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Vom Fischmaul zur Gleitschneelawine

Auch in den Bergen herrschen Frühlings- temperaturen. Dieser Wärmeeinbruch wirkt sich drastisch auf die Lawinengefahr aus, die Warnzeichen sind unverkennbar.

Südostschweiz
02.03.12 - 01:00 Uhr

Von Jennifer Staiger

Wolkenloser blauer Himmel, strahlender Sonnenschein und die wonnige Wärme in den letzten Tagen, liessen die Herzen der Schneesportfreunde und Sonnenanbeter höher schlagen. Seit der Nacht auf Mittwoch steigen die Temperaturen deutlich an. Die Sonne brennt unaufhörlich auf die Schneemassen hinunter und hinterlässt dabei ihre Spuren. Gleit- und Nassschnee- lawinen sind vielerorts keine Seltenheit.

Bereits nach dem ersten grossen Schneefall konnte vor allem an Südhängen ein Schneegleiten beobachtet werden. Grund dafür war, dass auf den trockenen und ausserordentlich milden Monat November Anfang Dezember starke Schneefälle folgten. Der warme Boden konnte in dieser Zeit nicht frieren, was zur Folge hatte, dass auch die Schneedecke nicht am Boden festgefroren ist. Dies führte praktisch im gesamten schweizerischen Alpenraum zu einer ausgeprägten Schneegleitaktivität. Das Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos schätzt, dass ein derart starkes Schneegleiten wie in diesem Winter nur etwa alle 30 Jahre auftritt.

Schwierig vorhersehbar

Schneegleiten erkennt man relativ einfach an der Bildung von hufförmigen Rissen in der Schneedecke, auch Fischmäuler genannt. Ob sich das Fischmaul nur langsam vergrössert, oder plötzlich als Gleitschneelawine abbricht, hängt von den örtlichen Abstützungs- und Reibungsverhältnissen sowie der Witterung ab. Zudem können Gleitschneelawinen auch völlig unerwartet entstehen, ohne dass ein Gleitschneeriss vorher sichtbar ist. Diese Art von Lawinen sind zu jeder Tages- und Nachtzeit möglich.

Laut Aussagen des SLF Davos, muss es nicht erst zu einer Lawine kommen, um Schäden auszulösen. Bereits durch langsames Schneegleiten kann ein enormer Schneedruck auf Objekte wie Seilbahnmasten oder Ähnliches ausgeübt werden. Wenn sich zum Beispiel ein Pfosten in der gleitenden Schneedecke befindet, können auf diesen Schneedruckkräfte von mehr als 100 Tonnen wirken.

Beim Schneegleiten handelt es sich um ein sehr schwierig zu beurteilendes Phänomen, das über Wochen oder sogar Monate anhalten kann. Eine Vorhersage zu machen, zu welchem Zeitpunkt sich der Gleitschnee zu einer Lawine wandelt, ist unmöglich. Einen Anhaltspunkt kann die Grösse der Gleit- geschwindigkeit darstellen. Wenn die Gleitgeschwindigkeit abnimmt oder gleich bleibt, ist die Wahrscheinlichkeit für ein plötzliches Abgleiten eher klein, doch keine definitive Entwarnung. So stellt dieses Phänomen der Gleitschneelawinen die Sicherheitsverantwortlichen von Skigebieten und Strassen vor grosse Herausforderungen. Immer wieder mussten Verkehrswege wegen der Gefahr von Gleitschneelawinen gesperrt werden. Im Gegensatz zu den Trockenschneelawinen, die mithilfe von Sprengmaterial künstlich ausgelöst werden können, entstehen Gleitschneelawinen meist spontan und können kaum von äusseren Kräften provoziert werden.

Schneegleiten kann nur mit baulichen Massnahmen wie beispielsweise Verpfählungen, Holzschwellen und Stützwerken verhindert werden. Der Effekt dieser Massnahmen besteht in einer Erhöhung der Bodenrauigkeit. So ist auch kurz geschnittenes Gras günstiger als langhalmiges Gras, doch kann ein Schneegleiten trotzdem nicht ausgeschlossen werden.

Noch keine Entwarnung

Mit der Erwärmung nahm im Tagesverlauf jeweils auch die Gefahr von Nassschneelawinen zu. Durch die intensive Sonneneinstrahlung wurde der Schnee zunehmend durchnässt. Es kam zu Nassschneelawinen, die auch mittlere Ausmasse erreichten und exponierte Teile von Verkehrswegen gefährdeten. Im Tagesverlauf muss deshalb vermehrt mit gesperrten Skipisten und Strassen gerechnet werden. «Bis Samstag dürfte die Nassschnee- lawinengefahr relativ rasch zurückgehen, im Gegensatz zu den Gleitschneelawinen», vermutet Kurt Winkler vom SLF Davos.

Morgenstund für Tourengeher

Vor allem während der warmen Tage sollten Touren- und Variantenfahrer frühzeitig zurückkehren und die Tour spätestens mittags, vor der Hauptsonneneinstrahlung abgeschlossen haben. Hänge mit Gleitschneerissen sind möglichst zu meiden. Sollten die Schneesportler dennoch zwischen Fischmäuler geraten, empfiehlt es sich, den Aufenthalt so kurz wie möglich zu gestalten und das Weite zu suchen.

Lawinenbulletin und weitere Infos: www.slf.ch

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