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In Graubünden lebts sich gut – aber ohne «Jugos»

Chur. – Ich bin eine «-ic». Und das Ansehen aller «-ic»-Träger könnte wahrlich besser sein. Die «Jugos», das sind gemäss Wahrnehmungsbild der Öffentlichkeit die «wahren Ausländer».

Südostschweiz
31.03.14 - 02:00 Uhr

Von Kristina Ivancic

Chur. – Ich bin eine «-ic». Und das Ansehen aller «-ic»-Träger könnte wahrlich besser sein. Die «Jugos», das sind gemäss Wahrnehmungsbild der Öffentlichkeit die «wahren Ausländer». Die Angeber in Trainerhosen, die Leute anpöbeln, fremde Freundinnen verführen und gerne auch mal zuschlagen. Die, die mit ihrem teuren BMW in der Gegend umherrasen, den sie sich nur leisten können, weil sie das schweizerische Sozialsystem ausbeuten. «Jugos» – die absoluten Lieblinge der Schweizer, wenn es ums Unliebsame geht.

Zumindest bekomme ich diesen Eindruck, wenn ich meinen Nachnamen laut ausspreche. Ein Fluch, dieses «-ic». Stelle ich mich mit «Ivancic» vor, können ihn die allermeisten beim ersten Mal nicht aussprechen – geschweige denn, sich ihn merken. Also konzentrieren sie sich auf die «-ic»-Endung, und für sie steht fest: Ich bin ein «Jugo».

Eingebürgerte bleiben Ausländer

Eigentlich bin ich aber kein «Jugo». Ich bin Kroatin und – unserem Regierungsrat sei Dank – seit bald zwei Jahren auch höchst offiziell Schweizerin. In Kroatien bin ich das schon seit etwa 20 Jahren. Dort unten galt ich schon immer als «reiche Schweizerin», die für den Kaffee zahlt. Hier bin ich «ein unbeliebter ‘Jugo’ ohne Geld».

Das sage nicht etwa ich, das zeigt mir mein Selbstversuch, den ich kürzlich durchgeführt habe. Ich setzte mir das Ziel, auf den 1. April hin eine 1-Zimmer-Wohnung in Chur zu finden, monatlich bis zu 800 Franken. Kein Problem? Nun ja, fast.

Keine Wohnung für eine «-ic»

Offenbar denken Verwalter bei «-ic»-Trägern an lauthals streitende, kriminelle und gewalttätige sowie zahlungsunfähige Immigranten, die sich mit ihren Nachbarn anlegen. Es muss einfach so sein. Warum? Auf der Suche nach einer passenden Wohnung stiess ich auf 20 Angebote und rief an. Zwölf dieser Wohnungen waren zum Zeitpunkt meines Telefonats bereits weg. Das sagte man mir zumindest. «Grüezi Frau … wie heissed Sie nomol? Ah jo, tuat üs leid, aber d Wohnig isch ebe scho weg» oder «Ah, grüezi Frau Ivan … d Wohnig? Dia isch weg … im Internet? Oha, das isch sicher a Fehler.» Tage danach war der Fehler noch immer nicht behoben beziehungweise waren die Inserate noch immer im Internet aufgeschaltet. Seltsam.

«Wir wollen keine Ausländer»

Während ich meine Liste mit den 20 Kontakten also abklapperte (und mir immer wieder versichert wurde, dass die Wohnungen wirklich schon weg seien), konnte ich mit der Zeit nicht anders, als über die Skurrilität lachen. Ich wurde schlicht und einfach über mein «-ic» definiert. Zumindest in den meisten Fällen. Denn nur vier Personen interessierten sich für meinen Anruf; ich wurde zur Wohnungsbesichtigung eingeladen. Die übrigen beide Male wünschte ich mir insgeheim, die Anrufe niemals getätigt zu haben: «Grüezi, do isch Ivancic.» Piip-Piip-Piip. Man hatte einfach aufgelegt. Ein Fehler? Nicht wirklich. Denn beim zweiten Versuch meldete sich der werte Herr gar nicht erst wieder. Der andere meinte ohne Pardon: «Wir wollen keine Ausländer im Haus.»

Keine «-ic» im Haus

Alles nur wegen einem «-ic» im Nachnamen. Denn abgesehen davon gibt es nichts, was meine Herkunft verraten würde. Dass ich in Graubünden geboren und aufgewachsen bin, akzentfreies Deutsch spreche und eingebürgert bin, spielt keine Rolle. Für viele bin und bleibe ich eine Ausländerin. Und die sind nicht immer erwünscht.

Aber hey, ich kann es verstehen. Ich meine, wir «Jugos» legen uns in Trainerhosen mit unseren Nachbarn an, bei einem Streit schlagen wir auch mal zu und wecken sie mit unseren lauten BMWs nachts auf. Dabei sind wir «ic»-Schweizer die idealen Mieter, die sich jeder wünscht. Die Miete kommt stets pünktlich. Das Geld dafür haben wir erhalten –, und zwar vom Sozialamt…

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