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«Wir mussten das wahre Gesicht von Olympia zeigen»

«Kein Mensch in Graubünden will den Tourismus im Stich lassen»: Dies sagte SP-Präsident Jon Pult im BT-Interview. Er fordert aber, dass in die Diskussion um das Wie von Anfang an alle einbezogen werden.

Südostschweiz
06.03.13 - 01:00 Uhr

Interview Christian Buxhofer

«Bündner Tagblatt»: Jon Pult, wie fühlen Sie sich als Spiel- verderber?

Und wie wärs mit Angstmacher?

Ich verwehre mich gegen den Vorwurf, Ängste zu schüren. Wir mussten auf die Propagandabotschaft der Befürworter, es sei möglich, kleine, nachhaltige, umweltfreundliche Spiele zu machen, reagieren. Sie hatten das Gegenteil von dem erzählt, was Olympische Spiele in Wirklichkeit sind. Wir mussten das wahre Gesicht der Olympischen Spiele zeigen. Das hat nichts mit Angstmacherei zu tun.

Damit haben Sie der Kehrtwende bei Olympischen Spielen, die mit Graubünden 2022 hätte vollzogen werden können, in keiner Weise Rechnung getragen.

Diese angebliche Kehrtwende war nur vorgespielt und nicht real. Die Rahmenbedingungen legt noch immer das IOC fest und da ist von Kehrtwende keine Spur. Klar, Graubünden 2022 wären kleinere Spiele gewesen als nächstes Jahr in Sotschi, aber substanziell nicht kleiner als Vancouver oder Turin – weder finanziell noch personell oder bezüglich der Infrastrukturen. Von Wende keine Spur. Eine Wende kann nur das IOC selbst einleiten.

Ihre Partei und das Nein-Komitee haben sich aber intensiver mit der Taktik – Was zieht bei den Stimmberechtigten? – als mit dem Projekt selbst – Wo sind allfällige Schwachstellen? – auseinandergesetzt ...

Das ist eine Unterstellung, die ich nicht akzeptieren kann. Wir haben uns mit dem Dossier sehr intensiv beschäftigt. Erst als die Befürworter mit Schlagworten wie «Wende», «kleinere Spiele», «nachhaltige Spiele» die Bevölkerung zu blenden versuchten, mussten wir ebenfalls mit Schlagworten reagieren. Aber das Dossier, das haben wir genau angeschaut und beurteilt.

Im Abstimmungskampf vermieden Sie es aber tunlichst, auf das Projekt einzugehen.

Wir haben durchaus auch darauf hingewiesen, dass das Konzept alle Disziplinen in die Berge zu bringen, falsch ist. Aber klar: Unsere Hauptargumentation war nun mal die, dass Olympia unter den heutigen IOC-Bedingungen nicht nachhaltig sein kann.. Natürlich kann man Winterspiele besser oder schlechter organisieren. Und natürlich hätte es Graubünden so gut wie möglich gemacht. Aber der Gigantismus, die Geldverschwendung und die Umweltschädlichkeit wären geblieben. Und solche Spiele wollten wir nicht.

Und deshalb der Abstimmungskampf mit Angst machenden Schlagworten …

Wir haben mit Erfahrungen, die nachprüfbar sind, argumentiert. Die Behauptung der Befürworter, dass 2022 alles anders würde, war hingegen auf Sand gebaut. Zudem ist doch für alle einleuchtend: Olympische Winterspiele sind für Graubünden einige Nummern zu gross.

Die Tourismusregionen stimmten gesamthaft für die Vorlage. Kann es sich Graubünden wirklich leisten, seine Tourismusregionen im Stich zu lassen?

Jetzt muss man sehr aufpassen, dass man nicht die Resultate in den Regionen verabsolutiert. Es ist nicht so, dass die Tourismusregionen mit 80 Prozent Ja und das Churer Rheintal mit 80 Prozent Nein sagte. Die Prozentsätze sind viel näher beieinander. In Davos gab es genauso einen hohen Nein-Stimmen-Anteil wie es im Churer Rheintal eine starke Minderheit gab, die für die Spiele war. Ich sehe da keinen Graben. Kein Mensch in Graubünden will den Tourismus im Stich lassen.

Dann müsste er aber auch gestärkt werden …

Ja, natürlich! Aber Olympische Spiele sind da nicht so zielführend, wie es die Befürworter sahen. Sie machten die Abstimmung zur Schicksalsfrage, was sie aber nicht war. Olympia ist kein Allheilmittel, sondern hat neben gewissen Vorteilen auch viele Nachteile für den Tourismus. Das Schicksal Graubündens hängt nicht an Olympia.

Es bleibt die Tatsache, dass die Vorlage durch das starke Nein im Churer Rheintal gebodigt worden ist ...

Ich bin der Meinung, dass alle im Kanton, ob wir in Fläsch, Davos oder Arvigo leben, ein grosses Interesse an einer nachhaltigen und erfolgreichen Tourismuswirtschaft haben. Aber es braucht auch eine offene, plausible und vorurteilsfreie Diskussion unter Einbezug aller Kräfte, was dem Tourismus gut tut. Daran ist der Kanton und insbesondere Regierungspräsident Hansjörg Trachsel gescheitert.

Diskutiert wurde doch auf allen Ebenen?

Nein, weder beim Tourismusabgabengesetz noch bei Olympia gab es zuerst eine echte Debatte. Man hat beide Vorlagen zu Schicksalsfragen für den Tourismus erklärt und versucht, die Bevölkerung mit Druck zu einem Ja zu bringen. Doch inhaltlich haben sie nicht überzeugt. Man kann nicht einfach Solidarität erwarten und das Gefühl haben, die Leute sagen zu allem Ja und Amen, auch wenn die Inhalte nicht überzeugen.

In Regionen, die vom Tourismus leben, hat das Stimmvolk aber verstanden, was der Tourismus braucht. Wie sonst ist der hohe Ja-Stimmen-Anteil zu erklären?

Mit dem enormen sozialen Druck, den die Propagandamaschine erzeugt hat. Die Beeinflussung der Stimmberechtigten durch Vorgesetzte oder Geschäftspartner war in diesen Regionen viel grösser.

Abstimmen konnten sie anonym. Sie waren also offensichtlich überzeugt, dass Olympia eine grosse Chance wäre.

Die Bauwirtschaft hätte für einige Zeit profitiert. Dass sie für Olympia kämpfte, war legitim und nachvollziehbar. Bei den Bergbahnen und bei der Hotellerie stelle ich diese Chance aber infrage.

Weshalb sind Olympische Spiele kein geeignetes Mittel, um den Tourismus in Graubünden zu stärken?

Vielleicht hätte Olympia gewisse positive Impulse gebracht. Aber die Vorteile wurden massiv überschätzt. Unser grösstes Problem sind die Preise. Wir sind zu teuer. Mit Olympia wäre das Preisniveau noch mehr gestiegen. Unser Wettbewerbsnachteil hätte sich also verschärft.

Und der Werbeeffekt?

Dass die Werbewirkung Olympischer Spiele nachhaltig ist, stimmt nicht. Es wird ja im Fernsehen kaum mehr wahrgenommen, wo die Spiele stattfinden. Das ist ein Mechanismus, der heute, wo ein Mega-Event dem andern folgt, nicht mehr funktioniert.

Lillehammer machte da aber ganz andere, positive Erfahrungen ...

Ja, das trifft zu. Aber Lillehammer war vor Olympia völlig unbekannt. In Graubünden wäre mit St. Moritz eine bereits extrem bekannte Marke nochmals stark beworben worden. Zudem wäre es zu einer Konterkarierung der heutigen Kernwerte von Graubünden gekommen. McDonald als Hauptsponsor, das passt doch weder zu St. Moritz noch zu Graubünden.

Mit Olympia wären aber viele Projekte, nicht nur Investitionen in den öffentlichen Verkehr, angestossen worden, die jetzt erlahmen werden.

Graubünden 2022 hätte auch ein paar Vorteile mit sich gebracht, aber gleichzeitig eben auch eine massivste Verschwendung und grosse Probleme. Schockierend ist zum Beispiel die Tatsache, dass mehrere 100 Mio. Franken für temporäre Anlagen aufgewendet worden wären. Der Inbegriff der Verschwendung!

Nun finden die Winterspiele 2022 an einem Ort auf der Welt statt, wo der Nachhaltigkeit noch weniger Beachtung geschenkt werden dürfte. Als global denkender SP-Politiker muss Ihnen das doch wehtun!

Erstens halte ich das für eine arrogante Nabelschau, dass wir die Besten sind. Ich kenne die anderen Dossiers nicht, vielleicht sind sie schlechter, vielleicht aber auch nicht.

Zweitens: Meine Verantwortung als Grossrat und Präsident der SP Graubünden ist die Entwicklung Graubündens. Und mit unserem Kampf haben wir Schaden vom Kanton abgewendet. Und es bleibt auch die Hoffnung, dass beim Internationalen Olympischen Komitee immer weniger Bewerbungen eingehen und das IOC dann von sich aus die Rahmenbedingungen ändert.

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