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Pflegende Angehörige von der Spitex anstellen lassen?

Pflegende Angehörige sind der grösste Pflegedienst der Welt. Bei grossem Zeitaufwand können sie – wenn sie dies wünschen – von den zuständigen Spitexorganisationen angestellt werden. Der Kanton möchte hier die Spitex stärker in die Pflicht nehmen. Doch der Widerstand ist gross.

Südostschweiz
06.06.13 - 02:00 Uhr

Von Christian Buxhofer

Liebe und Zuneigung sowie die Vermittlung von Sicherheit und Geborgenheit: Das sind die Hauptmotive, weshalb Angehörige ihre pflegebedürftigen Verwandten betreuen. Weitere Gründe sind gemäss einer Umfrage das Pflichtgefühl und finanzielle Überlegungen, wie Regierungsrat Christian Rathgeb in seinem Referat an der Generalversammlung des Schweizerischen Roten Kreuzes am Mittwoch in Chur ausführte. So ganz freiwillig erfolgt der Einsatz pflegender Angehöriger also nicht: «Freiwillig heisst, von Anfang an bestimmen können, welche Arbeit geleistet werden kann, wie oft ein Einsatz möglich ist, und aussteigen können, wenn es zu viel wird.» Alle diese Entscheidungen könnten pflegende Angehörige oft nicht treffen.

Es braucht eine Entlastung

Damit die pflegenden Angehörigen nicht überfordert und wenn möglich selber krank würden, sei es wichtig, dass es für sie «flexible und individuelle Entlastungsangebote» gebe. Gefragt seien vor allem Tages- oder Nachtbetreuung, ein 24-Stunden-Dienst mit Hotline für Notfälle und Ferienbetten, so der Gesundheitsminister. Aber es brauche auch in finanzieller Hinsicht eine Lösung für pflegende Angehörige, zumal viele aufgrund des grossen zeitlichen Aufwands keinem (vollen) Erwerb mehr nachgehen können. Während die Vereinbarkeit von Beruf und Familie heute hohe Akzeptanz geniesse, werde die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit mit der Pflege und Betreuung von Familienangehörigen noch wenig diskutiert, bedauert Rathgeb: «Leider dürfte der ‘grösste Pflegedienst der Welt’ trotz seiner immensen Bedeutung von der Gesellschaft erst richtig wahrgenommen werden, wenn ein Generalstreik ausgerufen würde.»

Spitex in die Pflicht nehmen

Als eine von vier Massnahmen, um die Situation der pflegenden Angehörigen zu verbessern (siehe Kasten), hat der Kanton Graubünden vor einigen Jahren die Möglichkeit geschaffen, pflegende Angehörige durch die Spitexdienste anstellen zu lassen. Das entsprechende Reglement sieht dies vor, wenn die pflegenden Angehörigen eine Bestätigung über die erfolgreiche Absolvierung des Pflegehelferinnenkurses beziehungsweise des Pflegehelferkurses des Schweizerischen Roten Kreuzes vorweisen oder über eine entsprechende Ausbildung verfügen. Zudem muss der Einsatz einer Langzeitsituation entsprechen, die Anstellung auf mindestens zwei Monate angelegt sein, und die pflegende Person darf das AHV-Alter noch nicht erreicht haben.

Da die Spitexdienste von dieser Möglichkeit trotz entsprechender Nachfrage bisher nur «zurückhaltend» Gebrauch gemacht hätten, habe die Regierung per Anfang Jahr in der Verordnung zum Krankenpflegegesetz die Verpflichtung der Spitexdienste aufgenommen, pflegende Angehörige auf deren Wunsch anzustellen, wenn die entsprechenden Bedingungen erfüllt seien, so Rathgeb. Auf begründetes Gesuch könnten die Dienste im Einzelfall vom Gesundheitsamt von der Anstellungspflicht befreit werden.

Rekurs eingereicht

Gegen diese Bestimmung haben verschiedene Spitexorganisationen vor dem Verwaltungsgericht Beschwerde eingereicht. Sie wollen diesen Eingriff in ihre «unternehmerische Freiheit» nicht akzeptieren, nannte Tino Morell, Geschäftsführer des Spitexverbandes Graubünden, gestern gegenüber dem BT eines der Hauptargumente. Es könne doch nicht sein, dass der Kanton einer privaten Organisation vorschreibe, wen sie anzustellen habe. Zudem fehle dem Kanton die rechtliche Grundlage. Die Idee, pflegende Angehörige anzustellen, werde von den Spitexorganisationen aber befürwortet: «Dort, wo es funktioniert, wird das auch schon gemacht.» Im letzten Jahr seien vier pflegende Angehörige von Bündner Spitexorganisationen angestellt worden. Die Zahl der Interessenten sei sehr gering gewesen. Dies belege, dass sich die Spitexorganisationen nicht grundsätzlich sträuben würden: «Aber eine Verpflichtung darf es nicht geben.»

Christian Rathgeb wollte sich zur Auseinandersetzung mit den Spitexorganisationen gestern nicht mehr weiter äussern und verwies auf das laufende Verfahren. Zudem betonte er, dass es nur in einem von vielen Punkten eine Differenz gebe und die Zusammenarbeit zwischen Kanton und Spitex gut sei. Dem Entscheid des Bündner Verwaltungsgerichts, der in einigen Monaten erwartet wird, sehe er gelassen entgegen. Wichtig sei, dass den Anliegen der pflegenden Angehörigen mehr Beachtung geschenkt werde. Das sei unabhängig vom richterlichen Entscheid möglich.

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