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Grüne Ideologie gegen den Menschen

Wieso wird eine Volksinitiative für den Umweltschutz eigentlich immer wieder in die rechtsradikale Ecke gerückt?

Südostschweiz
17.02.13 - 01:00 Uhr

Von Hannes Grassegger

Zürich. – Eigentlich ist die Ecopop-Informationsveranstaltung an diesem Tag im Frühherbst 2011 schon vorbei. Alec Gagneux, Ende 40, schlank, hohe Stirn, in seinen Cargohosen mit den abnehmbaren Hosenbeinen ganz der Vollblut-Entwicklungshelfer, hat soeben seinen Vortrag über den Zusammenhang zwischen Umweltschutz und Bevölkerungswachstum beendet, als Wobmann aufspringt.

Walter Wobmann, Zürcher Ex-Stadtratskandidat der Schweizer Demokraten (SD). Aufgeregt hält Wobmann eine Weltkarte vor das Dutzend Besucher. Afrika, Asien, alles ist rot markiert. Dort sieht Wobmann das Problem. Zu viele Menschen. Darunter leide auch die Schweizer Umwelt, wenn die Afrikaner kämen.

Gagneux lässt ihn aussprechen. Denn er, der Umweltschützer ist im selben Verein wie Nationalist Wobmann. Aber Gagneux ist das unangenehm. Er ist doch gar nicht rechts.

Gagneux kennt diesen ekelhaften Vorwurf gegen Ecopop. Der Vorwurf war schon vor Gagneux da, in den Siebzigern, als Ecopop noch Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Bevölkerungsfragen (SAFB) hiess. Noch so sehr können sich Ecopop-Vertreter wie Gagneux in der Öffentlichkeit als unideologische, «tabubrechende» Umweltschützer darstellen, die einfach das «heisse Eisen Bevölkerungswachstum» anpackten – immer wieder werden sie als Rechte bezeichnet. Neuerdings gar als «Öko-Faschisten», wie jüngst von Diplomat Yves Rossier und SP-Nationalrat Cédric Wermuth.

Klagen wegen Nazi-Vorwürfen

Ecopop wehrt sich mit aller Kraft. Man beschloss gegen alles zu klagen, was den Verein mit Nazitum und Eugenik in Verbindung bringt. So gegen zwei Genfer Politiker, die Ecopop «geradezu eugenische Ziele» und «National-Ökologismus» vorwarfen.

Woher kommen solche Vorwürfe gegen einen Umweltschutzverein? Schliesslich sind renommierte Akademiker wie der emeritierte St. Galler Ökonomie-Professor und Nachhaltigkeitspionier Hans-Christoph Binswanger Mitglieder des Vereins – der in seiner Satzung festhält: «Ecopop distanziert sich klar von fremdenfeindlichen und rassistischen Ansichten.»

Es gibt zwei Gründe, warum Ecopop immer wieder ins rechte Lager gerückt wird. Der erste ist historisch. Der zweite ist philosophisch und bislang unverstanden. Vielleicht auch von den Vereinsmitgliedern selber.

Grund Eins: Ecopop ist verwandt mit den Rechten. Medien deckten 2011 auf, dass in den Siebzigern der bekannte Politiker der Nationalen Aktion (NA) und spätere SD-Mitgründer Valentin Oehen im Vorstand der SAFB war. Auch der Frontist und NA-Nationalrat Walter Jaeger sowie der Holocaustleugner und EDU-Mitgründer Max Wahl waren Mitglieder der Ecopop-Vorgängerorganisation. Die gemeinsame DNA von Ecopop und NA zeigt sich in einer simplen Formel. Gagneux schreibt sie während seines Vortrages an eine Tafel:

Umweltbelastung = Bevölkerungszahl x Pro-Kopf-Verbrauch

Auch wenn Schweizerdemokrat Wobmann mit seiner Sympathie für Ecopop eine Tradition fortsetzt – Nationalisten teilen mit Ecopop nur ein Vorhaben: weniger Zuwanderung.

Zu dieser Forderung kommt Ecopop aber aus anderen Motiven: Weil Ecopop im Kampf gegen die Umweltbelastung den Pro-Kopf-Verbrauch (beispielsweise von Energie oder Landfläche) als kaum reduzierbar ansieht, setzt man, der Formel folgend, auf die Reduktion der Bevölkerung.

Die Umwelt aber hört an der Landesgrenze nicht auf. Daher ist Ecopop auch nicht gegen Ausländer, sondern gegen Menschen.

Zugrunde liegt dieser Sicht eine Ideologie, die Tiefenökologie, der zweite Grund für die häufige Verquickung von Ecopop und der Rechten. Wer verstehen will, was Entwicklungshelfer wie Gagneux, Rechte wie Wobmann und Akademiker wie Binswanger eint, der stösst irgendwann auf die Deep Ecology, jene wenig bekannte Philosophie radikaler Öko-Aktivisten wie Sea Shepherd oder der Ökoterroristen Earth First.

«Explosion der Bevölkerung»

Den Begriff Deep Ecology prägte der norwegische Philosoph Arne Naess (1912–2009) mit seinem Aufsatz «The Shallow and the Deep» – «Das Seichte und das Tiefe» – im Jahr 1973, kurz nachdem Paul Ehrlich in «Die Bevölkerungsbombe» 1968 vor angeblich katastrophalen Folgen des Bevölkerungswachstums gewarnt und der Club of Rome 1972 im Report die «Grenzen des Wachstums» den Öko-Kollaps prophezeit hatte.

Arne Naess ist bei Ecopop offiziell kein Thema. Auf Anfrage verneinen die Vorstandsmitglieder Sabine Wirth und Alec Gagneux, seine Werke näher zu kennen. Doch die Parallelen zwischen Naess’ Ideologie und Ecopop sind frappant.

Wie die SAFB fürchtete Naess eine ökologische Katastrophe. Seine Antwort war eine ökologische Philosophie. Der Norweger grenzte eine «tiefe» von einer «seichten» ökolo- gischen Haltung ab: «Seicht» sei jene Vorstellung der Natur, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Anders die neue, «tiefe» Ökologie» mit ihrer «Gesamtsicht»: Der Mensch ist dabei Bestandteil eines vernetzten Biosystems, in welchem er prinzipiell genauso eine Funktion hat wie Tier oder Pflanze. Er ist kein «Herr der Schöpfung» und geniesst keine ethische Sonderstellung. Konsequenz: Jedes Lebewesen, jede Spezies zählt für Naess gleich, da alle für das Ökosystem benötigt würden. Jede andere Sicht sei «Speziezismus», ein Rassismus der Arten.

Dies führte Naess zur nächsten Überlegung: Der Artenreichtum, die Biodiversität, habe einen Wert an sich, abseits aller menschlichen Einschätzungen. Elemente der Natur dürften also nur bei «vitalen Interessen» durch Menschen beschädigt werden.

Übersetzt heisst dies, dass ein Menschenleben mit dem eines vom Aussterben bedrohten Wals aufgewogen werden könnte – und man sich für den Wal entscheiden könnte.

Die Analogie zur Ecopop-Initiative: Hier wird das Wohl eines Einwanderers aufgewogen mit der Gesundheit der Schweizer Natur.

Die Deckungsgleichheit zwischen den Konzepten von Ecopop und Naess ist so enorm, man könnte glauben, Ecopop hätten doch Naess gelesen. Bereits 1973 kam dieser nämlich auf die gleiche Idee wie Ecopop: den Menschen als ursächliches Umwelt-Problem zu sehen. Um Gleichgewicht und Diversität zu wahren, könne eine «Populationsminderung» beim Menschen notwendig werden, so Naess: «auch im Interesse der Menschen».

Deep Ecology habe politische Potenziale, funktioniere lagerübergreifend von links nach rechts, so der Norweger damals. Exakt so stellt sich heute Ecopop dar. Die richtige ökopolitische Strategie, empfahl Arne Naess, sei die «lokale Autonomie». Weil hierzulande und heutzutage die Hauptursache des Bevölkerungswachstums die Einwanderung ist, bekämpft Ecopop eben diese. Derart «autonom», dass die Initiative die Schweiz bei Annahme zur Aufkündigung der bilateralen Verträge und der Völkerrechtsvereinbarungen zwingen würde (siehe Interview rechte Seite).

«Kinder schaden der Staatskasse»

Sogar global haben der Philosoph und der Schweizer Verein Ähnliches vor. Beide fordern aus ökologischen Gründen ein Ende der Wirtschaftsmigration und Entwicklungshilfe vor Ort – Ecopop will zehn Prozent der Schweizer Entwicklungshilfe zur «Familienplanung» verwenden. Weniger (arme) Kinder also zugunsten der Umwelt. Arne Naess erfand gar eine «Elternsteuer». Ecopop versucht mit Rechnungen zu belegen, dass Kinder den Staat mehr kosteten als sie brächten.

Die Nähe tiefenökologischer Forderungen zu nationalsozialistischen Ideen wie «unwertem Leben» und Eugenik störte den Antifaschisten Naess – sein Neffe heiratete die Souldiva Diana Ross – so sehr, dass er in einem Text den Unterschied zwischen Faschismus und Tiefenökologie erläuterte: «Der antifaschistische Charakter der (...) Tiefenökologie-Bewegung» ergebe sich daraus, dass die Tiefenökologie – im Gegensatz zum Faschismus – «jedem menschlichen Wesen den gleichen Wert» beimesse. Das lasse sich nicht mit faschistischem, nationalistischem oder rassistischem Gedankengut vereinbaren.

Jenseits des Menschenrechts

Es stimmt: Die dem Ecopop-Ansatz geistig so verwandte Tiefenökologie kommt zwar zu ähnlichen Schlüssen wie der Faschismus – ist aber das Gegenteil, ist eher grüner Stalinismus. Eine radikale Vision totaler Gleichheit jenseits der Menschenrechte.

Im Essay zu Faschismus beschreibt Arne Naess die Kernforderung der Tiefenökologie: Die Menschenrecht und Menschenwürde begründende «Kantsche Maxime», die sogenannte «Goldene Regel», dass «kein Mensch nur als Mittel zum Zweck» instrumentalisiert werden dürfe, müsse «erweitert werden». Aufgrund des Wertes aller Wesen, müsse die Regel lauten: «Kein lebendes Wesen sollte rein als Mittel zum Zweck benutzt werden.»

Pflanzen, Menschen, Tiere – alles gleichberechtigt. Was so nett klingt, bricht mit dem essenziellsten Prinzip der freien Welt, der vielleicht einzigen moralischen Errungenschaft der letzten Jahrtausende. Der Mensch verliert sein unbedingtes Daseinsrecht zugunsten eines vermuteten, übergeordneten Systems: der «Natur».

Als die meisten Besucher der Zürcher Infoveranstaltung gegangen sind, bringt es Alec Gagneux vor den Verbliebenen noch einmal auf den Punkt: «Die Philosophie vom Menschen im Mittelpunkt finde ich eine Sauerei! Der Regenwurm denkt auch, er sei wichtiger als ich.»

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