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Von der Sehnsucht, zwei Welten zu vereinen

Die kleine Meira sucht ihre Grossmutter, nachdem diese im Zimmer nebenan mit der Journalistin verschwunden ist. Das eineinhalbjährige Mädchen protestiert.

Südostschweiz
22.01.15 - 01:00 Uhr

«Hallo!», ruft es immer wieder und versucht die Tür zu öffnen. Regula Trutmann lächelt. Im Herbst weilte sie wieder für ein paar Monate in der Schweiz. Die Liebe zu ihren zwei Kindern und drei Grosskindern ist stark, der Zusammenhalt in der Familie gross.

Und trotzdem zieht es die 60-Jährige immer wieder in den Senegal, wo sie seit 2008 lebt. «Der Abschied von Familie und Freunden fällt mir jedes Mal schwer. Ich fühle dann eine innere Zerrissenheit», sagt die freischaffende Künstlerin nachdenklich. Es gebe Momente, in denen sie sich frage, warum sie nach Afrika gegangen sei. Doch Regula Trutmann weiss: Würde sie in der Schweiz bleiben, hätte sie Sehnsucht nach Afrika. «Ich glaube, dass ich im Senegal noch viel lernen muss. Dank der Begegnungen und der Einsamkeit, die ich zum Teil auch erfahre, lerne ich mich selber besser kennen.»

Manchmal, so gesteht Regula Trutmann, plage sie in Afrika grosses Heimweh nach ihrer Familie. «Ein bis zweimal im Jahr komme ich darum in die Schweiz zurück», erzählt sie. Ihr neustes Werk, ein Buch für ihre Kinder und Grosskinder, sei in so einem Moment entstanden. «Es ist eine Liebeserklärung an meine Familie», erklärt sie. Wann das Buch erscheinen wird, steht noch nicht fest. Für die Kunstschaffende aber ist klar: «Das kreative Schaffen ist mein Lebenselixier. Diese Arbeit gibt mir viel Kraft.» Die Afrikaner nennen die Schweizerin «Banku Musso», was übersetzt «die Erdfrau» heisst. «Wenn ich male oder mit Lehm arbeite, dann vergesse ich oft alles um mich herum. Ich erlebe dabei teilweise einen bewusstseinsverändernden Zustand. Diese Erfahrungen sind sehr wertvoll für mich.»

Generell fühle sie eine tiefe, starke Verbundenheit zur Natur. «Leider sind wir Menschen dabei, unsere Welt zu zerstören. Das verstehe ich nicht.» Trutmann kritisiert den Bauboom in der Schweiz. «Jedes Mal, wenn ich hierher komme, sehe ich, was in einem halben Jahr entstanden ist. Ich finde das extrem», sagt sie besorgt. Sie sei überzeugt, dass man auch mit weniger Luxus glücklich sein könne. «Für mich bedeutet Glück, machen zu können, was ich wirklich will. Ich habe dieses Privileg und bin sehr dankbar dafür. Vielleicht wären viele Menschen zufriedener, hätten sie den Mut, ihre Träume zu verwirklichen.»

Regula Trutmann ist ihrem Herzen gefolgt und nach Afrika gereist. Im Senegal hat sie sich ein Lehmhaus gebaut, wo sie Freunde und Feriengäste empfängt. Ihr Leben in Afrika aufzugeben, das ist für sie momentan keine Option. «Auch wenn es manchmal schwierig ist, spüre ich die Lebensqualität, die ich in Afrika habe. Dieses Land gibt mir Freiheit und Weite.»

Die Farben im Senegal seien intensiver, die Temperaturen angenehmer als in der Schweiz. «Ich spüre oft eine tiefe Sehnsucht. Es wäre mein Wunsch, die zwei Welten besser zu vereinen. Ich möchte vor allem im Sommer länger in der Schweiz sein und meine Grosskinder aufwachsen sehen», sagt sie. Aus diesem Grund sei sie auf der Suche nach einem kleinen Stück Land oder einem einfachen Wohnatelier, wo sie sich ein gemütliches Zuhause schaffen könne.

Wie aber spürt eine Frau, die zwischen zwei Kontinenten hin- und herpendelt, ihre Wurzeln? Regula Trutmann überlegt einen Moment und antwortet: «Meine Wurzeln sind wohl ein wenig ausgerissen. Das ist ein komisches Gefühl und stimmt mich irgendwie auch traurig. Inzwischen weiss ich aber, dass Heimat überall sein kann, weil man sie in sich selber trägt.»

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