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Windkanal haucht neue Hoffnung ein

Ab nächster Saison ist Gregory Carigiet nach dem Rücktritt von Stefan Höhener der Einzelkämpfer im Schweizer Männer-Rodeln. Sein erster Windkanaltest brachte Carigiet kürzlich die Bestätigung, auf dem richtigen Weg zu sein.

Südostschweiz
20.09.10 - 02:00 Uhr
Zeitung

Von Kristian Kapp

Rodeln. – Die letzte Saison endete für Gregory Carigiet in emotionaler Zwietracht. Der Churer Rodler wurde beim finalen Weltcuprennen in Italien Achter und war damit so gut wie nie zuvor im 2009/10. Freude kam bei Carigiet dennoch keine auf. Sein grosses Ziel, Vancouver 2010, hatte er verpasst, für die Olympischen Winterspiele zehn Tage später wurde er nicht mehr nachnominiert. Die Vorlage hatte «zwei Top-10 Ränge» gelautet, dennoch fühlte sich der Churer nicht ganz fair behandelt – er hätte zumindest Diskussionsgrundlagen gesehen, als zweiter Schweizer nebst Stefan Höhener für Vancouver nachnominiert zu werden, da der Altmeister faktisch ebenfalls nur eine Top-10-Rangierung vorzuweisen hatte.All das ist nun ein halbes Jahr her, Höhener ist mittlerweile zurückgetreten. Carigiet will die Enttäuschungen abgehakt haben und nach vorne blicken – in eine Zukunft, in der Top- 10-Platzierungen an Weltcup-Rennen nicht die absoluten Ausnahmen bil-den sollen. Einen persönlichen Teilerfolg hat der 23-jährige Churer erst vor ein paar Tagen verbucht und seine Ausbildung zum psychiatrischen Pflegefachmann erfolgreich beendet. Das erlaubt Carigiet, vorerst bis März 2011, dem Ende der im November beginnenden Saison 2010/11, sich ausschliesslich auf den Sport zu konzentrieren.

Alle Weltcups? Zu teuer

Ob er danach wieder in den Halbprofitum zurückwechselt, lässt Carigiet noch offen. Er weiss: «Am besten wäre es, bis Olympia 2014 nur auf den Sport zu setzen.» Doch das ist vorerst nicht realistisch. Denn bereits die Saison 2010/11 beginnt für den Rodler alles andere als unter optimalen Voraussetzungen. Die Weltcup-Rennen ausserhalb Europas hat er vorsorglich aus seinem Wettkampfplan gestrichen. Aus einfachem Grund: zu teuer.Wie weit Carigiet diese Saison vom nationalen Verband SBSV, dem auch die Bob- und Skeletonfahrer angehören, unterstützt wird, steht noch in der Schwebe. Carigiet geht aber vom Worst Case Szenario aus: «Ich werde den Grossteil der Saison selbst finanzieren müssen.» Sein bislang einziger Grosssponsor, die Churer Dokumenten-Managementfirma Wieland, ermöglicht ihm überhaupt den Start in die Saison. Carigiet hofft, mit seinem Bündner Management Cascadas noch mehr (finanzielle) Unterstützung generieren zu können.Dass Carigiet im Gesamtweltcup 2010/11 mit dem gekürzten Programm keine grosse Rolle spielen wird, versteht sich von selbst. «Das macht aber nichts», sagt Carigiet. «Nackte» Rangierungen stehen für ihn im kommenden Winter für einmal nicht ganz im Vordergrund: «Wichtig ist mir, dass ich alle meine persönlichen Komponenten, die ich für eine optimale Fahrt und den Start brauche, generieren kann. Was dann unter dem Strich rausschaut, ist das, was möglich war.»Natürlich schwebe im Hinterkopf Olympia herum, gesteht Carigiet. «Sotchi 2014» ist aber nicht nur im Kalender noch weit weg, Carigiet möchte heute grundsätzlich noch nicht allzu viel über sein grosses Karrierenziel reden. Zu gut dürfte da wohl noch die verpasste Reise nach Vancouver präsent sein. Im Dezember, wenn der Weltcup-Tross nach Nordamerika zieht, wird er aber nicht untätig sein. Er hat fix Trainingswochen in Cesena eingeplant, also dort, wo er die letzte Saison mit dem guten achten Rang abschloss. Zudem findet dieses Jahr dort auch der Höhepunkt der Saison statt. Die WM hat für Carigiet eine zentrale Bedeutung und ist der Höhepunkt der kommenden Saison.Der Verzicht auf den gesamten Weltcup bedeutet aber nicht, dass Carigiet nebst den zusätzlichen Trainingseinheiten in Italien nicht alles unternimmt, um für die kommende Saison bestens gerüstet zu sein. Vom neuen Material und neuem Anzug erhofft er sich einiges. Die Hoffnung erhielt vor gut zwei Wochen bei seinem ersten Test im Windkanal zusätzliche Nahrung. In Emmen bei der Firma Ruag probte er gemeinsam mit der Schweizer Spitzenfahrerin Martina Kocher aus Bern nicht nur diverse Stoffe für die Rennkleidung, sondern erhielt auch die wichtige Bestätigung, was kleinste Details in der Körperhaltung auf dem Schlitten ausmachen können. Unterschiedlicher Stoff sowie die Haltung des Fusses können zusammengezählt pro Fahrt rund zwei Zehntelsekunden ausmachen. Carigiet: «Das sind Welten im Rodeln, auf zwei Läufe aufgerechnet können sie rund zehn Ränge ausmachen.»

Die Vision bleibt

Carigiet wird es mit seinen Voraussetzungen gegen die Profis aus Deutschland oder Nordamerika immer schwer haben, das ist ihm klar. «Aber ich habe schon mehrfach bewiesen, dass ich mit ihnen mithalten kann.» An seiner Vision – eine Medaille in Sotchi – ändert sich nichts, auch wenn er gewisses Verständnis für die Frage nach dem Sinn seines Aufwands aufbringt. «Natürlich hätte ich nach dem verpassten Start in Vancouver sagen können, ich höre auf. Doch dafür habe ich bereits schlicht zu viel investiert und ist auch meine Passion fürs Rodeln einfach zu gross.»

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