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Die Jagd als gemeinsame Leidenschaft

Sie sind seit 35 Jahren verheiratet. Seit 32 Jahren gehen sie gemeinsam auf die Jagd. Ihre Passion bestimmt das Leben von Elsbeth und Christian Ettinger das ganze Jahr über.

Südostschweiz
12.09.10 - 02:00 Uhr
Zeitung

Von David Sieber (Text und Bilder)

Maienfeld. – 9.15 Uhr morgens ist es, als ein Schuss durchs Tal hallt. Hoch droben am Hang stieben zwei Gamsböcke davon. Einer davon geht nach wenigen Metern in die Knie, steht kurz wieder auf, bevor er am Fusse der Tannköpf, einer mächtigen Felsformation, zusammenbricht und stirbt. Ein sauberer Blattschuss, wie sich später zeigt. Das rund sechsjährige Tier musste nicht leiden.Rund hundert Meter weiter unten schultert Christian Ettinger sein Gewehr und macht sich durch nasses Gras und loses Gestein zu seiner Beute auf. Elsbeth Ettinger, nach mehrstündigem vergeblichem Warten in der frühmorgendlichen Kälte eben von ihrem Ansitz in Richtung Jagdhütte unterwegs, hat die Szene beobachtet. Sie freut sich für ihren Mann und eilt ihm nach.

Vererbter Jagdvirus

Es ist bisher eine gute Jagd für die Ettingers. Schon am ersten Tag waren sie in ihrem «Stammrevier» auf der Maienfelder Alp erfolgreich. Und wie: Drei Hirschkühe haben sie geschossen: Christian und Elsbeth und Jürg. Letzterer ist der 27-jährige Sohn, der seit drei Jahren das Patent hat. Der angehende Lebensmitteltechnologe wurde praktisch mit der Muttermilch vom Jagdvirus befallen.Wen wunderts? Auch Elsbeth war von Kindesbeinen an jenem Fieber verfallen. Als sie zehn Jahre alt war, durfte sie das erste Mal mit ihrem Vater zur Jagdhütte Eggerried, die zwischen der Fläscher Alp und der Alp Egg liegt. Sie verbrachte mit ihm Stunden auf dem Ansitz, beobachtete das Wild und lernte dessen Wege und Gewohnheiten kennen. Genau wie Sohn Jürg viele Jahre später. Dieser durfte schon mit 13 Jahren ganz alleine in der inzwischen neu aufgebauten Hütte übernachten. «Damals habe ich gelernt, das Wild zu riechen. Ich kam ihm sehr, sehr nahe.»An diesem Tag ist Jürg nicht dabei. Seine Bachelor-Arbeit geht vor. Der Vater wird ihm später am Telefon von seinem Erfolg berichten. Wie auch der Tochter Martina. Die 29-Jährige ist die Einzige, die aus der Reihe tanzt. Selbst zu jagen, kommt für sie nicht in Frage, doch am Geschehen teilhaben will sie trotzdem. Vor allem, weil, so die stolzen Eltern, Martina «halb Chur» zu ihrem berühmten Pfeffer einlädt. Mittlerweile sind der 63-jährige Christian und die 60-jährige Elsbeth bei der Beute angelangt. «Waidmannsheil», sagt Elsbeth ganz nach Jägerart. «Waidmannsdank», antwortet Christian. Dann gibt es einen kleinen Schluck aus dem Flachmann, so wie es die Tradition gebietet. Es ist «nur» ein Röteli, schliesslich ist es noch ein weiter und ziemlich beschwerlicher Weg zurück – vor allem mit einem gut 28 Kilogramm schweren Kadaver auf dem Rücken.Fachmännisch setzt Christian Ettinger das Messer am Bauch des Tieres an. Erst trennt er das ziemlich zähe Fell auf, dann öffnet er mit einem schnellen Schnitt den Bauchraum. Die Eingeweide quellen heraus. Die Leber wird sorgsam abgelöst. Dann folgt ein Schnitt der Speiseröhre entlang. Schliesslich können Herz und die vom grosskalibrigen Geschoss zerstörte Lunge herausgezogen werden. Auch das Herz wird beiseite gelegt. Es soll sehr wohlschmeckend sein. Der Rest bleibt liegen. Die Kolkraben und der in den Tannköpf residierende Adler warten schon.Auch Christian war schon früh von der Jagd fasziniert. Gebannt folgte er als Kind des Grossvaters Erzählungen. Doch er musste schon Elsbeth, von Beruf Kindergärtnerin, kennenlernen, um wirklich Jäger zu werden. 1978, gerade mal seit drei Jahren verheiratet, absolvierten sie zusammen die Jagdprüfung. Elsbeth war eine der ersten Frauen im Kanton, die es wagten, in die Männerdomäne einzudringen. Entsprechend fielen immer wieder die Kommentare aus. Doch das kümmerte sie nicht. Denn hinter den abschätzigen Bemerkungen steckte auch viel Neid. Sie ist eine begnadete Schützin.

Schiessstand im Keller

Die Ettingers sind nicht einfach für drei Wochen im Jahr Jäger.Wildbeobachtung auf ausgedehnten Wanderungen gehört ebenso zum Lebensalltag, wie Hegearbeiten, Mitarbeit in der Jägersektion Falknis, Weiterbildung und – Schiessübungen. Wie leidenschaftlich bei der Sache das Paar wirklich ist, zeigt sich im Keller ihres Maienfelder Hauses. Dort hat Christian, von Haus aus Biologe, heute mit eigener Recyclingfirma, seiner Elsbeth eine Schiessanlage eingerichtet. Auf einer Kette laufen stilisierte Rehe, Hirsche, Gämsen und Murmeltiere vorbei. Geschossen wird mit einem Präzisionsluftgewehr, das wie eine Jagdwaffe in der Hand liegt.Endlich geschafft. Die Beute liegt transportbereit neben dem Alpweg. Christian ist geschafft. Zudem tut ihm der Arm weh. Bei einer unbedachten Bewegung hat ihn die Spitze einer Krucke verletzt. Eine posthume Strafe des jäh aus dem Leben geschiedenen Bocks? Der Jeep wird geholt, um mit dem Tier nach Maienfeld zurückzukehren. Eine Erleichterung für die beiden. Ohne Wildbret hätten sie sich zu Fuss auf den Abstieg machen müssen. Der kürzeste Weg führt nach Seewis und dauert fast drei Stunden. Die Regeln sind streng auf der Bündner Jagd. Und vorbildlich, wie die Ettingers meinen. «Sowohl der Bündner Patentjägerverband wie das Bündner Jagdinspektorat machen einen guten Job.»

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