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Gleichgewicht beim Datenschutz finden

Überwachung Während ?in der EU die Regeln für den ?Zugang der Justiz zu Telefondaten strenger werden, will man sie in der Schweiz lockern. Hierzulande interessiert die ­Debatte kaum – eine Analyse.

Südostschweiz
14.04.14 - 02:00 Uhr

Fabian Fellmann, Brüssel

schweiz@luzernerzeitung.ch

Soll der Staat Zugriff haben auf die Telefondaten der Bevölkerung? Diese Frage hat der Ständerat in der Frühjahrssession Anfang März mit einem überwältigenden Ja beantwortet. Er möchte der Strafjustiz im Einklang mit dem Bundesrat mehr Möglichkeiten als bisher verschaffen. Neu sollen die Daten der Benutzer zwölf Monate lang gespeichert bleiben statt wie bisher sechs Monate. Es sei immer wieder zu Fällen gekommen, in welchen sechs Monate nicht genügt hätten, sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga dazu.

Aufgezeichnet werden nicht die Gespräche selbst, aber etwa jene Daten, die auf der Telefonrechnung erscheinen: die gewählten Nummern, Zeitpunkt und Dauer der Gespräche. Bei Mobiltelefonen kommt der Standort hinzu. Noch steht das Urteil des Nationalrats zum revidierten «Bundesgesetz betreffend Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs», kurz Büpf genannt, aus.

Gegentrend in Europa

Der Entscheid des Ständerats steht quer in der politischen Landschaft Europas. Für den Krieg gegen den Terrorismus hatten Justiz und Geheimdienste weltweit nach den Terroranschlägen am 11.?September 2001 zusätzliche Befugnisse erhalten. Inzwischen schwingt das Pendel aber zurück. Das ist unter anderem damit zu erklären, dass Europa seit 2005 von grossen Anschlägen verschont geblieben ist. Beigetragen hat aber auch die Debatte rund um den früheren US-Geheimdienstler Edward Snowden und die Datensammelwut des amerikanischen Nachrichtendienstes NSA und seiner Partnerdienste, vor allem in Grossbritannien und Frankreich.

Urteil zu Gunsten der Privatsphäre

Das Umdenken schlug sich diese Woche in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs nieder, der eine einschlägige EU-Richtlinie für ungültig erklärte. Diese hatte die Mitgliedsländer dazu verpflichtet, den Zugang zu Telefondaten mindestens sechs Monate bis maximal zwei Jahre lang zu gewährleisten. Die Richter gewichten nun den Schutz von intimen Daten höher als das öffentliche Interesse an Verbrechensbekämpfung. Die Datenspeicherung sei ein starker Eingriff in die Privatsphäre der Menschen, urteilte das Gericht in Luxemburg. Dafür blieben die Daten in der EU zu lange gespeichert, und der Zugang sei zu wenig streng geregelt. Nun muss die EU-Kommission eine neue Richtlinie vorlegen.

Keine grosse Debatte in der Schweiz

In ganz Europa wird deshalb darüber diskutiert, welchen Einblick die Strafverfolger in das Privatleben erhalten sollen. Besonders virulent ist die Debatte in Deutschland, wo der Bundesgerichtshof vor vier Jahren die sogenannte Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärte. In der Schweiz hingegen scheint das Thema die Öffentlichkeit weitgehend kaltzulassen. Eine breite Diskussion darüber wäre aber sehr wichtig. Telefondaten geben Intimes preis, und gespeichert werden die Daten aller Personen, nicht nur jene von Straftätern. Betroffen sind demnach alle – ganz egal, ob ein Verdacht vorliegt. Die gesetzliche Grundlage für derartig starke Eingriffe in die Grundrechte benötigt auch die grösstmögliche demokratische Legitimierung – und Voraussetzung dafür ist eine öffentliche Diskussion. Ein totales Verbot ist nämlich wenig sinnvoll. Die Verbindungsdaten werden nicht im Auftrag des Staates erhoben, um damit die Bürger zu überwachen. Vielmehr entstehen die Daten bei den Telekomfirmen beim normalen Betrieb des Telefonnetzes und werden zum Beispiel für die Rechnungen verwendet. Gespeichert werden müssen sie also ohnehin. Unter diesen Voraussetzungen den Strafverfolgern den Zugang ganz zu verwehren, wäre widersinnig, zumal Telefonate bei Ermittlungen oft eine wesentliche Rolle spielen. Und die Gesellschaft als Ganzes hat ein starkes Interesse daran, dass Straftaten aufgeklärt, die Schuldigen bestraft und die Unschuldigen entlastet werden.

Hohe Barrieren nötig

Damit die Schnüffelei aber nicht überbordet, sind hohe Barrieren nötig. In der Schweiz etwa muss ein Richter beurteilen, ob die Einsicht in die Telefondaten verhältnismässig ist. Die Daten können also nicht aufs Geratewohl durchsucht werden, sondern nur mit einem konkreten Verdacht und in Bezug auf eine bestimmte Telefonnummer oder einen Namen abgerufen werden. Während in der EU aber eine Voraussetzung ist, dass die Ermittlungen schwere Straftaten betreffen, kann ein Schweizer Staatsanwalt selbst bei einfachem Diebstahl einen Telefonauszug verlangen.

Fraglich ist auch, ob die Daten wirklich zwölf Monate lang gespeichert werden sollen. In den EU-Ländern betreffen die weitaus häufigsten Abfragen Daten, welche bis zu drei Monate alt sind. Diese Statistiken sind allerdings mit Vorsicht zu interpretieren – es ist durchaus möglich, dass gerade zur Aufklärung schwerer Fälle, etwa Wirtschaftsdelikte, eine längere Frist sinnvoll wäre. Es ist Aufgabe der Gesellschaft, solches abzuwägen und einen Konsens darüber zu finden, wo ihr Gleichgewicht zwischen Schutz der Privatsphäre und Verbrechensbekämpfung liegt.

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