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Senad Lulic im Land, «wo die Leute für den Fussball leben»

Als 17-Jähriger hat er bei Chur 97 in der 1. Liga debütiert. Neun Jahre später spielt Senad Lulic in Italiens Serie A bei Lazio Rom. Noch nie brachte es ein Fussballer aus Chur so weit. Die Geschichte einer tollen Karriere.

Südostschweiz
15.07.12 - 02:00 Uhr
Fussball

Von Jürg Sigel

Fussball. – Bei Chur 97 wurde das Talent von Senad Lulic, der 1998 mit seinen Eltern aus dem ehemaligen Jugoslawien in die Schweiz kam, schnell erkannt. Der frühe Sprung in die damalige 1.-Liga-Equipe erstaunte deshalb nicht. Dass 2003 der Beginn einer grossartigen Karriere eingeläutet wurde, konnte zu diesem Zeitpunkt allerdings niemand ahnen – auch Lulic selbst nicht. «Natürlich kann man sich Ziele setzen. Ob diese dann erreicht werden, hängt aber von vielen Faktoren ab.» Talent allein genüge nicht, es brauche auch einen grossen Willen und Glück – Glück, entdeckt zu werden. Letzteres ist in Chur besonders schwierig, da sich selten Talentspäher nach Graubünden bequemen. Also wechselte Lulic 2006 in die Challenge League zu Bellinzona, «nachdem ich die Lehre als Automonteur abgeschlossen hatte. Ich wollte mich zuerst unbedingt beruflich absichern. Das war mir wichtig.»

Schritt für Schritt nach oben

Bei der AC Bellinzona avancierte Lulic unter Trainer Vladimir Petkovic (ebenfalls mit Churer Vergangenheit) sofort zum Stammspieler. Er stieg mit den Tessinern auf, zog als Dreingabe in den Cupfinal ein, weckte das Interesse von Super-League-Klubs und schaffte auch in der höchsten Schweizer Liga den Durchbruch – von 2008 bis 2010 bei den Grasshoppers, dann erneut unter Petkovic eine Saison bei den Young Boys. Parallel zu seinem Aufstieg innerhalb des Schweizer Fussballs wurde Lulic in die Nationalmannschaft von Bosnien-Herzegowina aufgeboten. Vor einem Jahr erfolgte schliesslich der Wechsel zu Lazio Rom, bei dem es nun ein spezielles Wiedersehen gibt: Neuer Trainer dort ist … Vladimir Petkovic.

«Im Ausland zu spielen, ist für jeden Schweizer Fussballer ein Traum», sagt Lulic. Im Gegensatz zu anderen Akteuren, die sich gleich bei der ersten sich ihnen bietenden kleinen Chance zu früh in eine grosse Liga verabschieden, hatte Lulic jedoch Geduld. Schritt für Schritt vorwärts respektive nach oben kommen lautete sein Motto. Erst als er sicher war, reif für das Ausland zu sein, verliess er die Super League. «Wenn ich nun zurückblicke, waren all meine Entscheide, was die Klubs und Ligen anbelangt, richtig.» Lulic hatte auch das Glück, «immer mit den richtigen Leuten zusammenarbeiten zu dürfen». Das sei auch jetzt so, bei Lazio, bei welchem Lulic vor zwölf Monaten einen Fünfjahresvertrag unterzeichnet hat.

In Rom fühlt sich Lulic sehr wohl

In Rom, mit 2,7 Millionen Einwohnern im Stadtgebiet sowie rund 3,3 Millionen Einwohnern in der Agglomeration Italiens grösste Stadt, fühlt sich Lulic sehr wohl – sowohl was das Leben anbelangt als auch betreffend seines Arbeitgebers. Dass er auf der Strasse oft angesprochen oder beim Essen in einem Restaurant ab und zu um ein Autogramm oder gemeinsames Foto gebeten wird, ist für Lulic zum Alltag geworden. Die Leute in der italienischen Hauptstadt kennen den Mann, der es auch in einer der bedeutendsten Ligen Europas geschafft hat. Jenen Lulic, der in Rom in eine völlig andere (Fussball-)Welt eintauchte. «Hier leben die Menschen für den Fussball. Findet ein Match statt, sitzen sie zu Hause vor dem Fernseher, wenn sie nicht im Stadion sind», erzählt Lulic. Und zweifellos schätzen es die Fans, dass er sich mit ihnen auf Italienisch unterhalten kann. Die Sprachkenntnisse hat er sich in Bellinzona angeeignet, «und das kommt mir nun entgegen – auch weil in den Trainings nur Italienisch gesprochen wird». In den Übungseinheiten, die, wenn der Klub die Türen öffnet, oft von 2000 bis 3000 Schaulustigen verfolgt werden.

«Um glücklich zu sein, brauche ich keine Villa»

Zwei Monate musste Lulic letzte Saison verletzungsbedingt pausieren. Trotzdem brachte er es auf rund 40 Wettspiel-Einsätze – in der Serie A, im Cup und in der Europa League bei Lazio Rom sowie im Dress von Bosnien-Herzegowina. Das ist ein eindrücklicher Leistungsausweis jenes Spielers, der Chur 97 einst ablösefrei verliess. Heute beträgt Lulics Marktwert gemäss seriösen Internetseiten zehn Millionen Franken. Doch Senad Lulic ist Senad Lulic geblieben: freundlich, bescheiden, ohne Starallüren – auf und neben dem Platz. «Ich lebe in einer normalen Wohnung», verrät er. «Um glücklich zu sein, brauche ich keine Villa. Das würde gar nicht meinem Typ entsprechen.» Glück ist für Lulic, auf dem Rasen zu stehen. Glück ist für ihn die Liebe: Seit 16 Monaten ist Lulic verheirat, mit einer Churerin.

«Ich weiss, dass ich mich bestätigen muss»

Am 6. Juli begann bei Lazio Rom die Vorbereitung für die neue Saison – mit Lulic, der unter anderem in Chur neue Kraft tankte. In der Stadt, in welcher er aufgewachsen ist, fühlt er sich immer noch sehr wohl. Hier hat er nach wie vor viele Freunde, hier lebt seine Familie. «Seit dem 30. Mai hatte ich Ferien, solange wie noch nie», gibt er lächelnd zu verstehen. Am Montag flog Lulic mit seiner Frau zurück nach Italien. Auf die Frage, mit welchen Zielen er und Lazio die neue Saison in Angriff nehmen werden, äussert sich der auf verschiedenen Positionen einsetzbare Lulic vorsichtig. «Wichtig ist eine gute Vorbereitung und gesund zu bleiben. Alles andere kommt von allein. Was möglich sein könnte, werden wir erst nach ein paar Spielen sehen.» Was ihn persönlich betreffe, «so ist das zweite Jahr immer schwieriger. Ich weiss, dass ich mich bestätigen muss.»

Mit Lazio tanzt Lulic auf drei Hochzeiten: in der Meisterschaft, im Cup und in der Europa League. Einen Champions-League-Platz verpasste Lazio, das als Höhepunkt beide Derbys gegen die AS Roma zu seinen Gunsten entschied («Für die Fans gibt es nichts Grösseres»), letzte Saison als Vierter um einen Rang. Ebenso blieb für Lulic mit Bosnien-Herzegowina die EM-Endrunde ein unerfüllter Traum. Zuerst wurden die Bosnier nur einen Punkt hinter Frankreich Gruppenzweiter, dann scheiterten sie in der Barrage an Portugal – wie schon in der WM-Qualifikation vor zwei Jahren. «Klar wäre ich gerne einmal an einem grossen Turnier dabei», sagt Lulic. Klar würde er auch gerne Meister und/oder Cupsieger werden, mit Lazio Rom, seinem aktuellen Klub. Es wäre Lulics erster Titel.

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