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«Ich fühle mich meiner Rechte beraubt»

Grossbritannien hat offiziell die EU verlassen. Der Austritt wird gefeiert, aber auch bedauert. Die Davoserin Beatrice Bass lebt und politisiert seit einigen Jahren in Brighton und hat die historische Nacht des EU-Austritts miterlebt. Eine potenzielle Heimkehr, ist für sie damit nicht einfacher geworden.

Philipp
Wyss
03.02.20 - 04:30 Uhr
Politik
Die Davoserin Beatrice Bass sieht im Brexit viele Nachteile.
Die Davoserin Beatrice Bass sieht im Brexit viele Nachteile.
ZVG

Beatrice Bass ist in Davos aufgewachsen, mit verschiedenen Bands um die ganze Welt getourt und wohnt seit 16 Jahren in Grossbritannien, heute in Brighton. Die Verbindung zu Graubünden – wohin sie jedes Jahr zurückkehrt – hat sie nie verloren. Sie stimmt immer noch in der Schweiz ab, politisiert aber auch für die Mittepartei «Liberal Democrats» in ihrer Wahlheimat England. Den Brexit hat sie damit hautnah miterlebt  und mit uns darüber gesprochen.

Beatrice Bass, in der Nacht auf Samstag hat Grossbritannien die Europäische Union verlassen. Wie war die Stimmung in Brighton in den Tagen davor?

Nach drei Jahren politischem Seilziehen und einem sehr aggressiven Wahlkampf im November/Dezember 2019, der von signifikanten Meinungsunterschieden geprägt war, ist die Stimmung seit dem 13. Dezember eigentlich eher ruhig und zufrieden. Die Bevölkerung ist erleichtert, dass nun eine gewisse politische Gewissheit und Klarheit herrscht, obwohl viele der Brexit-Hürden noch nicht gemeistert wurden. Die Leute akzeptieren, dass das UK die EU nun definitiv verlässt.

Nun ist es soweit: Grossbritannien gehört nicht mehr zur EU. Wurde das gefeiert?

Die «Brexiteers» sind überglücklich und reden von einem glorreichen «Independence Day», aber grosse Feiern am 31. Januar waren dennoch verboten um die Bevölkerung nicht noch mehr unnötig zu spalten und aufzuwühlen. Die Botschaften in London wurden explizit gebeten, keine Feiern zu halten und keine Celebrities einzuladen. Auch die Feierlichkeiten bei Westminster hielten sich in Grenzen  selbst Feuerwerke waren verboten.

Aber nicht allen war zum Feiern zumute?

Gleichzeitig machte sich am «Brexit Tag», dem 31. Januar, eine Traurigkeit bemerkbar. Viele Pro-Europäer waren sich bewusst, dass viele ihrer Rechte verloren gehen über Nacht, und dass für das UK ein neues Kapitel anfängt mit ungewissem Ausgang, basierend auf einem ungesunden Populismus und Lügen. In Brighton, London und Bournemouth trafen sich die Leute nach der Arbeit und hielten einen Umzug mit Kerzen ab. Die Kerzen waren symbolisch für Licht im dunkeln, ungewissen Brexit-Land.

Was verändert sich für Schweizer, die auf die Insel wollen?

Für Touristen ändert sich nicht viel. Bis Ende 2020 bleibt alles beim Alten. Danach sieht es im Moment so aus, dass Touristen für maximal 90 Tage in die Ferien kommen dürfen. Es wird schwieriger werden für Leute, die hier arbeiten und leben wollen. Visabestimmungen oder Einreisebestimmungen werden in einem neuen Handelsabkommen verankert. Die Schweiz hat bereits erste Verträge mit dem UK verhandelt, aber ich weiss nicht inwieweit dies bereits geregelt wurde und wie viel noch aussteht. Wer ernsthaft ins UK ziehen will, sollte dies bis Ende 2020 machen  so lange es noch einfach ist und solange die Rechte von Einwanderern noch geschützt sind. 

«Wer ernsthaft ins UK ziehen will, sollte dies bis Ende 2020 machen.»

Sie sind in Davos aufgewachsen, wohnen seit 16 Jahren in Grossbritannien. Welches ist die grösste Änderung, die der Austritt für Sie bringen wird?

Ich habe zwei Pässe, einen Schweizer und einen Britischen. Über Nacht verliere ich meine EU-Staatsbürgerschaft, die bislang automatisch mit der Britischen Staatsbürgerschaft verbunden war. Ich fühle mich meiner Rechte beraubt und empfinde meinen Britischen Pass als weniger wertvoll als bisher. Ich kam ursprünglich dank den bilateralen Verträgen und den vereinfachten Arbeitsbedingungen ins UK  also dank der EU eigentlich  und nun wird meine Zukunft durch den Abgang des UK aus der EU verbaut.

Inwiefern?

Ich habe meine Karriere von Musik auf Recht gewechselt und beide Bereiche werden einschneidende Veränderungen erleben. Meine englischen Qualifikationen als Juristin und Anwältin waren bislang automatisch in jedem EU-Mitgliedstaat anerkannt. Dies ändert sich nun und ein Auswandern in ein EU-Land oder in die Schweiz wird erschwert. Die Schweizer hatten ähnliche Rechte bezüglich Qualifikationen und Personenfreizügigkeit und meine Qualifikationen waren in der Schweiz anerkannt. Ab 2021 wird mir eine potenzielle Heimkehr erschwert, denn als Englische Anwältin müsste ich mich erst «umqualifizieren» lassen. Man stellt mir Hürden in den Weg, um ein internationales Leben führen zu können.

Beatrice Bass machte sich gegen den Brexit stark.
Beatrice Bass machte sich gegen den Brexit stark.
ZVG

Die Trennung kam nach knapp 50 Jahren. Ist das den Leuten vor Ort in Grossbritannien bewusst?

Ja natürlich. Es wurde oft diskutiert, wie gerade die Tories unter Margaret Thatcher einen Beitritt in den Binnenmarkt und in die EU (beziehungsweise den Vorgänger der EU) vorantrieben und das UK in all den Jahren eine treibende, wenn auch kontroverse, Kraft in der EU war. Der Populismus hat diese Sichtweise für gewisse Bevölkerungsschichten völlig umgeschrieben und viele «leavers», die anno dazumal positiv über einen EU-Beitritt dachten, sind der EU gegenüber nun negativ eingestellt.

Wovor fürchten sich die Menschen in Grossbritannien Ihrer Meinung nach am stärksten?

Auch da ist das Land geteilt. Die «Brexiteers» sind zuversichtlich und erhoffen sich ein goldenes Zeitalter. Die restliche Bevölkerung befürchtet eine Wirtschaftskrise und unter Umständen sogar eine Rezession. Obwohl man bei einem ordentlichen Brexit positives Wachstum voraussieht, dank dem das UK sogar die Eurozone übertreffen könnte, befürchten die meisten Engländer Chaos. Schliesslich ist Boris Johnson der Mann mit der Verantwortung  und Verantwortung und Organisation gehören nicht zu seinen Attributen. Eine andere Befürchtung sind auch die möglichen schwerwiegenden Konsequenzen auf unser Gesundheits- und Schulwesen. Viele Angestellte im Gesundheitswesen kommen aus den EU-27-Ländern.

Und worauf freuen sie sich?

Eine grosse Veränderung wie Brexit bringt auch neue Gelegenheiten. Man hofft, dass sich der Brexit auf lange Sicht positiv auf die Wirtschaft, die Identität und die Beziehung mit Nicht-EU-Ländern auswirkt. 

Grossbritannien will Verbündeter, Partner und Freund bleiben. Gibt es dazu auch wieder kritische Stimmen?

Nein, selbst die Brexiteers betonen, dass das UK zwar die EU verlässt, nicht aber Europa. Die meisten Leute mögen Europa und die Europäer  oder behaupten dies zumindest. Es ist die EU als Organisation, die bemängelt wird und der Mangel an Unabhängigkeit des UK als Mitglied dieser Organisation. 

Philipp Wyss ist Chefredaktor der gemeinsamen Redaktion der Zeitung «Südostschweiz» und der Internetseite «suedostschweiz.ch». Damit zeichnet er für das Team und für den Inhalt dieser Produkte verantwortlich. Mehr Infos

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Philipp Wyss, ich danke Ihnen fuer das Interview mit Beatrice Bass. Beatrice’s Meinung ueber die Situation ist am Anfang sehr einseitig, gegen Ende aber fair and balanced.
Jetzt ist die Zeit wo die EU sich selbst kritisch anschauen sollte, weg von all den rules and regulations, wo die EU vermutlich auch bestimmt auf welcher Seite am Streichholz das Zuendmaterial angebracht werden muss.

Nun, wie sagen es die Britten: you can’t eat the cake and still have it. oder anders rum gratis der füfer und s’weggli ha geht halt nicht mehr. als Juristin sollte ihr auch klar sein, dass das Anglosachsche Recht, common law, anders ticket und aufgebaut ist als das Recht in der Schweiz und EU, das auf der Basis des Römischen Recht steht.
Und der Brexit ist demokratisch legitimiert mit über 50% der Stimmenden. Accept it lady Bass
NB die Ch Botschaft in London gibt genau Auskünfte betr dem Abkommen CH -UK betr Arbeitsrecht und Wohnrecht nach dem Brexit für Schweizer.

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