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Philipp Bauknecht, der erste moderne Maler von Davos

Die Ausstellung «Philipp Bauknecht – Davoser Bergwelt im Expressionismus» im Kirchner-Museum Davos zeigt einen Zeitgenossen des grossen Expressionisten, der erst verfemt, dann vergessen wurde. Jetzt ist er zurück im Rampenlicht.

Südostschweiz
22.11.14 - 01:00 Uhr

Julian Reich

«Ich muss noch heute lachen, als der Herr Kunstmaler hier eintrat in dies Chaos, was dieser für ein komisches Gesicht machte. Darauf war er nicht gefasst.» Diese Worte schrieb Ernst Ludwig Kirchner drei Tage nach seiner ersten Begegnung mit Philipp Bauknecht. Im Januar 1920 war das, Kirchner lebte seit rund zwei Jahren in Davos, Bauknecht schon seit 1910. Die Erinnerung an das erste Zusammentreffen weist bereits auf eine grundlegende Verschiedenheit zwischen den beiden Künstlern hin: Hier der Bohémien Kirchner, dem Alkohol und den Drogen zugetan, dort der aufrechte Bauknecht, abstinent und vielleicht auch ein wenig prüde. Wie anders ist es zu erklären, dass der vier Jahre jüngere Bauknecht nur einen einzigen weiblichen Akt malte. Dieser ist ab morgen Sonntag im Kirchner-Museum in Davos zu sehen.

Erst verfemt, dann vergessen

«Philipp Bauknecht – Davoser Bergwelten im Expressionismus» heisst die Schau, es ist eine Kooperation zwischen dem Museum Würth in Künzelsau, dem Kirchner-Museum und der Davoser Galerie Iris Wazzau. Letztere hat massgeblichen Anteil daran, dass Bauknecht heutzutage jenen Rang unter den Malern der Moderne besitzt, der ihm zusteht. Denn Bauknecht war lange Zeit vergessen.

Sein Bild «Hirtengespräch» wurde 1937, vier Jahre nach seinem Tod, von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Ausstellung «Entartete Kunst» gezeigt. Danach blieb es verschollen. Bauknechts Witwe, Ada van Blommestein, zog mit dem Nachlass nach Amsterdam, wo die Gemälde auf einem Dachboden verstaut wurden. Erst 1960 gelangten sie in die Hände des Galeristen Joop Smid. Dieser suchte Kontakt zur Davoser Galeristin – und diese fing sofort Feuer. Seither hat Wazzau den Künstler mit mehreren Ausstellungen zurück ins Bewusstsein gebracht, zudem arbeitet sie derzeit an einem Werkverzeichnis.

Bauknechts Werk ist vollständig in Davos entstanden. 1910 trieb den ausgebildeten Schreiner und Innendekorateur eine Tuberkuloseerkrankung in den Bündner Kurort– eine Erkrankung, die ihn noch lange beschäftigen sollte. Bald war an eine Tätigkeit in seinem angestammten Beruf nicht mehr zu denken, weshalb er sich der freien Kunst zuwendete.

«Jahre voller Seelenpein!»

«Andauernde Erkrankung und materielle Not zwangen mich in meinem Schaffen dem Geschmack der breiten Masse Rechnung zu tragen. Jahre grösster Seelenpein!» So schrieb er später über diese Zeit, in der noch ganz dem Jugendstil verhaftete Bilder von Davoser Alltagsszenen und einige Landschaften entstanden. Unverkennbar ist auch der Einfluss Segantinis und Hodlers – obwohl Bauknecht wohl eher von «Verwandtschaft» gesprochen hätte. Über eine Ausstellung Hodlers in Zürich sollte er schreiben: «Hodler malt wie ich.»

Die Werke der frühen Jahre zeugen gemäss Thorsten Sadowsky, Direktor des Kirchner-Museums, von Bauknechts Suche nach der eigenen Bild- und Farbsprache. Allmählich löst er sich vom «Geschmack der breiten Masse» und experimentiert mit Farbe und Fläche – und das Jahre bevor Kirchner und mit diesem eine ganze Entourage an Expressionisten in Davos das Lager aufschlugen.

Bauknecht blieb zeitlebens auf Distanz zur Davoser High-Society, die er im einen oder andren Werk auch in grotesker Überzeichnung aufs Korn nahm. Viel zu verdanken hatte er aber dem Kunsthistoriker Erwin Poeschel, der ihn mehrfach lobend besprach und so auch zu einem gewissen Einkommen verhalf. Ab den 1920er Jahren setzte eine rege Ausstellungsaktivität in Deutschland ein, während es in der Schweiz weiterhin still war um Bauknecht.

Hier lebte dieser «in farbenfroher Bergeinsamkeit unter urigen Bewohnern mit extremen Riten und Gebahren». Das bäuerliche Leben um ihn herum – Bauknecht wohnte meist ausserhalb des Dorfes – fand einen starken Niederschlag in seiner Kunst. Zu wiederkehrenden Motiven gehören mähende Bauern, Ziegenhirten und Tiere, auch da noch, als er sich zunehmend von der Gegenständlichkeit hin zu einer expressionistischen, ja fast abstrakten Formsprache hin bewegte.

Ringen mit Kirchner

In dieser Zwischenphase malte Bauknecht auch das Gemälde «Schwinger (Ringkämpfer)», das vor 1924 – Bauknecht war kein genauer Datierer – entstanden sein muss. Es soll, so schreibt Beat Stutzer im Katalog zur Ausstellung, die beiden Künstler Kirchner und Bauknecht zeigen, wie sie sich in einen zähnen Ringkampf verbissen haben – auf Augenhöhe notabene. Der Grund für den etwa zu dieser Zeit erfolgten Bruch zwischen den beiden war schon in ihrer ersten Begegnung präsent: Dem begeisterten Berggänger Bauknecht war Kirchners Lebenswandel schlichtweg zuwider.

Bis 19. April. Zur Ausstellung erscheint ein ausführlicher Katalog. www.kirchnermuseum.ch.

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