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Der Polizist, der mit dem Koffer kommt

Seit 26 Jahren arbeitet Armin Ryser mit Begeisterung bei der Glarner Kantonspolizei. Seine Spezialität ist die Spurensicherung. Eine Uniform trägt er nicht. Für die Leute in Glarus ist er trotzdem immer der Polizist.

18.10.19 - 10:26 Uhr
Leben & Freizeit
Er schaut ganz genau hin: Armin Ryser von der Glarner Kantonspolizei sichert an Glarner Tat- und Unfallorten auch die allerkleinsten Spuren.
Er schaut ganz genau hin: Armin Ryser von der Glarner Kantonspolizei sichert an Glarner Tat- und Unfallorten auch die allerkleinsten Spuren.
CLAUDIA KOCK MARTI

Mit blitzenden Augen und einem strahlenden Lächeln sitzt Armin Ryser am Stubentisch in Glarus. Gleich geht es mit Ehefrau Catharina für ein paar Tage in die Ferien. Die Vorfreude ist ihm anzumerken. Um zuvor aus seinem Leben zu erzählen, schaltet er sein I-Pad auf. Eine Skizze erscheint: In der Mitte steht sein Geburtsdatum, darum herum Eckdaten und Strich-Zeichnungen zu Kindheit, Familie, Polizeilaufbahn und seinem Engagement bei Plusport. «Damit ich keinen Blödsinn erzähle», meint Ryser lachend. Da sitzt nicht nur ein gut vorbereiteter, sondern auch äusserst kommunikativer und humorvoller Mensch. So gar nicht der typische Polizist, wie man ihn sich vorstellt.

Finger-, DNA- und andere Abdrücke

Dann spricht er über seinen Beruf, von dem jeder eine Vorstellung hat, der gern Krimiserien schaut oder Krimis liest. Finger-, DNA- und Fussabdrücke bilden das A und O seines Handwerkes. Dazu kommen Mikrospuren in Form von Kleiderfasern, Werkzeugspuren und vieles mehr.

Er könnte auch von der Journalistin schon nach kurzer Zeit jede Menge Spuren aufnehmen. Der 49-jährige Kriminaltechniker öffnet die Balkontür. Vielleicht würde er dort bereits einen DNA-Abrieb von mir finden. Dies, obwohl ich die Tür nicht angefasst, ihm aber zuvor die Hand gegeben habe. Oder Abdrücke im Staub des Parkettes von Strümpfen oder auch von Fussschweiss, da ich die Schuhe vor dem Eingang ausgezogen habe. Von meinem Notizpapier könnte er sicher jede Menge Fingerabdrücke nehmen. Seinen Koffer, indem es Fingerabdruckpulver, Lupe, Stäbchen für DNA-Material, Latex-Handschuhe, eine Kamera und anderes hätte, liegt im Büro der Kantonspolizei. «Doch bin ich derjenige, der jeweils mit dem Koffer kommt», sagt der Spurensicherer, der einen speziellen Blick auf die Welt hat. So kommt es vor, dass er eine Fussspur im Schnee sieht und denkt, dass er sich darüber bei einem Fall freuen würde.

Armin Ryser «bereinigt» bei der Kantonspolizei unklare Situationen. Am Tat- oder Unfallort sichert er nach Möglichkeit brauchbare Spuren, die im besten Fall zu einem Täter oder einer Täterin führen. Und es kann spätabends werden, bis er eine Vorstellung davon hat, wie eine Balkontür genau aufgebrochen wurde und wie der Einbrecher danach vorging. Auch Täter schauten Krimis und versuchten, Fehler, also Spuren, zu vermeiden, fügt er an.

Bei einem Standardeinbruch machen er und sein Team alles selbst. Nach den Ermittlern befragt er ebenfalls die Betroffenen. Sein Kontakt zu Glarnerinnen und Glarner findet deshalb selten in einer lockeren Atmosphäre statt. Ausser er gibt eine Lektion in Einbruchsprävention. Da kann auch gelacht werden.

Und wie sichert sich jemand daheim, der immer wieder mit Einbrüchen zu tun hat? Ryser verrät, dass in der Nachbarschaft, in der drei Polizisten wohnen, auch schon eingebrochen wurde. Seine privaten Sicherheitsmassnahmen sind trotzdem nicht perfekt. Immerhin würde die Überwachungskamera ein Foto vom Einbrecher machen. Eine schöne Spur.

Wenn Ryser an einen Tatort kommt, dann in der Regel in Zivil. Den aus Krimis bekannten weissen Kittel und die Plastiküberschuhe zieht er nur an, wenn es Sinn macht, etwa bei einem Tötungsdelikt oder bei einem sehr unsauberen Tatort. Die TV-Serie «Wilder» ist bei ihren Dreharbeiten von der Kantonspolizei Glarus unterstützt worden. Dort mussten bei der Spurensicherung nach einem Brandanschlag allerdings alle weiss angezogen sein, weil es der Regisseur so wollte, erzählt Ryser.

Zur Polizei – das war früh klar

Aufgewachsen ist Armin Ryser in Lachen in einer grossen Familie als jüngstes von sieben Geschwistern. Die Mutter verlor er, als er zehn Jahre alt war. Der Vater war ein Allrounder, Velo- und Töff-Mechaniker sowie Abwart. Er starb, als er 19 Jahre alt war und gerade seine Lehre als Elektromonteur machte. Ryser übernahm die Stelle des Vaters als Hauswart, um mit dem 13 Jahre älteren, geistig beeinträchtigten Bruder im Haus weiter wohnen zu können, bis seine 15 Jahre ältere Schwester eine Lösung für den Bruder fand. Für den ausgebildeten Elektromonteur stand früh fest, dass er zur Polizei will. «Ich weiss gar nicht genau warum. Der Polizist als Freund und Helfer, ich wollte wohl helfen.» Ein gewisses Helfer-Syndrom sei bei ihm nicht ganz auszuschliessen.

In Glarus macht Ryser 1993 die Aufnahmeprüfung für die Grundausbildung als Polizist. Er fährt Streife für den Stützpunkt Glarus, auch auf dem Motorrad. Um seine Ausbildung zu erweitern, lässt er sich fünf Jahre später als Sicherheitsinstruktor weiterbilden. Sodann reizt ihn als neue Herausforderung die Aufgabe als Spurensicherer.

Heikle Fälle bleiben in Erinnerung

Grundsätzlich sind Ryser und sein Team für jede kriminalistische Situation gerüstet. Unterstützung holt er, wenn nötig, bei den forensischen Spezialisten in Zürich oder St. Gallen.

Eindrückliche Fälle hat er in 26 Jahren Polizeidienst so einige erlebt. Das Tötungsdelikt in der «Waage» in Glarus etwa ist ihm noch sehr präsent. Vor allem auch, weil er bereits sehr früh am Tatort eintraf. Oder auch eine Hausexplosion mit einem Toten in Netstal, bei der noch viel mehr hätte passieren können. Die meisten Einbrecher wollen laut Ryser nur schnell zu Bargeld kommen und schlagen taleinwärts vorzugsweise bis Netstal zu.

Er erinnert sich aber auch gut an einen, der keine Spuren im Tal hinterliess, sondern nur in höher und abseits gelegenen Ferienhäusern seinem Metier nachging. Befriedigung findet er, wenn er mit seiner Detektivarbeit den Ablauf eines Verbrechens klären und zur Überführung der Täter beitragen kann.

Er hatte aber auch kürzlich Pikettdienst, als in seiner Nachbarschaft ein Kind überfahren wurde. Tod und Trauer der Betroffenen gehen auch am erfahrenen Polizisten nicht spurlos vorüber. «Man muss sich abgrenzen können.» Interne Gespräche würden helfen. «Man muss es anschauen, nicht meinen, es einfach still für sich ertragen zu müssen.» Manchmal ist seine Frau sein Rettungsanker.

«Du bist doch Polizist», hört er manchmal in der Beiz

Ein Jahr nach seiner Anstellung in Glarus ist ihm seine Jugendliebe aus Lachen 1994 ins Glarnerland gefolgt. Seit 1996 ist Ryser mit Catharina verheiratet. Und auch wenn sich beide im Glarnerland wohl fühlen, den See-Anstoss vermissen sie heute noch. Ihr Sohn ist inzwischen 20-jährig, die Tochter 18 Jahre alt.

Das oft eher negativ geprägte Bild des Polizisten, der Bussen verteilt und auf irgendein Fehlverhalten warten soll, ist laut ihm nicht aus der Welt zu bringen. Plötzlich werden die Leute um ihn herum in der Beiz vorsichtig. «Du bist doch Polizist», heisse es dann. Denen, die nur ihre Sprüche machen wollten, denen sei nicht zu helfen. Anderen erklärt er gern, was es heisst, Polizist zu sein. «Dabei sind wir ganz normale Menschen und auch nicht immer Polizisten.» Er habe kein Problem damit: «Aber immer weiss jemand, dass ich Polizist bin.» Sich abzugrenzen hat Ryser auch seinen Kindern gelehrt, damit sie deswegen nicht geplagt würden.

Als Präsident des Vereins Plusport (siehe Box) wünscht er sich mehr Verständnis für die Menschen mit Handicap, welches auch immer. Und auch wenn er es nicht sagt, wohl zuweilen auch etwas Verständnis für den Polizeiberuf, den er mit Kopf und Herz lebt.

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