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Hauser will Gerechtigkeit und Würde

Südostschweiz
11.09.10 - 02:00 Uhr
Zeitung

Von Magdalena Petrovic

Chur. – Mehrere afghanische Frauen sitzen im Kreis. Die Frauen tragen bunte Umhänge und Gewänder. Mit leicht gesenkten Köpfen und traurigen Gesichtern blicken die Frauen in verschiedene Richtungen zur gegenüberliegenden Wand. Die Wände sind grau und schimmlig. Der ganze Raum wirkt unsicher, unhygienisch und kalt für das Auge des Betrachters – was in keiner Hinsicht menschenwürdig ist. Das Foto habe sie 2002 in einem Gefängnis in der afghanischen Hauptstadt Kabul gemacht, sagt Monika Hauser, Gründerin der Hilfsorganisation Medica Mondiale an ihrem Referat im vollen GKB-Auditorium.Die Frauen wären grundlos inhaftiert: Ein 12-jähriges Mädchen wird verurteilt, weil sie mit der Zwangsehe mit einem 50-jährigen Mann nicht einverstanden ist und von zuhause wegläuft. Eine junge Frau sitzt mit ihren Kindern in der Gefängniszelle, weil man ihr vorwirft ihren Ehemann mit dem Nachbarn betrogen zu haben. «Ist das gerecht? Und hat das etwas mit Menschenrecht zu tun?» fragt die ehemalige Gynäkologin in den Saal. Während die einen Zuhörer entsetzt den Kopf schütteln, antworten die anderen mit einem «Nein».Seit dem Balkankrieg von 1992 und der Gründung der Organisation Medica Zenica, setzt sich Hauser für vergewaltigte Frauen in Kriegsregionen ein (Ausgabe vom 4. September). Sie gibt den betroffenen Frauen in Bosnien, Afghanistan, Liberia, Kongo und im Kosovo medizinische und psychologische Betreuung.

Zuerst Brücken zu uns selbst bauen

«Gewalt ist die extremste Form der Geschlechter-Ungerechtigkeit», so Hauser. Dabei versuche sie in erster Linie Brücken zu unserer Gesellschaft zu bauen. Gewalt und sexueller Missbrauch herrsche nicht nur in Kriegsgebieten, sondern auch in der Schweiz. Laut Hauser sind 40 Prozent der Frauen in Deutschland Opfer von Gewalt. In der Schweiz sei die Opferzahl nicht anders. «Gerade weil wir in einer Kultur des Wegschauens leben», so Hauser, sei es für Opfer schwierig, darüber zu sprechen.

«Wir alle können etwas verändern»

Während ihres Referates ergreift Hauser immer wieder die Initiative und kritisiert die politische Untätigkeit betreffend der Massenvergewaltigungen an Frauen. Das jüngste Ereignis im Kongo beweise es: Vor einem Monat waren in einem Dorf 250 Frauen vergewaltigt worden – nur 30 Meter von einem Uno-Stützpunkt entfernt, erzählt Hauser. Es sei eine Tatsache, dass Politiker kein Interesse für das Leid der vergewaltigten Frauen in Kriegsregionen zeigen. Dies müsse sich in Zukunft ändern, und sie als Geschäftsführerin von Medica Mondiale werde sich mit ihren Mitarbeitern weiter für die Menschenrechte der Vergewaltigungs- und Gewaltopfer einsetzen, betont Hauser immer wieder. «Wir alle können etwas verändern, vor allem die Frauen setzen sich für die Opfer ein», so Hauser, aber die Männer müssten auch Mitverantwortung übernehmen und etwas bewegen.«Bei meiner Arbeit geht es mir um Gerechtigkeit und Würde», sagt sie selbstsicher. Sie wolle den betroffenen Frauen mit Hilfe von medizinischer und psychologischer Hilfe ihre Würde zurückgeben. Und Gerechtigkeit wolle sie den Opfern verschaffen, indem sie sich ihre Geschichten anhörte und diese auch glaube. «Für jede Frau bedeutet der Begriff Gerechtigkeit etwas anderes», so Hauser. Für vergewaltigte Frauen sei die höchste Stufe der Gerechtigkeit, wenn man ihnen zum Beispiel vor Gericht glaubt und die Täter eine Haftstrafe erhalten.

Chur. – Während des «Steh-Z'Nacht» vor dem Referat von Monika Hauser haben sich die Gäste zu den Themen Gewalt, Massenvergewaltigungen und Tabuisierung in der Gesellschaft unterhalten.Eveline Widmer-Schlumpf, Bundesrätin, via Videobotschaft: «Gewalt kennt keine Grenzen. Jeden Tag erfahren Frauen häusliche, sexuelle und psychische Gewalt. Wir sind aufgefordert, dieses Thema öffentlich zu machen. Ich habe mich sehr gefreut, als ich für das Patronat angefragt wurde. Und ich mache es aus voller Überzeugung. Ich hoffe, dass wir nach diesem Benefizanlass die leisen Schreie der Opfer lauter werden lassen.»Giusep Nay, ehemaliger Bundesgerichtspräsident: «Bei uns Männern löst das tiefe Betroffenheit aus, wenn wir von so schrecklicher Gewalt an Frauen hören. Man fragt sich dann: 'Wohin sollen diese Gewalt-taten und Massenvergewaltigungen führen?' Durch ihre Arbeit und ihren Einsatz bringt Monika Hauser die Leute zum Nachdenken. Das ist auch in unserer Gesellschaft nötig.»Andreas Müller, Psychotherapeut, Praxis für Kind, Organisation undEntwicklung: «Wenn man von solchen grausamen Gewalttaten hört, dann ist man auch als Mann im ersten Moment schockiert. Das Erste, was mir durch den Kopf geht: 'Wie ist das möglich?' Und wenn ich das verarbeitet habe frage ich mich: 'Was kann ich machen und dagegen unternehmen?' Und dann bin ich erleichtert, wenn ich Menschen wie Monika Hauser treffe, die sich für die Menschenrechte einsetzen. Es gibt immer Möglichkeiten, welche das Leben erleichtern. Es wird nie möglich sein, die Gewalt in der Welt auszulöschen, aber gemeinsam können wir sie auf jeden Fall reduzieren. Indem wir vor allem bewusst hinschauen und wirklich etwas dagegen tun.» (mp)

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