×

«Wir hatten viel Glück im Unglück»

Der 9. Februar 1984 bleibt in ganz Graubünden wegen schwerer Lawinenniedergänge in unguter Erinnerung. Die mächtigste Lawine sorgte in Disentis für Tod und Zerstörung. Der damalige Gemeindepräsident blickt zurück.

Südostschweiz
09.02.14 - 01:00 Uhr
Ereignisse

Vor 30 Jahren hat die Val-Sogn-Placi-Lawine die Gemeinde Disentis in den Ausnahmezustand versetzt

Von Jano Felice Pajarola (Text) und Theo Gstöhl (Bilder)

Um 14.07 Uhr geht das Licht in der Disentiser Gemeindekanzlei aus. Es ist Donnerstagnachmittag, schon den ganzen Mittwoch lang sind Unmengen Schnee gefallen. Jetzt ist geschehen, was man befürchtet hat. Die Lawine ist niedergegangen. In der Val Sogn Placi vor dem Dorf.

«Ein Bild des Schreckens. Ich bin konsterniert. Totale Zerstörung. Der Wald im Gebiet, die Bäume um Placiduskirche und ‘Disentiserhof’ sind verschwunden. Schneeberge türmen sich am Eingang des Dorfs und bedecken die Kantonsstrasse bis zu 20 Meter hoch.»

So erinnert sich der damalige Gemeindepräsident und Rettungsverantwortliche von Disentis an den 9. Februar 1984: Dumeni Columberg.

<strong>Die Situation ist katastrophal.</strong> Felici Gadola, Chef der Lawinenkommission, ist tot, sein Kontrollgang in Richtung Val Sogn Placi ist ihm zum Verhängnis geworden, er kann nicht mehr lebend aus den Schneemassen geborgen werden. Mehrere Häuser sind zerstört oder wie die Placiduskirche schwer beschädigt, die Brücken der Kantonsstrasse und der Rhätischen Bahn am Dorfeingang sind weggefegt, die Verbindungen zur Aussenwelt abgeschnitten. Späteren Schätzungen zufolge sind rund zwei Millionen Kubikmeter Schnee zu Tal gedonnert. In der Talsohle weiter unten staut sich der Vorderrhein, innert zweier Tage bildet sich ein See von bis zu zehn Metern Tiefe, der Schnee liegt teils 40 Meter hoch und wird den ganzen Sommer hindurch nicht überall schmelzen.

«Die Hälfte des Kinderheims Schlumpf neben der Kirche ist weggerissen. In der anderen Hälfte befinden sich sieben Personen. Ein Wunder, dass sie nicht von der Lawine begraben wurden. Mit ihrer entsetzlichen Druckwelle ist sie auch in den Speisesaal des ‘Disentiserhofs’ eingedrungen. Kurz davor haben dort noch Gäste zu Mittag gegessen.»

<strong>«Wir hatten viel Glück</strong> im Unglück», stellt Columberg heute fest. «Rückblickend ist es fast nicht zu glauben, dass bis auf den Todesfall alles relativ glimpflich abgelaufen ist.» Dank Erfahrungen aus dem Lawinenwinter 1975 habe man über eine gute Organisation im Lawinendienst verfügt. Und zum Zeitpunkt des Niedergangs waren Bahn und Strasse bereits gesperrt. 170 Gäste aus dem «Disentiserhof» konnten ohne Probleme ins Hotel «Acla da Fontauna» evakuiert werden, andere in die Zivilschutzanlage im Sport- und Kulturzentrum. Und bereits 56 Stunden nach der Katastrophe funktionierten die ersten Verbindungen zumindest provisorisch wieder.

<strong>Im Sommer halfen Equipen</strong> von Armee und Zivilschutz, um die 600 Mann, bei den Räumungsarbeiten. Und die kantonalen Instanzen eruierten Schutzmassnahmen. Verbauungen kamen nicht infrage, sie hätten wegen der grossen Fläche 30 bis 50 Millionen Franken gekostet, ihr Aufbau hätte 25 bis 30 Jahre in Anspruch genommen. Schliesslich wurde stattdessen der Umlenkdamm in der Val Sogn Placi vergrössert und verstärkt. Einen ähnlich grossen Lawinenniedergang wie 1984 hat es seither allerdings nicht mehr gegeben.

«In Erinnerung bleibt eine einmalige Aktion mit Solidarität und gegenseitiger Hilfe. Und diese Haltung brauchen wir auch in Zukunft, denn keiner kann voraussagen, wann die nächste Katastrophe kommt.»

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Ereignisse MEHR