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Eine Mindestquote für Schweizerdeutsch? Nicht für die Stadtschule Chur

Das BT hat die 3. Klasse im Schulhaus Barblan in Chur besucht. Trotz der hohen Anzahl fremdsprachiger Kinder, spricht hier nichts für eine Mindestquote für Schweizerdeutsch. Ein ganz normaler Schultag, mit ganz «normalen» Kindern.

Südostschweiz
14.09.13 - 02:00 Uhr

Nadja Maurer

«Noma, Adjektiv und Verba, könnt miar d’Luuna nit verderba», singen die Drittklässler vom Schulhaus Barblan im Unterricht. Ihre Lehrerin, Ursina Thöni, begleitet sie mit dem Keyboard. Viele kleine Hände werden in die Luft gestreckt, wenn es darum geht, die nächste Frage zu beantworten: Wie lauten die Artikel? «Der Merkur, die Sonne, das Sonnensystem», antworten die Kinder. Die deutsche Sprache soll gelernt sein.

Die Klasse von Ursina Thöni ist eine von zehn Schulklassen im Schulhaus Barblan. Das Besondere: In ausnahmslos allen Klassen bilden die fremdsprachigen Kinder die Mehrheit. Das Schulhaus Barblan weist von den insgesamt neun Primarschulhäusern in Chur den grössten Anteil fremdsprachiger Kinder auf. Der Grund dafür ist laut Reto Thöny, Vizedirektor der Stadtschule Chur, der günstige Wohnraum in der Gegend: «Viele ausländische Familien lassen sich hier im Quartier nieder.» Getreu dem Prinzip der Quartierbeschulung gehen diese Kinder im Schulhaus Barblan zur Schule. An diesem Prinzip wolle man festhalten. Auch eine Mindestquote für Schweizerdeutsch, wie unlängst in Basel und Zürich diskutiert, kommt für den Vizedirektor nicht in Frage. Der Vorstoss lautete: Mindestens 30 Prozent der Schüler-innen und Schüler in einer Klasse müssen Schweizerdeutsch sprechen. Im Falle des Schulhaus Barblan liegen laut Thöny zwei Klassen unter dieser Quote. «Die Einführung einer Mindestquote würde nicht funktionieren. Vielleicht auf dem Papier, aber nicht in der Realität», betont er.

«Zu Hause spreche ich Türkisch»

Die 17 Kinder der 3. Klasse kriegen von diesen Diskussionen wenig bis gar nichts mit. Sie sind Teil einer ganz normalen Schulklasse, in der laut Reto Thöny Chancengerechtigkeit herrscht: «Wir unterstützen nicht nur die bildungsschwachen Kinder, sondern fördern auch die begabten. Wir versuchen allen Kindern gerecht zu werden.»

Nach der Fragerunde von Lehrerin Ursina Thöni müssen die Kinder ran an die Einzelaufgabe. Mit Buntstiften sollen sie die Nomen, Verben und Adjektive in einem Text markieren. Spätestens hier fällt auf, dass gewisse Kinder Schwierigkeiten haben. So auch der neunjährige Yunus. «Zu Hause spreche ich Türkisch. Deutsch finde ich sehr schwierig», sagt er. Auch Marcia hat Mühe mit der deutschen Sprache. «Ich finde die Aufgabe schwierig. Zu Hause sprechen wir nur Portugiesisch», erzählt die Zehnjährige.

Deutsch im Vorschulalter

Neben der Muttersprache und Deutsch lernen die Kinder auch Italienisch. «Wenn man berück- sichtigt, dass Schweizerdeutsch ebenfalls eine Sprache ist, so lernen die Kinder bis zu vier Fremd- sprachen. Das ist eine Herausforderung», so Lehrerin Ursina Thöni. Für den aus Eritrea stammenden Aman alles halb so schlimm. Er sprach lange kein Wort Deutsch, bis er es sich selbst beigebracht hat: «Ich habe oft ferngesehen und den Leuten auf der Strasse bei Gesprächen zugehört», erzählt der Neunjährige stolz. Sein portugiesisches Gspänli David lernt hingegen lieber Italienisch: «Da kann ich die Wörter vom Portugiesischen ableiten», lächelt der Achtjährige und kreist ein Nomen ein.

Für die Mehrzahl der Migrationskinder bleibt das Lernen der deutschen Sprache aber eine Herausforderung. Bereits heute werden diese Kinder in der Stadtschule Chur von zusätzlichen Schulpädagogen unterstützt. Laut Reto Thöny will die Stadt Chur diese Kinder künftig bereits im Vorschulalter erfassen und fördern: «Jeden Franken, den wir dort investieren, wird sich mehrfach auszahlen.» Es sei aber auch wichtig, den Eltern bewusst zu machen, dass ihr Nachwuchs so früh wie möglich Deutsch lernen muss. «Wenn das Kind bis zum Schul- eintritt kein Deutsch spricht, hat es kaum mehr Chancen in unserem Bildungssystem.»

Die weit verbreitete Meinung, die ausländischen Eltern sollen mit ihren Kindern wenn möglich Deutsch sprechen, revidiert Thöny: «Im Gegenteil, das ist eher kontraproduktiv. Die Kinder greifen so ein fehlerhaftes Deutsch auf, da die Eltern mehrheitlich selbst nicht über sichere Deutschkenntnisse verfügen.» Es sei unerlässlich, dass die Kinder eine gesicherte Erstsprache haben, damit sie Deutsch als Zweitsprache lernen können.

Dialekt regiert den Pausenplatz

Es ist Zeit für eine Pause. Draussen auf dem Schulplatz wird gespielt und, egal von welcher Herkunft die Kinder sind, man unterhält sich Schweizerdeutsch.

Zurück im Unterricht geht es für die Drittklässer ran an die Zahlen. Mathematik steht auf dem Programm. Einige Kinder sind noch etwas erschöpft vom Ballspiel in der Pause. Aber Zahlen scheinen die Kleinen zu begeistern: Mit viel Freude wird gerechnet. Gleichzeitig ist es aber auch eine Verschnaufpause bis zum nächsten Mal «Noma, Adjektiv und Verba, könnt miar d’Luuna nit verderba...»

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