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Stark und eisgekühlt

Seit knapp zwei Jahren liefern sich zwei Brauereien einen Wettkampf um die Ehre, das stärkste Bier der Welt zu brauen. Gewinner dürften all jene sein, die ein etwas anderes Biererlebnis suchen.

Südostschweiz
17.10.10 - 02:00 Uhr

Von Andreas Trabesinger

Diese Degustation hatte schon fast etwas Verschwörerisches an sich. Die Brauerei BrewDog aus der schottischen Kleinstadt Fraserburgh hatte Anfang September nach London geladen, ihre neueste Bierkreation zu kosten. «The End of History» heisst das Getränk, und 55 Volumenprozente soll es haben. Das stärkste Bier, das je gebraut wurde.In einem Kämmerchen im ersten Stock lässt BrewDog-Mitgründer James Watt das «End of History» in Schnapsbechern reichen. Schliesslich ist es ein Getränk mit einem Alkoholgehalt, wie man ihn sonst nur von Destillaten kennt. Und das «End of History» sieht in der Tat mehr aus wie ein Whisky denn wie ein Bier: ein goldgelber Saft, ohne jeden Deut von Kohlensäure. Aber in der Nase zeigen sich ganz andere Noten. Etwas grasig, aber nicht unangenehm, und Bergamotte – dieser fruchtigeTon, der aus Earl-Grey-Tee hervorsticht. Im Mund aber sticht beim «End of History» zuerst mal der Alkohol. 55 Volumenprozente lassen sich schwer verstecken. Aber der Alkohol trägt zarte Fruchtnoten aus dem Gebräu. Der Heugeschmack wandelt sich in Hopfen. Der Biercharakter wird immer klarer. Überraschend trinkbar ist dieses «Extrembier» und ein komplett anderes Erlebnis als etwa ein Single-Malt-Whisky.

Konkurrenz aus Deutschland

Mit «The End of History» hat BrewDog einen (inoffiziellen) Titel nach Schottland zurückgeholt, der seit Anfang letzten Jahres alle paar Monate zwischen Fraserburgh und dem fränkischen Gunzenhausen wechselt. In Gunzenhausen betreibt Georg «Schorsch» Tscheuschner seit 1996 eine kleine Brauerei namens Schorschbräu. Seit 2007 widmet er sich ausschliesslich dem Brauen von Starkbieren. Wichtigstes Standbein ist eine von ihm entwickelte Methode zur Produktion von Bieren mit an die20% Alkoholgehalt durch reine Gärung (also ausschliesslich mit Hilfe von Hefe). Im Vergleich mit den vier bis sechs Volumenprozenten eines Brot-und-Butter-Biers ist das schon heftig.Will man aber noch höher hinaus, dann braucht es aber mehr als alkoholische Gärung. Das Mittel der Wahl ist die sogenannte Eisbockmethode. Der Methode liegt zugrunde, dass hochalkoholische Flüssigkeiten einen tieferen Gefrierpunkt haben als solche mit niedrigem Alkoholgehalt. Den Effekt kennt jeder, der Wodka im Tiefkühlfach aufbewahrt. Das selbe Prinzip kann eingesetzt werden, um den Alkohlgehalt von Bier zu erhöhen. Kühlt man es nämlich wesentlich unter null Grad Celsius, dann entsteht Eis, das weniger Alkohol enthält als die Flüssigkeit, die zurückbleibt. Filtriert man dieses Eis ab und wiederholt den Prozess, dann entsteht zunehmend stärkeres Bier.

Subtiler Titelkampf

Der Legende nach wurde die Eisbockmethode 1890 durch Zufall entdeckt. Aber Georg Tscheuschner hat sie so weit perfektioniert, dass er im Februar 2009 ein Bier vorstellen konnte, das in Sachen Alkoholgehalt alles bis dahin Dagewesene übertraf: Satte 31% hatte sein Schorschbock. Aber Tscheuschner war nicht der Einzige, der die Eisbockmethode ausreizte. James Watt und Martin Dickie von BrewDog setzten noch im gleichen Jahr einen drauf. Im November 2009 brachten die Schotten ein Bier mit 32% Alkohlgehalt heraus, und warfen Tscheuschner mit ihrem «Tactical Nuclear Penguin» medienwirksam den Fehdehandschuh hin. Dessen Antwort liess denn auch nicht lange auf sich warten. Im Dezember2009 brachte er ein Schorschbock mit 40% heraus.BrewDog fuhr darauf mit noch stärkerem Geschütz auf: Im Februar 2010 stellten sie das 41-prozentige «Sink the Bismarck» vor. Mit dem Namen des Biers nehmen sie Bezug auf ein deutsches Schlachtschiff aus dem Zweiten Weltkrieg, das 1941 von den Briten versenkt wurde.Tscheuschner liess sich weder von der kriegerischen Rhetorik noch von den Prozentzahlen aus der Ruhe bringen. Als er im vergangenen Mai die 43%-Version seines Schorschbock herausbrachte, war er um einiges subtiler mit seinem Seitenhieben: «Weil fränkische Männer Hosen tragen und nicht wie Mädels rumrennen», schoss er Richtung Schottland.Aber auch dieser Rekord sollte nur kurzen Bestand haben. Mit dem «End of History» hat BrewDog nun das Territorium jenseits der 50%-Grenze betreten. Und auch in dieser Runde blieb sich BrewDog treu in Sachen fragwürdiger Marketing-Methoden. Alle zwölf Flaschen des Rekordbiers stecken in ausgestopfen Tieren. Überfahrene Tiere, wie Watt betont, und fachgerecht präpariert. Den Groll von Tierschützern hat BrewDog – wohl kaum ganz überraschend – trotzdem auf sich gezogen. Und miteinem Preis von 500 bis 700 Pfund (etwa 770 bis 1080 Franken) ist das «End of History» wohl auch das teuerste Bier aller Zeiten. Ausverkauft ist es trotzdem schon längst.

Unendliche Geschichte?

Sind wir mit dem «End of History» am Ende angelangt? Wohl kaum. James Watt hat zwar angekündigt, dass für BrewDog das Kapitel geschlossen ist. Tscheuschner scheint dagegen gewillt, nochmals zuzulegen. Aber auch andere Brauereien beginnen sich für «Extrem-Eisböcke» zu interessieren. Die italienische Brauerei Revelation Cat etwa hat vergangenes Jahr ein 35%-Bier hergestellt, und aus Belgien meldete die Brauerei De Struise ein Bier mit 39 Volumenprozenten. Alex Liberati, der Besitzer von Revelation Cat, betont aber, dass ihm am Wettbewerb selber wenig liegt. Für ihn sind diese extremen Biere ein Weg zu neuem Biergenuss: «Wenn das Ausgangsbier genug Zucker hat, dann liefert die Eisbock-Methode einen überraschend seidigen Körper. Aber es ist immer noch Bier, ohne die komplexen Aromen, welche Spirituosen kennzeichnen.» Nicht unähnlich klingt es bei Tscheuschner, der streng nach deutschem Reinheitsgebot braut: «Ich möchte erkunden, was man aus dem Stoff machen kann. Ich möchte die Extreme ausloten. Und solch starke Biere herzustellen ist schlussendlich auch eine intellektuelle Herausforderung.» In der Vergangenheit hat sich harter Wettbewerb schon oft als Triebfeder für Innovation und Aufbruch in neue Gefilde erwiesen.Und schliesslich ist Bier das weltweit meistgetrunkene alkoholische Getränk, und wohl auch das älteste. Im Zeitraum von nur zwei Jahren hat es nun, in seiner stärksten Ausprägung, mehr als das Doppelte an Alkoholgehalt dazugewonnen. Man darf gespannt sein, was die Zukunft zu bieten hat.

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