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«Sonnenaugen faszinieren seit jeher»

Kurt Derungs, der Grenchner Kulturanthropologe mit Bündner Wurzeln, ist in seinem neusten Buch wieder einem besonderen Phänomen auf der Spur: den Sonnenlöchern in den Alpen. Auch in Graubünden.

Jano Felice
Pajarola
28.07.14 - 02:00 Uhr
Ereignisse

Er nennt sie auch die «Augen der Alpen» oder «Sonnenaugen», mit einem mystischen Beiklang, wie man es von seinen Publikationen gewohnt ist. Kurt Derungs, Begründer der Landschaftsmythologie, Dozent an Hochschulen und Leiter seiner eigenen Akademie der Landschaft, geht nach magischen Quellen, Kultbäumen und Orten der Liebe nun den Sonnenlöchern nach: natürlichen Öffnungen in Felswänden, durch die an bestimmten Tagen im Frühjahr und Herbst für kurze Zeit die Sonne scheint und dabei einen Lichtkegel formt.

Auf Kirchen und Grabhügel

Für Derungs sind die Löcher «eines der letzten Geheimnisse der Alpen», wie er schreibt. Denn bis auf wenige gut erforschte Ausnahmen – das Martinsloch in den Tschingelhörnern beispielsweise – wisse man recht wenig über diese «Lichterscheinungen». Am Anfang und Ende des Winters seien sie meist zu beobachten, deshalb hätten sich die Menschen in den Alpen zeitlich nach ihnen orientiert. Oft würden die Lichtkegel zudem auf Kirchen und alte Plätze wie Grabhügel fallen – für Derungs liegt deshalb der Schluss nahe, dass an frühgeschichtlichen Kultplätzen solche Phänomene mit einbezogen wurden. «Die alpinen Sonnenaugen faszinierten die Menschen seit jeher», meint Derungs.

Dämonisiert und vergessen

Der Kulturanthropologe ist trotzdem überzeugt, dass viele der «Augen» in den Bergen aus der Erinnerung verschwunden sind. Die mündliche Überlieferung zu den Löchern müsse früh abgebrochen sein; die wenigen Sagen, die es zu Felslöchern noch gebe, seien jüngeren Datums. Meistens handle es sich dabei um christlich verbrämte Erklärungen dazu, wie die Öffnungen entstanden seien – nicht durch Erosion oder Geologie, sondern durch den Teufel oder Hexen. «Die einst von den Menschen verehrten Lichtöffnungen wurden dämonisiert» – so seien sie in Vergessenheit geraten.

In Graubünden kann man mindestens zwei Sonnenlöcher beobachten: Von Flimser Gebiet aus das Martinsloch, durch das die Sonne jeweils Ende September in Richtung Segnespass scheint, und von Bergün aus das Elaloch. Beiden sind Kapitel in Derungs’ Buch gewidmet.

Schalenstein und Feuerheiliger

Natürlich spielt auch bei der Fora digl Ela der Teufel in der Sage die Rolle des «Felswand-Durchlöcherers»; es gibt sogar zwei Versionen der Geschichte. Und natürlich ist Derungs darum bemüht, in der Landschaft Spuren der kulturhistorischen menschlichen Naturverbundenheit zu entdecken.

Diese Spuren findet er im Surses – denn durch die Fora digl Ela scheint die Sonne nicht nur auf Bergün, sondern auch auf Manziel im Oberhalbstein, immer am 10. August. Manziel gehört zu Riom-Parsonz, und die Riomer Kirche ist Laurentius geweiht – einem Feuerheiligen, der am 10. August Gedenktag hat. Könnte es zudem eine Verbindung geben zum Schalenstein von Parnoz weiter nordöstlich? Ist der Strahl dort auch zu sehen?

So bleiben – neben einer umfassenden Einleitung und ausführlichen Erläuterungen zu neun «Sonnenaugen» zwischen Jura und Slowenien – auch Fragen offen bei Derungs. Der seinerseits hofft, dass durch aufmerksame Beobachter zumindest einige der vergessenen Felsenlöcher im Alpenraum wieder neu entdeckt werden.

Kurt Derungs: «Augen der Alpen». 176 Seiten. 85 Abbildungen. 38.90 Franken.

Jano Felice Pajarola berichtet seit 1998 für die «Südostschweiz» aus den Regionen Surselva und Mittelbünden. Er hat Journalismus an der Schule für Angewandte Linguistik in Chur und Zürich studiert und lebt mit seiner Familie in Cazis, wo er auch aufgewachsen ist. Mehr Infos

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