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Ureinwohner wollen ihr Land von Glarner Siedlern zurück

Ein Dok-Film begibt sich nach dem Mord am Ehepaar Luchsinger-Mackay im Jahr 2013 auf Spurensuche. Der Landstreit in Chile zwischen den Schweizer Siedlern und der indigenen Bevölkerung brodelt weiter.

03.10.19 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Historisches Unrecht bricht wieder auf: Die indigene Bevölkerung fordert heute Autonomie vom chilenischen Staat.
Historisches Unrecht bricht wieder auf: Die indigene Bevölkerung fordert heute Autonomie vom chilenischen Staat.

Dunkle Wälder, tiefblaue Seen, ein schneeweisser Vulkankegel. Sie leben in einer der schönsten Landschaften im südlichen Chile, die auch chilenische Schweiz genannt wird. Doch die idyllischen Bilder täuschen, wie der Dok-Film von Tilman Lingner sogleich klar macht. Die Luchsingers, stolze Grundbesitzer in Araukanien, werden immer wieder bedroht. «Mein Rechtsanwalt hat mir gesagt, wenn ich mich weiter wehre, bin ich tot», sagt Ewald Luchsinger, der noch gut Deutsch spricht.

Im Jahr 1883 von Engi nach Chile

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein Anschlag auf Felder oder Erntemaschinen verübt wird. Auf einer Autofahrt geht es zu einem Stall. Er ist leer. Die 220 Kühe wurden geschlachtet, da die Molkerei abgefackelt wurde. Die Luchsinger-Farmen stehen rund um die Uhr unter Polizeischutz.

An der Wand hängt ein nachgebildetes Luchsinger-Wappen. Vor der Kamera wird an einem Familientreffen in Fotoalben geblättert. Die erste Luchsinger-Familie kam 1883 mit der Hoffnung auf ein besseres Leben von Engi nach Chile. Der chilenische Staat hatte sie neben Deutschen, Italienern und Engländern in die neue Welt gelockt, ihnen die Überfahrt und 40 Hektaren Land geschenkt. Er gewährte auch Kredite, um eine neue Existenz aufzubauen. Inzwischen sind die Luchsingers reich geworden. Araukanien ist die Kornkammer Chiles. «Das haben die Siedler geschafft», heisst es im Off-Kommentar. Darunter 22 000 Schweizer. Der Schweiz fühlen sich die Luchsingers im Film bis heute verbunden, wenn sie auch nur noch ein paar Brocken Schweizerdeutsch sprechen.

«Pacification» (deutsch: Befriedung) hiess die grosszügige Verteilung von Land, das dem Staat eigentlich gar nicht gehörte. Die indigene Mapuche-Bevölkerung, die ursprünglichen Besitzer, hatten sich zwar erfolgreich gegen Inka und spanische Konquistadoren wehren können. Nicht aber gegen den neuen Staat, der ihnen ihr Territorium nahm und sie in Reservate pferchte. Dort ging ihre halbnomadische Lebensweise verloren. Heute leben viele als verarmte Bauern auf dem Land, arbeiten als billige Erntearbeiter oder sind in die Städte abgewandert.

Wem gehört das Land?

Zu Wort kommen im Dok-Film Vertreter beider Seiten. So berichten die Brüder Ewald und Harald Luchsinger, wie sie den Landstreit erleben und nicht verstehen, wie es dazu gekommen ist. Ihren Ehefrauen zuliebe wohnen sie aus Sicherheitsgründen in der Stadt. Das abgebrannte Haus, in dem das Ehepaar Werner und Vivian Luchsinger-Mackay 2013 bei einem Brandanschlag starb, haben die Familien trotzig wiederaufgebaut. Auch in deren Gedenken versammeln sie sich dort an grösseren Familienzusammenkünften.

Vertreter der Mapuche-Grossfamilien Tralcal wiederum, die den ehemaligen Schweizern das Leben mit ihrem Befreiungskampf schwer machen, erklären im Film ihre Forderungen und Hoffnungen. Auch dass sie mit der anderen Seite diskutieren müssten. Sie wollen ihr Land und ihre traditionelle, eine die Natur schonende Lebensweise zurück. Zwei Mitglieder der Familie Tralcal wurden zu 18 Jahren Gefängnis wegen des Mordanschlages verurteilt, sind aber flüchtig. Die Siedler sollten in ihre Länder zurückgehen, sagt eine wehrhafte Ehefrau. Das als ungerecht empfundene Urteil wird über alle Instanzen bekämpft.

«Wir sind mit dem Konflikt seit 20 Jahren aufgewachsen», sagt eine Studentin aus der jungen Luchsinger-Generation, die zu ihren Zukunftsplänen gefragt wird. Sie will auf dem Land bleiben. Andere haben genug vom Streit. Der müsste doch friedlich zu lösen sein. Doch scheint dies im Moment nicht in Sicht.

Donnerstag, 3. Oktober, 20.05 Uhr, SRF1, Dok-Film «Kampf ums Land – Schweizer Siedler in Chile».

 

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