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«Ich musste beim Lesen gleichzeitig lachen und weinen»

Die Verfilmung von Pedro Lenz’ Mundartroman «Dr Goalie bin ig» feiert kommenden Freitag am Filmfestival in Solothurn Premiere. Ein Gespräch mit der Regisseurin Sabine Boss.

Südostschweiz
22.01.14 - 01:00 Uhr

Mit Sabine Boss sprach Stefan Künzli

Stefan Künzli: Frau Boss, was hat Sie am Goalie gereizt?

Sabine Boss: Das Buch «Der Goalie bin ig» von Pedro Lenz habe ich in einer Nacht verschlungen. Es hat mich berührt und gefesselt, ich musste beim Lesen gleichzeitig lachen und weinen. Diese Gratwanderung zwischen Komödie und Drama ist genau das, was ich liebe. Ausserdem ist es eine Geschichte, die meine Generation anspricht, und sie spielt im Mittelland, wo ich herkomme.

Der Goalie ist ein Geschichtenerzähler wie Sie. Irgendwie seid ihr wesensverwandt. Hat das eine Rolle gespielt?

Ja und nein. Natürlich bin ich als Regisseurin eine Geschichtenerzählerin wie er. Aber mich hat einfach seine Figur fasziniert. Überall gibt es ja solche Typen wie den Goalie, die man etwas herablassend als «Hänger» tituliert. Aber es sind Leute mit grossem Potenzial, die einfach zu wenig «ellbögeln» können. Goalie ist einer, der viel weiter kommen würde, wäre er nicht so ein lieber Cheib.

«Wir haben einiges verschoben und erfunden»

Haben Sie für den Film viel geändert?

Ja, wir haben einiges verschoben und erfunden. Aber das ist bei jeder Umsetzung eines literarischen Stoffes ein ganz normaler Vorgang. Ein Filmdrehbuch hat nun mal eine andere Erzählstruktur als ein Roman. Im Film gibt es zum Beispiel einige Szenen zwischen Regi und Budi, die es im Buch nicht gibt, auch den Ausflug nach Spanien haben wir verändert. Im Buch gibt es nur einen Erzählstrang, jenen vom Goalie. Für den Film haben wir sein Umfeld und die Welt von Schummertal stärker betont.

Und die Dialoge?

An den Dialogen haben wir sehr intensiv gearbeitet. Pedro war am Drehbuch, speziell an den Dialogen mitbeteiligt, und so ist seine sprachliche Handschrift auch im Film deutlich zu spüren. Er ist denn auch mit dem Ergebnis sehr zufrieden.

Goalie ist im Buch ein Plauderi, der sich seine Wahrheit durchs Erzählen zurechtbiegt. Es ist seine Überlebensstrategie. Das kommt im Film nicht so deutlich rüber.

Das stimmt. Filmisch funktionieren innere Monologe, auf die der Roman aufgebaut ist, eher schlecht. So kommt dieser Aspekt im Film weniger vor.

Wie sind Sie selbst mit dem Ergebnis zufrieden?

Es ist für mich ein Herzensprojekt, und ich bin stolz auf den Film.

Spüren Sie inzwischen, ob ein Film von Ihnen ein Erfolg wird?

Ich weiss, wenn etwas gelungen ist. Das ist diesmal sicher der Fall. Aber ob der Film beim Publikum ankommt, ist schwieriger. Ich frage mich zum Beispiel, ob diese Geschichte eine andere Generation auch so berührt. Aber es gibt schon Faktoren, die für ei- nen Erfolg sprechen: das erfolgreiche Buch, das grosse Interesse der Medien. Aber sicher bin ich nicht. Nehmen wir das «Missen Massaker» von Michael Steiner. Der Film wurde im Vorfeld gepusht und gefeiert, hat an der Kinokasse aber nicht funktioniert.

«Ich bin so nervös wie beim ersten Film»

Wie ist Ihre Gefühlswelt so kurz vor der Premiere?

Ich bin so nervös wie beim ersten Film. Das geht wohl nie weg. Im Gegenteil: Je mehr Erfahrung man hat, desto besser weiss man, was alles schiefgehen kann. In letzter Zeit sind so viele Schweizer Filme erschienen. Es könnte sein, dass das Publikum genug hat. Es gibt so viele Faktoren, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.

Wie kam der Song «Clap Hands» von Tom Waits in den Film?

Tom Waits gibt Einwilligungen für seine Songs nur persönlich und nur, wenn er den Film gesehen hat. Deshalb haben wir die betreffende Szene mit englischen Untertiteln versehen und ihm geschickt. Niemand wollte mir glauben, dass wir es schaffen, an den Mann überhaupt heranzukommen. Aber siehe da – es hat geklappt.

Bei Schweizer Filmen werden die Dialoge immer wieder kritisiert. Zu Recht?

Ich finde auch, dass sich Schweizer Filmer oft zu wenig um die Dialoge kümmern. Sie werden generell unterschätzt. Deshalb hatten beim Goalie die Dialoge oberste Priorität, und wir haben wochenlang um die beste Formulierung gerungen.

Ihr Tatort «Hanglage mit Seesicht» wurde in dieser Hinsicht aber verrissen.

Das Problem ist da die hochdeutsche Synchronfassung. Diese Mischform zwischen Mundart und Hochdeutsch bricht jedem Film das Genick. Deshalb wird es für den Goalie keine Synchronfassung geben. Nur Untertitel.

Und was ist die Lösung für den Schweizer «Tatort»?

Die grosse Krux ist, dass das Schweizerdeutsch für die deutschen Zuschauer eine Fremdspache ist. Also braucht es entweder Untertitel (was am deutschen Fernsehen nicht geht) oder dann eine gescheite Synchronfassung. Am idealsten wäre es, wenn man zwei Sprachfassungen zur gleichen Zeit drehen könnte. Das wären aber rund acht Drehtage mehr. Ein Drehtag kostet zwischen 30 000 und 50 000 Franken, das käme leider zu teuer. Deshalb müsste man mal den Versuch machen, hochdeutsch zu drehen. Ich glaube, es ist einfacher, eine hochdeutsche Fassung auf Mundart zu synchronisieren als umgekehrt.

Haben Sie vom «Tatort» die Nase voll?

Nein, überhaupt nicht. «Der Tatort» ist für jeden Filmer eine Ehre.

Sie waren in der Kanti eine Punkerin und Rebellin. Heute machen Sie mit Erfolg Filme für den Mainstream.

Was heisst schon Mainstream? Ich habe gern Publikum, ich will mit meinen Filmen unterhalten. Ich fühle mich aber immer noch als Rebellin. Ich habe zwar keine blauen Haare mehr, aber ich habe meinen eigenen Weg durchgezogen und kann als Künstlerin leben. Meine Rebellion ist meine Passion.

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