sei. Als Spät-Millennial befinde ich mich mittendrin. Also nicht in einer existenziellen Krise, aber in der Altersgruppe, die aktuell eine solche Midlife-Crisis haben könnte.

Bei aller Ernsthaftigkeit, die eine solche Krise mit sich bringt – man kann sich als Betroffener sehr gut Hilfe holen –, gibt es auch einige Klischees über, insbesondere, Männer in der Midlife-Crisis. Sei es, dass sie sich eine junge Freundin suchen, sich einen Sportwagen oder einen Töff zulegen oder sich in jugendliches Outfit zwängen, das definitiv nicht mehr ihrem Alter entspricht. Nach Lust und Laune gerne auch eine Kombination aus allen Aspekten.

Ich besitze seit einigen Jahren ein Auto, das diesem Klischee entsprechen kann. Einen Fiat 124 Spider von 1978. Dass ich den fahre, hat aber nichts mit einer allfälligen Midlife-Crisis zu tun. Das Auto hatte sich mein Vater 1978 gekauft. Er war damals 37. Ob er sich das Auto aufgrund einer Sinnkrise zugelegt hat, weiss ich nicht. Was ich weiss: Ich habe das Auto schon als Kind gefeiert und mich jedes Mal gefreut, wenn wir gemeinsame Ausfahrten machten. Ich kann mich sogar an Ausflüge erinnern, bei denen wir zu viert – also Mutter, Vater, Schwester und ich – mit dem Fiat unterwegs waren.

Seltene Kombination: Im Schnee steht der Fiat 124 Spider kaum. Den Winter verbringt er in der Garage.
Seltene Kombination: Im Schnee steht der Fiat 124 Spider kaum. Den Winter verbringt er in der Garage.
Bild David Eichler

Als ich den Führerschein hatte, das ist mittlerweile auch schon 23 Jahre her, wollte ich natürlich so schnell wie möglich auch alleine mit dem Fiat fahren. Ich durfte und so machte ich mit Freunden und manchmal auch mit Angebeteten kleinere und grössere Ausflüge. Dabei kam es immer Mal wieder zu der einen oder anderen Panne. Ich muss gestehen, dass ich von Motoren nur wenig und vor allem nur sehr theoretische Ahnung habe. Entsprechend früh in meiner Autofahrerkarriere wurde ich TCS-Mitglied. Was ich seither nie bereut habe. Ich kann mich gut erinnern, als ich mit meinem besten Freund aus Handelsmittelschulzeiten in Bellinzona auf die Autobahn fuhr, und der Fiat plötzlich den Dienst verweigerte. Komplett. Nicht einmal Licht und Blinker funktionierten. Wir winkten uns auf den Pannenstreifen.

In solchen Momenten rief ich früher immer als Erstes meinen Vater an. Er war im Gegensatz zu mir ein absolutes Motorengenie. In meiner Erinnerung hat er alles reparieren können und ich stand bewundernd und die Taschenlampe haltend daneben. Er machte eine kurze Ferndiagnose, sagte aber auch, dass ich den TCS anrufen solle. Gesagt, getan. Ich versuchte, dem italienischsprachigen Pannenhelfer in seiner Muttersprache zu erklären, was passiert war. Es klappte. Er reparierte das Auto behelfsmässig und sagte mir (auf Italienisch), dass ich vorsichtig weiterfahren und einen allfälligen Kabelbrand löschen solle. Auf jeden Fall sollte ich den Fiat noch zur Garage bringen und Zündung, Zündspule und Zündkerzen überprüfen lassen. Es gab dann keinen Kabelbrand.

Auch das kommt vor: Bei einem so alten Auto muss man mit der einen oder anderen Panne rechnen.
Auch das kommt vor: Bei einem so alten Auto muss man mit der einen oder anderen Panne rechnen.
Bild David Eichler

Mit der Zeit wurde ich zum häufigsten Lenker des Cabriolets, und als mein Vater vor einigen Jahren aus Altersgründen seinen Führerschein abgab, ging der Fiat in meinen Besitz über. Seither steht er im Winter in der Garage und wird im Sommer eingelöst, in den Service gebracht und nur bei schönem Wetter ausgefahren. Hin und wieder kommt es noch zu einem Pannenerlebnis. Meinen Vater kann ich seit einiger Zeit nicht mehr anrufen. Vor ein paar Jahren wurde bei ihm Demenz diagnostiziert und im letzten November ist er verstorben. Ich vermisse ihn sehr.

Bei jeder Ausfahrt denke ich an meinen Vater, und wenn es mal zu einer Panne kommen sollte, werde ich mich wohl konzentrieren müssen, um nicht seine Nummer zu wählen, die ich noch immer im Handy gespeichert habe, sondern die Pannenhilfe anzurufen. Vielleicht habe ich auch Glück und bekomme, wie letzten Sommer, Hilfe von jemandem, der in der Nähe des Pannenortes wohnt, zufällig von meiner Panne erfahren hat, selber auch alte Autos fährt und mir spontan zu Hilfe eilt. Ich war auf dem Weg von Bern nach Chur und hatte am Susten eine Panne. Ich rief den TCS an und wartete. Nach 20 Minuten hielt ein 2CV neben mir. Darin sass Ruedi. Er hatte vom Postauto-Chauffeur, der zehn Minuten davor an mir vorbeigefahren war, erfahren, dass hier ein älteres Auto mit Panne steht. Da er selber ähnlich alte Autos hat, fuhr er zu mir hoch und half mir bei der Panne. Es gab dann sogar noch Kirschtorte bei ihm und seiner Partnerin zu Hause. Oldtimer verbinden. Ruedi, falls du das liest, vielen herzlichen Dank nochmals.

Ich fahre ein Auto, dass jedem Midlife-Crisis-Klischee gerecht wird. Es ist so viel mehr für mich und ich hoffe, dass ich es auch noch fahren kann, wenn ich das Midlife-Crisis-Alter hinter mir gelassen habe.

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Lieber David. Das Leben in jedem Alter bewusst erleben und auch geniessen bedarf keines vermeintlichen Statussymboles.
Deine Geschichte ist mir ans Herz gegangen und das nicht etwa als Oldtimer-Liebhaber aber als Midlifer....