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Neues Selbstbewusstsein der Schweiz

Der Bundesrat kann aussenpolitische Erfolge verbuchen: Er sitzt dank Russland am G-20-Tisch und erhält am WEF in Davos von Deutschland Rückendeckung im EU-Streit.

Südostschweiz
27.01.13 - 01:00 Uhr

Von Florence Vuichard

Davos. – Die gute Nachricht traf vor ein paar Tagen in Bern ein: Russland hat die Schweiz an das Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs der G-20 eingeladen, das Mitte Februar in Moskau stattfindet. «Das ist eine grosse Chance und eine grosse Herausforderung zugleich», sagt Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf. Denn dort werden die Spielregeln beschlossen, welche finanz- und steuerpolitischen Taktiken international akzeptiert sind und welche nicht.

«Die Schweiz wird interessant»

Die Rückkehr an den Tisch der Mächtigen war aber alles andere als einfach. «Es ist das Resultat eines langen Prozesses», betont Aussenminister Didier Burkhalter. Seine Botschaft an die Adresse Russlands war immer dieselbe: «Die Schweiz gehört in mehreren Bereichen weltweit zu den führenden Nationen.» Auf der Liste der Schweizer Errungenschaften stehen gemäss Burkhalter unter anderem der Finanzplatz, die hohe Innovationsfähigkeit, der wirtschaftliche Erfolg, die Vorreiterrolle bei Mediationen, das OSZE-Präsidium 2014 und letztlich auch die engen Beziehungen zur EU. Die Argumente wurden offenbar gehört. Burkhalters Fazit: «Die Schweiz wird interessant.»

Erste positive Signale hatte Burkhalter letzten Oktober anlässlich seines Besuchs in Moskau erhalten. Und die Aussichten stünden nicht schlecht, dass die Schweiz gar am eigentlichen G-20-Gipfel im September in St. Petersburg dabei sein könnte. Das jedenfalls sagte Bundespräsident Ueli Maurer nach seinem Treffen mit dem russischen Regierungschef Dmitri Medwedew am Rande des World Economic Forum (WEF) in Davos.

«Moscovici hat das anerkannt»

Doch die Schweiz will mehr: «Wir hoffen von nun an, immer eingeladen zu werden», sagt Widmer-Schlumpf. «Wir sind deshalb auch schon länger mit Australien in sehr engem Kontakt, das 2014 die Präsidentschaft der G-20 übernimmt.» Und Burkhalter ergänzt: «Die G-20 sind vielleicht keine demokratisch abgestützte Institution, das kann man kritisieren. Aber die G-20 sind eine Realität: Und deshalb ist es wichtig, dass wir jetzt zu den Gipfeln eingeladen sind.» Die Einladung aus Moskau hat der Schweiz neues Selbstvertrauen gegeben. Das zeigte sich auch in Davos. Die angriffige Eröffnungsrede von Bundespräsident Ueli Maurer vor zahlreichen Ministern und Managern war der passende Auftakt.

Konkrete Resultate bringen die Bundesräte zwar nicht aus Davos nach Bern. Das WEF sei nicht der Ort für Lösungen, betonen Widmer-Schlumpf und Doris Leuthard übereinstimmend. Aber sie hätten die zahlreichen Treffen genutzt, um das Terrain für Lösungen vorzubereiten. Oder auch um ihren Gegenspielern mal die Meinung zu sagen: So beschwerte sich etwa Widmer-Schlumpf beim französischen Finanzminister Pierre Moscovici über die Art und Weise, wie seine Regierung unangekündigt zwischen Weihnachten und Neujahr die Praxis für pauschalbesteuerte Franzosen in der Schweiz abgeändert hat. Die erstaunliche Reaktion: Moscovici gab ihr sogar recht. «Er hat das anerkannt», betont Widmer-Schlumpf.

Punkten konnten die Bundesräte in Davos auch im Streit mit der EU um die künftige Zusammenarbeit. Insbesondere bei den Deutschen. Johann Schneider-Ammann spricht von einem «deutlichen Commitment», das er sowohl vom deutschen Wirtschaftsminister Philipp Rösler sowie von der Arbeitsministerin Ursula von der Leyen erhalten habe. Beide hätten Verständnis für den bilateralen Weg der Schweiz.

Das ist Musik in den Ohren von Aussenminister Burkhalter, der gar nichts hält von den in der Schweiz neu aufgebrachten EWR-Diskussionen: «Unsere Position ist klar: Wir wollen die institutionellen Probleme mit der EU im Rahmen eines erneuerten, bilateralen Weges lösen.» Die EU habe signalisiert, dass sie dies akzeptiere, solange ihre Forderungen eingehalten werden. Das sei natürlich nicht einfach, es brauche einen guten Willen und konstruktive Arbeit auf beiden Seiten. «Wichtig ist: Wir müssen in der Schweiz standhaft und ruhig bleiben», sagt Burkhalter. «Es gibt keine andere Lösung.» Nun liegt es an Staatssekretär Yves Rossier, beim Treffen vom nächsten Dienstag mit seinem europäischen Gegenüber, dem Exekutivdirektor David O’Sullivan, Burkhalters Vorgaben umzusetzen.

«Viele Minister sind heute lösungsorientiert»

Eine weitere Erkenntnis aus Davos: Die Schweiz will vermehrt ihre Probleme mit der EU mit den Ministern verschiedener Länder diskutieren statt mit den Technokraten in Brüssel. «Es sind politische Fragen, die müssen auch politisch diskutiert werden», sagt Widmer-Schlumpf. «Man muss die Probleme nicht nur technisch anschauen.»

Die politische Herangehensweise war es schliesslich auch, welcher der Schweiz die Tür zu den G-20 geöffnet hat. Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet Alain Berset diesen Weg schon vor vier Jahren vorgeschlagen hat – lange bevor er Bundesrat wurde. In den letzten vier Jahren hat sich viel verändert. Damals wollte der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück die Kavallerie losschicken, sein französischer Kollege, der Budgetminister Eric Woerth, liess sich nicht zweimal bitten, die Schweiz zu kritisieren, und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) drohte wiederholt und überzeugend, die Schweiz auf die schwarze Liste der Steuerparadiese zu setzen.

Heute pflegt Widmer-Schlumpf mit dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble regelmässigen Kontakt, Moscovici akzeptiert ihre Rüge, und die G-20, die innerhalb der OECD den Takt angeben, laden sie nach Moskau ein. Widmer-Schlumpf erklärt sich diese Wende zum Guten auch mit dem Charakter der involvierten Personen: «Es gibt heute viele Minister, die lösungsorientiert sind.»

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