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Rückblick auf intensive Jahre in Irans Hauptstadt

Über vier Jahre hat die Bündnerin Livia Leu Agosti die Schweizer Botschaft in Teheran geführt. Nun ist sie mit ihrer Familie in die Schweiz zurück- gekehrt, wo sie von ihren Erlebnissen im Iran erzählt.

Südostschweiz
24.07.13 - 02:00 Uhr

Von Denise Erni

Ganz in weiss gekleidet und rassigen Schrittes kommt Livia Leu Agosti ins Restaurant «Au Premier» am Zürcher Hauptbahnhof. «Wir sind noch in der Rückkehr-Phase», sagt sie, setzt sich auf den Barhocker und bestellt einen Cappuccino. Erst Anfang Juli ist die Familie Leu Agosti aus Teheran zurückgekehrt, nach viereinhalb Jahren. «Es war ein Abschied mit einem lachenden und einem weinenden Auge», erzählt sie. Nach über vier Jahren seien ihnen nämlich Land und Leute ans Herz gewachsen. «Wir haben uns im Iran sehr wohlgefühlt und neue Freunde gefunden.» Neben Land und Leute werde ihr in der Schweiz wahrscheinlich auch die Intensität ihrer Arbeit etwas fehlen, fügt Leu Agosti schmunzelnd hinzu.

In der Tat hat die Botschafterin intensive Jahre im muslimischen Land erlebt. Neben der landeseigenen Vertretung ist die Schweizer Botschaft im Iran auch für die Anliegen der USA zuständig. Seit 1980 hat die Schweiz ein Schutzmachtmandat, das einen sicheren Kanal zwischen den beiden Ländern herstellt und sich für die Anliegen der rund 10 000 US-iranischen (Doppel-)Bürgerinnen und -Bürger im Iran kümmert.

Lob von Hillary Clinton

Gleich in ihrem ersten Sommer im Iran, Ende Juli 2009, wurde das diplomatische Geschick der Botschafterin stark gefordert. Drei Amerikaner wurden verhaftet, weil sie im kurdischen Teil Iraks die Grenze zum Iran überschritten haben sollen. Sie wurden ins Evin-Gefängnis nach Teheran gebracht unter dem Vorwurf der Spionage. Zwei Monate nach der Festnahme bekam Leu Agosti erstmals die Erlaubnis, die Inhaftierten zu besuchen. «Da es sich um US-amerikanische Staatsbürger handelte, hatte das Ganze eine politische Komponente und wurde somit zur Chefsache», erzählt sie. Mehrmals besuchte die Botschafterin Sarah Shourd, Shane Bauer und Joshua Fattal im Gefängnis, setzte sich dafür ein, dass ihre Mütter ins Land einreisen durften und verhandelte gemeinsam mit dem Oman über die Freilassung. «Ich war zuversichtlich, dass sich dieser Konflikt lösen lässt», sagt sie. «Der Zeitfaktor war jedoch schwer abzuschätzen. Ich war aber sicher, dass es nicht bis in alle Ewigkeiten dauern würde.»

Nach über einem Jahr Haft, im September 2010, wurde Sarah Shourd freigelassen, Ende September 2011 kehrten Shane Bauer und Joshua Fattal in ihre Heimat zurück. Mit der Freilassung ging für Leu Agosti eine intensive Zeit zu Ende. Ihr Engagement wurde von den Amerikanern sehr geschätzt und die damalige US-Aussenministerin Hillary Clinton liess es sich nicht nehmen, Leu Agosti und der Schweiz persönlich für ihren unermüdlichen Einsatz zu danken. Im Oktober 2011 empfing Clinton die Bündnerin in ihrem Büro in Washington.

Kopftuch gehört zum Alltag

Kraft und Rückhalt in dieser anstrengenden Zeit fand Leu Agosti bei ihrem Mann Donat Agosti und den Kindern Julius und Valentin. Als 2008 die Versetzung in den Iran aufs Tapet kam, war es dann auch ein Familienentschluss, die «Chance anzunehmen». «Eigentlich stand ja Brasilien zuoberst auf unserer Wunschliste», gibt sie ehrlich zu. «Ich war schon etwas überrascht über den Vorschlag meiner damaligen Chefin, Bundesrätin Micheline Calmy-Rey, mich in den Iran zu entsenden.» Zumal es Leu Agostis erster Posten als Mis- sionschefin war. «Es war eher ein Vertrauensbeweis der Bundesrätin als eine Strafversetzung», sagt sie heute und lacht.

Als es dann soweit war und die Familie im Januar 2009 das Flugzeug nach Teheran bestieg, klopfte das Herz der Botschafterin schon ein wenig. Im Anflug auf Teheran musste sich Leu Agosti ihr neues, tägliches Kleidungsstück anziehen – das Kopftuch. «Ohne dieses darf eine Frau im Iran das Flugzeug schon gar nicht verlassen», sagt sie. «Das ist keine Unterwerfung, sondern ein Gesetz, an das es sich zu halten gilt.» Nach ihrer Zusage, den Posten anzunehmen, bekam sie in der Schweiz vereinzelte negative Reaktionen. «Für die Sache der Gleichberechtigung ist es meiner Meinung nach ein grösserer Tatbeweis, wenn ich als Frau an solch einem exponierten Posten bin», sagt sie.

Iranische Männer sind höflich

Sehr freundlich wurde Leu Agosti von ihren Botschafter-Kollegen im Iran empfangen, ebenfalls von den Behörden vor Ort. «Ich fühlte mich nie diskriminiert», erzählt die 52-Jährige. Anfangs habe es ein paar kleine Missverständnisse gegeben, weil davon ausgegangen wurde, ihr Mann Donat Agosti sei der Schweizer Botschafter. «Das klärte sich dann aber sehr schnell. Und so hatte ich den Vorteil, dass ich überall erkannt wurde, weil ich meistens die einzige Frau unter vielen Männern war.» Den Frauen gegenüber sind die Männer sehr höflich und «sie können den Frauen weniger abschlagen», so Leu Agostis Erfahrung. Gewöhnungsbedürftig war vor allem zu Beginn, dass die iranischen Männer den Frauen nie die Hand reichen. Körperkontakt unter Nicht-Verwandten ist tabu.

Nach einem Monat im Land, hatte Leu Agosti ihren Antrittsbesuch beim damaligen Regierungschef Mahmoud Ahmadinedschad. Fast eine Stunde unterhielt sie sich mit dem Präsidenten. «Etwa die Hälfte der Zeit sprachen wir über die USA, deren Interessen die Schweiz vertritt. Das trägt zum guten Ruf der Schweiz im Iran bei.»

Vier Jahre beim Seco

Nun sind Livia Leu Agosti und ihre Familie mit vielen Erlebnissen zurück in der Schweiz. «Meine Kinder sprechen inzwischen fliessend Farsi, ich hatte leider keine Zeit, die Sprache ebenso gut zu lernen», sagt sie. In Bern richtet sich die Familie ihr neues Zuhause ein. «Es ist gut für die Kinder, wenn sie wieder in eine öffentliche Schule gehen», sagt sie. Ihr Ehemann wird am Naturhistorischen Museum in Bern weiterhin über Ameisen forschen. Die Botschafterin selber startet im August mit ihrer neuen Aufgabe beim Staatssekretariat für Wirtschaft Seco. «Das ist eine Detachierung für vier Jahre», sagt sie. Was danach sei, wisse sie noch nicht. Klar aber ist: «Wir möchten nochmals ins Ausland.» Vielleicht klappts ja dann mit Brasilien.

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