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«Wer passt dann auf Vinz auf?»

Brigitte Zambelli pflegt seit sieben Jahren ihren schwerkranken Mann Vinz. Die Glarnerin fühlt sich von der Gesellschaft im Stich gelassen.

Südostschweiz
13.05.11 - 02:00 Uhr

Von Marc Allemann

Schänis. – Brigitte Zambelli hat alles, was man sich im Leben wünschen kann: ein Haus, einen Pool, drei Kinder, einen Job. Nur etwas fehlt der 41-Jährigen: Zeit und Kraft, dieses Leben zu geniessen. Denn Zambelli hat einen Ehemann, den sie nach seinem Herzinfarkt und einer Hirnblutung keine Minute alleine lassen kann.

Der Tag, der alles änderte

Vinz Zambelli (61), Marathonläufer und Sekundarschullehrer, lag an einem Sonntagmorgen neben seiner Frau im Bett, als sein Herz zu schlagen aufhörte. Sie schüttelte ihn, doch er machte keinen Wank. Sie beatmete ihn. Es fühlte sich an, wie wenn sie in einen leeren Sack blasen würde. Dann holte sie Hilfe. Nach der Reanimation brachte ihn die Ambulanz ins Kantonsspital Glarus.

Das war vor sieben Jahren. Einige Wochen verbrachte Vinz Zambelli im Koma. Als er aufwachte, war er nicht mehr der gleiche. Zwar machte er anfangs Fortschritte. Lernte wieder zu gehen, gar Fahrrad fahren war möglich. Heute kann er aber nicht ohne Unterstützung gehen, sein Körper verkümmert zunehmend.

Weil das Haus in Glarus nicht behindertengerecht war, ist die Familie vor zweieinhalb Jahren nach Schänis gezogen. Wie ein schlaffes Bündel liegt er auf dem Sofa, während Brigitte Zambelli seine und ihre Geschichte erzählt. Er schläft. Zwanzig Stunden am Tag liegt er da, während seine Kinder im Haus herumspringen und der Hund im Garten wühlt.

«Seit Vinz krank ist, haben sich viele Freunde und Verwandte von uns abgewendet.» Immer seltener kommen sie zu Besuch. Sieben Jahre lang hat seine Frau sich um ihn gekümmert, ihn gewaschen, gefüttert und auf die Toilette gebracht.

Brigitte Zambelli fühlt sich mit ihrem Schicksal alleine gelassen. Darum hat sie sich auch beim «Blick» gemeldet. «Niemand will hinsehen.» Der Staat tue zu wenig, findet sie.

Die Krankenkasse bezahlt 90 Minuten Spitex am Tag und die IV zahlt dem Mann eine Rente. Einmal pro Woche geht er in die Physiotherapie. Es ist ein Tropfen auf den heissen Stein, denn er bräuchte eigentlich rund um die Uhr Betreuung. Solche Pflege ist aber unbezahlbar.

Sich nicht fallen lassen

Zambelli arbeitet als Sekundarschullehrerin in Glarus. Sie braucht das Geld und sie liebt ihren Job über alles. Denn dort kann sie sich selber sein. Eine Praktikantin passt morgens auf die Kinder auf.

Die gebürtige Schwandnerin ist ein Energiebündel und sie hat sich seit dem Unfall ihres Ehemannes nicht fallen lassen. Sie besucht Weiterbildungen und sorgt dafür, dass ihre Kinder in der Freizeit beschäftigt sind.

Ständig an ihrer Seite ist der fünf Monate alte Hund Habari. Sie will den Retriever zum Begleithund ausbilden. Er soll sie warnen, wenn Vinz aufstehen will. Bereits kann Habari die Schlafzimmertür aufdrücken, wenn sie ihren Mann zu Bett bringen will.

Auch für Zambellis Kinder ist es kein einfaches Leben. Die Tochter Oona (7) und die Söhne Liam (4) und Noam (2) wachsen mit einem Vater auf, der nur noch ein Schatten seiner selbst ist. Familienausflüge kommen selten in Frage. Wer passt dann auf Vinz auf?

Ein Leben ohne Partner

Vinz Zambellis Kurzzeitgedächtnis ist miserabel. Wenn es an der Türe klingelt, vergisst er, dass er körperlich behindert ist. Dann steht er auf und fällt hin. Seine Frau hat ihn schon so vorgefunden, im eigenen Blut liegend. Sie hat Angst davor, ihn unbeaufsichtigt zu lassen.

In ein Pflegeheim will Zambelli ihren Mann auf keinen Fall stecken. Rund eineinhalb Jahre lang waren sie verheiratet, bevor er den Herzinfarkt hatte. «Er hat es nicht verdient, einfach beiseite geschoben zu werden», findet seine Frau.

Ihre Söhne kamen nach dem Unfall zur Welt. Sie wurden gezeugt, als es Vinz Zambelli noch besser ging. «Heute ist er nicht mehr mein Partner», sagt sie. An seine Schulter kann sie sich nicht mehr anlehnen. Er sei nur noch eine Hülle, findet sie manchmal. Wenn ihr alles zu viel wird, dann giftet sie ihn an. Und schämt sich danach.

Und weil es für das Dilemma der Zambellis keinen Ausweg gibt, legt sich seine Frau jeden Abend neben den Mann schlafen, den sie einmal geliebt und geheiratet hat.

Schänis. – In der «Blick»-Ausgabe vom Mittwoch hat Brigitte Zambelli der ganzen Schweiz ihre Geschichte erzählt. Sie hat gesagt, dass sie seit sieben Jahren keine Nacht durchgeschlafen habe.

Rund 160 000 Menschen in der Schweiz pflegen ihre Angehörigen zu Hause. Sie verrichten laut dem Eidgenössischen Büro für Gleichstellung 34 Prozent der jährlich geleisteten Pflegearbeit. Ihnen stehen kostenpflichtige Unterstüzungsangebote, wie beispielsweise der Entlastungsdienst Linth, zur Verfügung. (mal)

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