Für ein lebenswertes Miteinander
Die Meldung, dass am Schamserberg erneut eine Mutterkuh von Wölfen angegriffen worden war, war erst wenige Stunden alt, als sich eine Filmcrew am Freitagmorgen Richtung Clavadeler Alp aufmachte. Ihr schon länger gehegtes Ziel: Mit Bauer Beni Kindschi einen Clip zu drehen, der Berggänger in Sachen Mutterkuhhaltung sensibilisieren soll.
Die Meldung, dass am Schamserberg erneut eine Mutterkuh von Wölfen angegriffen worden war, war erst wenige Stunden alt, als sich eine Filmcrew am Freitagmorgen Richtung Clavadeler Alp aufmachte. Ihr schon länger gehegtes Ziel: Mit Bauer Beni Kindschi einen Clip zu drehen, der Berggänger in Sachen Mutterkuhhaltung sensibilisieren soll.
Die Tiere auf Beni Kindschis Alp freuen sich sichtlich, als er mit seinem Auto vorfährt. Als er dann aussteigt, stürmen sie auf ihn zu. Denn in der Hand hält er einen Eimer mit Salz. Eine willkommene Nahrungsergänzung für die zwanzig Kühe und zwei Esel. Das Verhältnis zwischen Tier und Mensch scheint eng zu sein. «Die Beziehung zwischen dem Landwirten und seinen Tieren ist sehr entscheidend, denn sie sind unsere Existenz», meint Kindschi. «Wenn wir sie gut behandeln und so Vertrauen schaffen, können wir mit ihnen sommers wie winters problemlos umgehen». So würden einem die Tiere sehr ans Herz wachsen – fast wie die eigenen Kinder. Der Bauer betreibt die sogenannte Mutterkuhhaltung. Kommt ein Kalb auf die Welt, darf es so lange bei der Mutter bleiben, bis diese wieder Nachwuchs bekommt. Der Vorteil: Das Kalb darf in mütterlicher Obhut bleiben und an ihren Zitzen saugen. Entsprechend muss der Landwirt die Mutterkühe weniger oft melken.
Man merkt, dass Kindschi ein totaler Fan des Alpsommers ist. Er spricht von der «allerhübschesten Zeit im Jahr», und immer mal wieder während des Vormittags verweist er auf die prächtige Landschaft rundherum. Kindschis Alp liegt direkt bei der Talstation der Jazz-Quattro-Sesselbahn unterhalb des Jakobshorns. Ein wunderbarer Fleck für seine Tiere. «Wir haben das Privileg, dass wir auf die Alp gehen dürfen. In dieser Zeit brauchen wir kein Futter im Stall, sondern können die Weiden nutzen». Wäre dies nicht mehr möglich, wäre dies für den Clavadeler Landwirt eine Katastrophe. Nicht nur für ihn, wie er später noch ausführen wird.
Auch DDO will sensibilisieren
Grund für den frühmorgendlichen Besuch auf Kindschis Alp ist ein Videodreh. Auftraggeber ist die Davos Destinations-Organisation (DDO). Im Video soll der Alltag des Bauers beleuchtet werden, aber auch der Umgang mit Mutterkühen, wie auch Kindschi welche hat. Für eine Tourismusorganisation verständlich, soll das Erlebnis im Vordergrund stehen, und nicht etwa politische Ansichten zum Wolf. Doch Kindschi hat hierzu eine klare Meinung, wie er anschliessend gegenüber der DZ sagt: «Der Wolf gehört mittlerweile zum Alltag der Bündner Landwirtschaft. Bei einem Einzelwolf ist die Haltung von grossen Tieren – wie Kühe – auch kein Problem. Doch die Geschehnisse am Schamserberg lösen bei mir komplettes Unverständnis aus. Ich tu mich schwer damit, nachzuvollziehen, wie man es soweit kommen liess.» In der Zwischenzeit reagierte der Bund dann: Wie später am Tag bekannt wurde, dürfen nun zwei junge Wölfe aus dem Beverinrudel geschossen werden.
Ohne Alpnutzung geht es nicht
Doch zurück zu Kindschi. Für den Videoclip gibt er zahlreiche Tipps, die man bei einer Begegnung mit einer Mutterkuhherde beherzigen soll. Dazu gehört etwa, dass man bei der Begegnung mit einer solchen Herde seinen Hund an die Leine nimmt. Kommt es dennoch zu einem Angriffsversuch der Mutterkuh, muss der Hund aber freigelassen werden. Zu solch heiklen Situationen komme es am ehesten, wenn die Herde eine Begegnung mit dem Wolf hatte. «Die Kuh ist von der Evolution her ein Fluchttier und hat darum die Augen eher seitlich am Kopf. Der Wolf und der Mensch hingegen sind Jäger und haben das Augenpaar im Gesicht». Damit die Kühe einen Unterschied zwischen dem Homo sapiens und einem Tier, das ihnen etwas Böses will, machen können, beobachten sie die Alpenbesucher anhand des Ganges. Der aufrechte Mensch stellt somit kaum Gefahr dar. Doch hat er einen Hund dabei, ähnle dieser dem Wolf. Das Halten an der Leine könne den Kühen aber vermitteln, dass der Vierbeiner zum Menschen gehört.
Dieser Tipp und weitere, wie beispielsweise das Distanzhalten oder das Vermeiden eines Durchmarschierens mitten durch die Herde, gilt es also zu befolgen – egal ob vom Biker oder von der Wanderin. «Wenn man diese Tipps einhält, dann kann man ganz sicher einen schönen Tag in unserer wunderbaren Bergwelt geniessen», rundet der Landwirt seine Ausführungen ab. Denn nur mit einem konfliktfreien Miteinander lässt sich die Bestos-sung der Alpen in Zukunft erhalten. Könnte man die Tiere nur noch im Tal halten, hätte dies auch Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit im Lande. «Müssten wir die Tiere das ganze Jahr über im Stall halten, müssten wir viel Futter zukaufen – was das Problem mit dem Selbsternährungsgrad verschärfen würde». Denn eine Umstellung auf Ackerbau in den Alpen sei praktisch nicht möglich. Auch die Aufgabe der Alpbewirtschaftung hätte ihre Konsequenzen. So würde die Waldgrenze steigen und die Wiesen würden zunehmend überwachsen, was der Biodiversität sicher nicht dienlich sei. Doch Kindschi schaut optimistisch in die Zukunft. Und entfaltet der Videoclip der DDO dann seine Wirkung, steht einem wunderbaren Zusammenleben kaum mehr etwas im Wege.
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