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«Die Matura hat noch niemand geschenkt bekommen»

Vor ein paar Wochen wurde in Graubünden der Lockdown beschlossen. Auch Schulen wurden unter anderem geschlossen. Der Unterricht findet seitdem grösstenteils digital statt. So erleben Schüler die Situation und das meint Regierungsrat Jon Domenic Parolini über das Homeschooling.

Anna
Panier
02.04.20 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Viele Schülerinnen und Schüler befinden sich im Abschlussjahr. Wissen aber nicht, was auf sie zukommt.
Viele Schülerinnen und Schüler befinden sich im Abschlussjahr. Wissen aber nicht, was auf sie zukommt.
UNSPLASH

Aufgrund des Coronavirus haben die Bündner Regierung sowie der Bundesrat entschieden, die Schulen zu schliessen. Seit rund drei Wochen ist das Homeschooling zum Alltag vieler Bündner Schüler und Lehrer geworden. Aber wie ist der Unterricht zu Hause und was passiert mit den Abschlussprüfungen?

Beginnen wir mit der Meinung jener, die all die Entscheidungen und Massnahmen rund um die Situation getroffen haben. Jon Domenic Parolini, Regierungsrat und Vorsteher des Erziehungs-, Kultur- und Umweltschutzdepartements Graubünden (EKUD) meint gegenüber Radio Südostschweiz: «Ich bin beeindruckt, wie gut das Homeschooling funktioniert.» Es habe jedoch eine Vorbereitungszeit gebraucht, denn die Schulen im Kanton seien alle auf einem unterschiedlichen Stand gewesen.

Nun müssten aber alle Schulen Unterricht durchführen. Denn zum einen wolle man durch das Fernlernen den Schülerinnen und Schüler die Bildung gewährleisten. Zum anderen hoffe der Kanton Graubünden aber auch, die Familien, welche oft auch zu Hause sind, zu entlasten. Von den verantwortlichen Ämtern seien darum auch verschiedene Informationsschreiben an die Betroffenen verschickt worden. «Es gibt viele Herausforderungen für alle Beteiligten. Aber wir müssen das Beste aus der Situation machen», so Parolini.

Und wie sieht die Meinung der Leute aus, die direkt davon betroffen sind? Was halten Schülerinnen und Schüler vom Homeschooling? Wir haben nachgefragt:

Annalena Reif, De­tail­han­dels­fach­frau EFZ im dritten Lehrjahr. Schülerin des KV-Schulhaus in Chur: «Bei uns findet der Unterricht über eine Plattform der Schule statt. Für jedes Fach gibt es eine einzelne Gruppe. Unsere Lehrpersonen erteilen uns in den Gruppen die Aufträge. Nun hatten wir in den ersten Fächern sogar über Audio und Video Unterricht. Es ist reine Gewohnheitssache. Aber ich habe das Gefühl, wir Schülerinnen und Schüler lernen schlechter. Der Grund dafür ist die Distanz zu den Lehrpersonen. Dadurch gestalten sich die Erklärungen der Lehrpersonen schwieriger. Vor allem bei neuen Themen ist das eine Herausforderung.»

Ähnlich empfindet Lea Bläsi, Maturandin der EMS Schiers, die Situation: «Am Montag erhalten wir Aufträge für die ganze Woche. Diese können wir individuell einplanen und zum gegebenen Zeitpunkt wieder erledigt zurückgeben. In gewissen Fächern haben wir auch Video-Unterricht. Wer will, kann bei den Konferenzen mitmachen, das liegt in der Eigenverantwortung. Überhaupt arbeiten wir viel selbstständiger. Das ist für gewisse Schüler problematisch. Sie können nicht gut eigenständig planen und die Zeit managen. Andere wiederum haben kein Problem. Das Homeschooling ist eine gute Idee und die beste Lösung im Moment.»

Manuel Schwarz, Speng­ler EFZ im dritten Lehrjahr, steht dem Homeschooling kritisch gegenüber: «Aufgrund meiner Zweitlehre habe ich nur einen halben Tag Schule in der Woche. Wir erhalten dann jeweils einen Aufgabenplan von unseren Lehrpersonen. Diesen müssen wir abarbeiten und zur Kontrolle den Lehrern zurückschicken. Im Unterricht konnten wir immer wieder für uns wichtige Themen nachfragen. Dies fehlt zu Hause. Den Ausfall der Schule muss ich mit mehr Lernen kompensieren. Die Schule ist durch das Homeschooling mühseliger geworden, denn zu Hause habe ich Ablenkungen, die ich in der Schule nicht hatte.»  

Wie sehr der normale Schulbetrieb fehlt, merkt auch eine Maturandin der EMS Schiers, die gerne anonym bleiben möchte: «Mir fehlt der Frontalunterricht sehr. Jetzt, da wir nicht mehr auf diese Art und Weise Unterricht haben, merke ich, wie viel wir durch den Frontalunterricht gelernt haben. Grundsätzlich ist das Homeschooling aber nicht schlecht. Es bereitet uns ja auch teilweise auf ein späteres Studium vor. In einigen Studiengängen müssen die Themen auch eigenständig erarbeitet werden. Mir fehlt einfach der Kontakt zu meiner Klasse. Aber alles in allem ist das Homeschooling gut machbar.»

Abschluss soll sein, aber wie?

Das Homeschooling sorgt dafür, dass der normale Schulbetrieb weiter geht. Für viele Schülerinnen und Schüler stehen dieses Jahr noch Abschlussprüfungen an. Es ist aber kaum vorstellbar, dass Abschlussprüfungen in den eigenen vier Wänden stattfinden können. Wie handhabt man also diese Situation? Jon Domenic Parolini erklärt: «Verschiedene Arbeitsgruppen erarbeiten nationale Lösungen. Das Ziel ist, dass ein Abschluss für Lernende möglich ist. Bei den Maturitätsabschlüssen warten wir auf eine Entscheidung des Bundes und der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren.»

Momentan gelte das, was der Bund entschieden habe: Die während der Schulschliessung vorgesehenen (Abschluss-)Prüfungen im Rahmen des Qualifikationsverfahrens werden bis zu einem anderen Entscheid unverändert beibehalten. «Wir können nicht sagen, die Prüfungen finden nicht statt. So eine Aussage wäre einfach falsch», sagt Parolini und fügt hinzu, «Wichtig ist, dass sich die Schülerinnen und Schüler weiterhin konzentrieren und sich auf die Prüfungen vorbereiten.»

41'000 Leute wollen keine Abschlussprüfungen

Mit dieser Ungewissheit muss sich jedoch nicht nur die Regierung beschäftigen. Auch Schülerinnen und Schüler machen sich darüber Gedanken. Nun haben sich schweizweit solche junge Menschen zusammengetan. Auf Instagram werben sie für eine Petition. Die Forderung: «Keine Abschlussprüfungen in 2020». Der Abschluss soll aufgrund eines Durchschnittzeugnisses erfolgen. Ins Leben gerufen wurde die Petition von zwei Schülern. Mittlerweile haben mehr als 41'000 Personen die Petition unterstützt. Als Nächstes wollen die Initianten in einem offenen Brief an den Bundesrat ihre Forderungen klar machen.

Unsere Schülerinnen und Schüler aus dem Interview machen sich rund um das Thema auch Gedanken. Die Option, keine Prüfungen zu haben, begrüssen sie nicht. Im Gegenteil. Sie möchten ihr Abschlussjahr wie geplant erfolgreich abschliessen: 

Annalena Reif, De­tail­han­dels­fach­frau EFZ im dritten Lehrjahr sieht die Situation so: «Ich schliesse dieses Jahr meine Ausbildung ab. Die dazugehörigen Abschlussprüfungen zum Beispiel zu verschieben, finde ich krass. Wie würde es dann weitergehen? Müssten wir das Jahr wiederholen? Das würde ich nicht gut finden, denn ich habe bereits fixe Pläne für die Zeit nach dem Abschluss. Das würde sich dann alles verzögern. Grundsätzlich haben wir in zweieinhalb Jahren mehrheitlich alles gelernt. Die paar wenigen neuen Themen, die wir in den nächsten Wochen behandelt hätten, könnten bei der Prüfung gestrichen werden. Das wäre eine gute Lösung. Zurzeit sind ja sowieso alle Schüler zu Hause. Man hat also genug Zeit, um den Stoff zu repetieren und sich auf die Prüfungen vorzubereiten.»

Für Lea Bläsi, Maturandin der EMS Schiers ist das Absagen oder Verschieben der Abschlussprüfungen keine Option: «Bisher haben wir nicht gewusst, wie es um unsere Abschlüsse steht, aber nun herrscht Klarheit. Das Amt für höhere Bildung hat entschieden, dass nur der Stoff geprüft wird, der vor dem Homeschooling abgeschlossen wurde. Auch die Prüfungstermine bleiben bestehen, solange sich nichts ändert. Ich denke, die Prüfungen finden dann mit entsprechenden Massnahmen wie Schutzmasken, Abstand etc. statt. Das ist auch gut so. Es gibt diese Petition, die keine Abschlussprüfungen in 2020 verlangt. Das ist meiner Meinung nach unsinnig. Ich denke so würden auch Probleme auftreten. Es ist unfair gegenüber anderen Jahrgängen. Vielleicht gäbe es dann auch Beschwerden von kommenden Maturanden. Und schliesslich hat auch noch niemand die Matura geschenkt bekommen, also werden wir auch nicht die Ersten sein.»

Erfolgreich seinen Abschluss zu erhalten, ist auch das Ziel von Manuel Schwarz, Speng­ler EFZ im dritten Lehrjahr: «Ich hoffe schwer, dass die Prüfungen stattfinden. Bei mir ist es ja die zweite Ausbildung. Umso mehr möchte ich diese Lehre dieses Jahr korrekt abschliessen, damit ich anschliessend arbeiten kann und einen richtigen Lohn erhalte. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie das funktionieren soll, wenn keine Abschlussprüfungen stattfinden. Sollten dann alle Lernende noch ein zusätzliches Jahr in der Lehre bleiben? Das bringt kleinere Betriebe mit Arbeitsknappheit in Bedrängnis.
Zudem können die Lehrverbände auch nicht einfach entscheiden, dass wir alle ohne Prüfungen bestehen. Zurzeit habe ich keine Bedenken, dass ich meine Ausbildung nicht abschliessen kann. Wahrscheinlich müssten die Prüfungen einfach gestaffelt stattfinden, um den Gesundheitsvorschriften gerecht zu werden. Die Verantwortlichen finden bestimmt eine gute Lösung.»

Mehr Bedenken hat die anonyme Maturandin der EMS Schiers: «Im Moment mache ich mir Gedanken, dass ich keinen Abschluss erhalte. Ich höre vermehrt von Lernenden, die unterstützt werden. Aber von endgültigen Lösungen für uns Maturanden höre ich nichts. Man weiss nicht mit Sicherheit, ob die Prüfungen stattfinden können. Abgesehen von den Abschlussprüfungen wissen wir auch gar nicht, ob die ausstehenden Prüfungen vom zweiten Semester durchgeführt werden. Das ist teilweise schon belastend. Aber beispielsweise die Abschlussprüfungen abzusagen, damit bin ich gar nicht einverstanden. Ich habe schon geplant, wie es weiter geht. Es wäre ungünstig, wenn dies so nicht möglich wäre. Ich will meinen Abschluss in den nächsten Monaten machen.»

Wie Regierungsrat Jon Domenic Parolini betont, überprüft der Kanton Graubünden verschiedene Lösungen und Möglichkeiten. Ob, wann und wie die Abschlussprüfungen stattfinden, werde dann kommuniziert, wenn Klarheit herrsche. «Wir verfolgen die Situation mit grosser Aufmerksamkeit und werden dementsprechend auch Entscheidungen treffen», so die Worte des Regierungsrates.

Anna Panier arbeitet als Redaktorin bei Online/Zeitung. Sie absolvierte ein Praktikum in der Medienfamilie Südostschweiz und studiert aktuell Multimedia Production im Bachelor an der Fachhochschule Graubünden in Chur. Mehr Infos

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