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«Zentralbank hatte die Wahl zwischen Pest und Cholera»

Die Währungsturbulenzen in einer Reihe von Schwellenländern legten hausgemachte Probleme offen, sagt Felix Brill. Für die Weltwirtschaft sieht der Ökonom keine Gefahr. Denn: Die Industrieländer kämen immer besser in Fahrt.

Südostschweiz
31.01.14 - 01:00 Uhr

Mit Felix Brill* sprach Thomas Griesser Kym

Herr Brill, die Währungen mehrerer Schwellenländer wie Argentinien, Brasilien, Indien, Indonesien, Südafrika und der Türkei stehen unter Druck. Weshalb?

Felix Brill: Ich sehe drei wesentliche Gründe, wovon zwei hausgemacht sind. Erstens haben diese Länder strukturelle Probleme wie zum Beispiel hohe Leistungsbilanzdefizite oder, wie vor allem in der Türkei, eine tiefe Sparquote. Zweitens werden sie von politischen Turbulenzen erschüttert. Drittens, und dies rückt die beiden hausgemachten Faktoren ins Rampenlicht, kommen die Industrieländer immer besser in Fahrt. Das macht sie wieder attraktiv für Investoren, die dazu Kapital aus Schwellenländern abziehen.

Also haben die Währungsturbulenzen auch ihr Gutes, indem sie die Probleme offenlegen?

Ja. Diese Schwellenländer haben sich angesichts der Flut des billigen Geldes zu lange in Sicherheit gewiegt. Aber man muss zwischen den Ländern differenzieren. In Indien etwa hat die Zentralbank entschieden reagiert und die Leitzinsen mehrfach erhöht. In der Türkei als Gegenbeispiel hat sich die Zentralbank über Wochen sehr ungeschickt verhalten und erst unter dem Druck der Krise reagiert.

Manche Beobachter kritisieren, mit der Verdoppelung des Leitzinses auf zehn Prozent könne die Türkei zwar kurzfristig den Lira-Kurs stabilisieren und den Kapitalabfluss stoppen, doch mittelfristig nehme die Wirtschaft wegen höherer Kreditzinsen Schaden.

Die türkische Zentralbank hatte die Wahl zwischen Pest und Cholera. Ohne Leitzinserhöhung riskiert sie, dass die Währung noch weiter abwertet, die Inflation rapide steigt und Importe noch teurer werden. Insofern sind höhere Zinsen das kleinere Übel. Ich erachte den Entscheid der Zentralbank als richtigen, wenn auch späten Schritt.

Auch andere Zentralbanken haben die Leitzinsen erhöht. Inwieweit ist die Politik in den Schwellenländern nun gefordert?

Sie ist sehr gefordert. Nur muss man auch wissen, dass sich strukturelle Probleme nicht über Nacht lösen lassen. Aber mit den Leitzinserhöhungen wurde immerhin etwas Zeit gekauft.

Die Türkei galt lange als Wunderland des Konsums mit einem Grossraum Istanbul, der mehr Einwohner hat als ganz Griechenland. Folgt der Party am Bosporus nun der Kater?

Vom Wachstumspotenzial her gesehen bleibt die Türkei ein sehr interessanter Markt. Aber das Volk spart zu wenig. Die Investitionen wurden getrieben von ausländischem Kapital. Das hat die Türkei verwundbar gemacht, wie sich jetzt zeigt.

«Keine absolute Sicherheit»

Wie beurteilen Sie denn die Lage der Schwellenländer generell?

Sie ist sicher besser als in den Achtziger- und der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre mit der Asien- und der Russlandkrise. Speziell die asiatischen Schwellenländer haben vorwärts gemacht und auch die Finanzkrise ab 2008 relativ gut gemeistert.

Droht folglich aus den jetzigen Turbulenzen kein gröberer Schaden für die Weltwirtschaft?

Ich gehe nicht davon aus, dass es zu einem Flächenbrand kommt. Wie gesagt, die Industrieländer kommen immer besser in Fahrt, und in den Schwellenländern ist das Wirtschaftswachstum dennoch und trotz Abkühlungserscheinungen nach wie vor höher als im Westen.

Welche anderen wichtigen Länder bereiten Ihnen derzeit Sorgen?

Zum Beispiel die Ukraine oder Ägypten. Das hat auch viel mit den politischen Auseinandersetzungen zu tun.

Was raten Sie Schweizer Unternehmen, die in Schwellenländern engagiert sind, etwa als Exporteure?

Die aktuelle Episode zeigt, dass es keine absolute Sicherheit gibt. Firmen sind gut beraten, wenn sie sich mit dem Thema Währungsabsicherung befassen und wenn sie sich laufend über die Entwicklungen in ihren Absatzmärkten informieren.

* Felix Brill ist Chefökonom bei der Beratungsfirma Wellershoff & Partners.

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