×

Ein harter Schädel ist für vieles gut

Innovative Menschen, kühne Architektur, freches Design und viel Gemütlichkeit machen den Bregenzerwald zur attraktiven Ferienregion direkt vor unserer Haustür. Zum Beispiel auch für den Herbst.

Südostschweiz
26.09.10 - 02:00 Uhr
Zeitung

Von Markus Rohner (Text) und Daniel Ammann (Bilder)

Der Eintritt ins Käseparadies kostet drei Euro. Himmelspförtner Hugo Ehrat achtet mit Argusaugen darauf, dass die hungrigen Touristen, die den Weg von Bizau nach Schönenbach im Auto zurücklegen, ihren Obolus entrichten. Keiner murrt, weil jeder weiss, dass oben auf der Alp ein kulinarisches Vergnügen auf ihn wartet. Die vier Rentner aus dem Allgäu und der Geschäftsmann aus Bregenz sind allein wegen des Essens ins abgelegene Schönenbach gefahren. Und sie sind nicht die Einzigen.Das Gasthaus «Egender» ist auch an diesem Tag wieder gerammelt voll. Alle sind sie gekommen wegen Bruno Ratz, der von Mai bis Oktober in der Küche fast nichts anderes kocht als seine Kässpätzle. Die legendärsten Vorarlbergs sind sie allemal, und es sollen auch die besten sein. Minister aus China und der österreichische Bundespräsident sind allein wegen dieser Speise auf die Alp gefahren und haben in der Küche gut zugeschaut, wie der Chef aus zähflüssigem Mehlteig, rezentem Wälder Käse und einer grossen Portion Röstzwiebeln die Köstlichkeit herstellt.

Die EU wurde zum Glücksfall

Käse gehört zum Bregenzerwald wie Weisswein zum Wallis. Mit dem EU-Beitritt Österreichs vor 15 Jahren mussten sich die Wälder Bauern etwas einfallen lassen, wenn sie ihre Milchprodukte weiterhin verkaufen wollten. Die EU wurde zu ihrem Glück. Statt eines faden Allerwelt-Emmentalers werden heute im Bregenzerwald eigenwillige Bergkäse und andere Milchspezialitäten hergestellt. Die «Käsestrasse» wurde zum erfolgreichen Marketinginstrument, das Bauern und Käsern hilft, ihre Produkte im In- und Ausland besser abzusetzen.Ingo Metzler war auch einmal Landwirt und Käser. Bis er sich vor zwölf Jahren von der Milch- und Käseproduktion verabschiedete. Stattdessen verwertet er heute mit immer grösserem Erfolg die Molke, die bei der Käseherstellung als «Abfall» übrig bleibt. Schon Hippokrates habe die Molke als «das heilende Wasser der Milch» bezeichnet, erzählt er in seinem modernen Produktionsgebäude in Egg. «Molke ist reich an Mineralstoffen und Vitaminen und eignet sich bestens für die Herstellung von pflegenden und heilenden Salben und Cremen», sagt der Tüftler.Mittlerweile stellt er 40 Molkeprodukte her. Angefangen vom Getränkepulver über Lippenbalsam bis zur Ziegenseife. So hat das Luxushotel «Quellenhof» in Bad Ragaz bei Metzler 15 000 Stück dieser speziellen Seifen bestellt. «Die Schweiz ist für mich ein wichtiger Markt geworden», sagt einer, der 60 Prozent seiner Artikel ins Ausland verkauft. Längst haben die einheimischen Bauern aufgehört, über «den Spinner aus Egg» zu lachen. Ein paar von ihnen haben sogar versucht, ihn zu kopieren.

«Die Schweiz ist für mich ein wichtiger Markt»

Also doch alles nur Milch und Käse im engen Bergtal an der Grenze zur Schweiz und Deutschland? Peter Zumthor würde dem Klischee von den verbohrten Hinterwäldlern heftig widersprechen. In den letzten Jahren ist der Bündner Stararchitekt immer wieder an die Peripherie Österreichs gefahren und hat dort viele Menschen mit einem Flair für modernes und innovatives Handwerk kennengelernt.«Die Bregenzerwälder waren zwangsläufig immer offen für Fremdes und Neues», sagt Renate Breuss. Sie ist Geschäftsführerin des werkraums bregenzerwald, einer Vereinigung lokaler Handwerker, die sich das Ziel gesetzt haben, Handwerk mit Design und neuen Technologien zu verbinden. «Bau- und Wohnkultur sind im Bregenzerwald nicht einfach im Trend, sie haben eine lange Tradition», sagt der Andelsbucher Schreinermeister Anton Mohr.Die Handwerker rannten bei Zumthor offene Türen ein, als sie vor zwei Jahren bei ihm wegen des Baus eines neuen «werkraum»-Hauses vorsprachen. So wie im Bregenzerwald vor Jahren das erste Frauenmuseum Österreichs gebaut worden ist, wird Ende 2011 eine einzigartige, 60 Meter lange und neun Meter breite Vitrine aus Glas und Stahl eröffnet, in der weltoffene Schreiner, Bodenleger, Ofenbauer, Schindler und Schneider aus dem ganzen Tal ihre Produkte präsentieren werden. Wo-mit im Wunderland der modernen Architektur wieder ein neuer Akzent gesetzt worden wäre.Wer spricht denn da immer noch von den verstockten Bregenzerwäldern? Norbert Bischofberger ist mit Sicherheit keiner von ihnen. Der ist vor 56 Jahren im tiefen Bregenzerwald auf die Welt gekommen und ist heute einer der renommiertesten Biochemiker der Welt. Als Erfinder des Tamiflus und anderer nützlicher Antivirenmittel hat er Millionen verdient.Vor drei Jahren liess der langjährige Kreuzfahrtschiff-Manager Klaus Riezler seinen Draht zu Jugendfreund Norbert spielen und teilte ihm mit, dass in Mellau das Hotel «Sonne», Bischofbergers Elternhaus, zum Verkauf stünde. Der Biochemiker im fernen Kalifornien überlegte nicht lange, zog 16 Millionen Franken aus der Privatschatulle und stampfte innerhalb von wenigen Monaten das «Lifestyle Resort Sonne» aus dem Boden. Entstanden ist ein modern-gestyltes Hotel mit Schindelfassade, das allen Wünschen des anspruchsvollen Gastes entspricht.

Altes geschickt mit Neuem verbunden

Ein Glück für den Bregenzerwald, dass viele Bauern und Käser, Handwerker und Hoteliers aufgehört haben zu jammern und ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen haben. «Manchmal sind uns dabei auch die harten Köpfe nützlich», lacht Josef Simma. Der gelernte Koch hat vor zwei Jahren über dem Dorf Au aus seinem bescheidenen Bergheimet mit Gaststube ein kleines Bijou mit zwölf Gästezimmern und Spa entstehen lassen. In ihrem Hotel «Am Holand» haben er, seine Frau und sein Sohn Altes geschickt mit Neuem verknüpft und damit über die Region hinaus für Aufsehen gesorgt.Am Anfang haben viele im Dorf über Simmas die Nase gerümpft, und die Behörden legten ihnen beim Bau des Hotels viele Steine in den Weg. Aber seit die drei bewiesen haben, dass dieses Konzept bestens ins Bergtal passt, sind die kritischen Stimmen verstummt. Und wieder hat einer im Bregenzerwald gezeigt, dass ein harter Schädel halt doch für vieles gut ist.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Zeitung MEHR