Wie Deutschland ein Problem abschaffte

Von Andrea Masüger

Nur: Keine einzige Frage ist damit gelöst, nur Verwirrung bleibt zurück. Man weiss nicht, wer dieser Herr Sarrazin ist, was er eigentlich will. Will er nur den Absatz seines Buches sichern, indem er es mit wirren und skandalträchtigen Theorien zum Bestseller macht? Oder ist er ein ignoranter Dummschwätzer, der nicht begreift, dass man 60 Jahre nach dem Holocaust in Deutschland nicht die Theorie eines Juden-Gens verbreiten kann, die aus einem Leitartikel im damaligen «Stürmer» stammen könnte? Oder redet ein besorgter Bürger und politischer Denker, der den Finger auf einen wunden Punkt in der Integrationspolitik legt? Oder agiert da ein Mann, der schlicht und einfach biologische Erkenntnisse falsch interpretiert und populistisch umdefiniert?Sarrazin hat wohl von all diesen Elementen etwas. Er dürfte ein Provokateur sein, der von ehrlicher Sorge angetrieben wird und dabei manche Fakten so zurechtbiegt, dass seine Thesen aufgehen. Eigentlich hätte daraus eine politische Debatte entstehen müssen, die auch scharf geführt werden kann, aber sachlich bleiben müsste. Immerhin interessiert die Thematik weite Teile der Bevölkerung, wie Umfragen zeigen.Stattdessen machte die Politik einen weiten Bogen um das ungeliebte Thema. Die heisse Kartoffel wurde an alle Instanzen weitergereicht, von der Partei zur Bundesbank, von dort zur Bundeskanzlerin und von dieser an den Bundespräsidenten. Alle riefen «pfui», aber niemand hatte den Mut, inhaltlich auf die Sache einzugehen. Man packte Sarrazin auf einer diffusen moralischen Ebene. Im Mittelalter hatte man zu diesem Zweck den Scheiterhaufen, heute benutzt man die mediale und politische Inquisition. In beiden Fällen ist das Ergebnis gleich: Der Störefried ist beseitigt.So läufts nach dem Muster, wie Politik meistens funktioniert: Man entfernt die Symptome eines Problems, ohne dieses selber anzugehen. Auf diese Weise schafft sich Deutschland tatsächlich langsam selber ab.

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