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«Die Armee ist zumindest glaubwürdig»

Der frühere Generalstabschef Hans-Ulrich Scherrer spricht sich für die Beschaffung eines neuen Kampfflugzeuges aus und findet, dass die Schweiz stolz sein sollte auf das OSZE-Präsidium.

Südostschweiz
12.04.14 - 02:00 Uhr

Mit Hans-Ulrich Scherrer sprachen David Sieber und Dennis Bühler

Herr Scherrer, der frühere US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski fordert die europäischen Staaten angesichts Putins Erstarken auf, aufzurüsten. Hat er recht?

Hans-Ulrich Scherrer: Ich glaube schon. Alle Staaten haben die Armeebudgets runtergefahren. Deutschland hat sogar die Wehrpflicht abgeschafft. Der frühere Nato-Oberbefehlshaber Klaus Naumann sagt es deutlich: Europa ist keine Macht mehr. Aber um Machtverhältnisse geht es eben.

Und um Macht zu haben, braucht es noch immer Armeen?

Ja. Denn ohne haben wir nichts in der Hand, um Putin auf Augenhöhe zu begegnen. Nicht, um ihm zu drohen, aber um als Gesprächspartner ernst genommen zu werden. Die Europäer wissen derzeit nicht, was sie tun sollen gegen die russischen Expansionsgelüste.

Was müssten sie Ihrer Meinung nach tun?

Vor allem sollte man sie nicht von jenen Plattformen stossen, auf denen ein Dialog möglich ist. Russland aus der G-8 zu werfen, war falsch. Ebenso die militärisch-wirtschaftliche Koordination stillzulegen.

Ist es ein Fehler, dass der Westen mit an der Eskalationsspirale dreht?

Ja.

Sind wir auf dem Weg zu einem neuen Kalten Krieg?

Ansätze sind vorhanden, leider. Ich hoffe nun einfach, dass sich der Fall Krim nicht in Teilen der Ukraine wiederholt. Es ist schon erschreckend, wenn man die Bilder sieht, wie ein russisches Fallschirmspringer-Bataillon an der ukrainischen Grenze landet. Das lässt schon Gedanken an die Sowjetunion wach werden.

Haben Sie mit so einer Situation gerechnet?

Nein. Überall brennt es. Und zwar überraschend. Und niemand kann etwas dagegen tun. Auch die UNO nicht, die blockiert ist, wenn die Russen nicht wollen.

Welche Rolle kann die Schweiz spielen?

Wichtig ist, dass Bundespräsident Burkhalter den Schweizer OSZE-Vorsitz nutzen kann, um mit den Russen an einen Tisch zu sitzen.

Ist der OSZE-Vorsitz ein Glücksfall für die Schweiz?

Das finde ich schon, ja. Die kleine Schweiz ist als neutrale Vermittlerin hoch im Kurs. Das war schon im Kosovo so, wo unsere Soldaten und Beobachter hoch angesehen waren, und das gilt auch für die Rolle im Krim- respektive Ukraine-Konflikt.

Verteidigungsminister Ueli Maurer sieht das etwas anders. Für ihn ist dieser Vorsitz nicht mit der Schweizer Neutralität vereinbar.

Wir sind seit ewigen Zeiten OSZE-Mitglied. Also dürfen wir auch das Präsidium übernehmen. Wir sollten eigentlich stolz darauf sein, eine Friedensorganisation zu leiten.

«Überall brennt es»

Sie waren zwischen 1998 und 2002 Generalstabschef der Schweizer Armee. Der Kalte Krieg war lange zu Ende, Bedrohungen gab es keine. In dieser Zeit wurde die Armee praktisch halbiert. War man damals zu sorglos?

Der politische Auftrag von Bundesrat, Parlament und Volk lautete nun mal so. Man wollte zum Beispiel wegkommen von der Vollausrüstung. Das hatte zu Beginn der Armee XXI zur Folge, dass es gewissen Einheiten unter anderem an Fahrzeugen mangelte. Man war nicht sorglos, aber weniger vorsichtig damals. Heute ist das anders.

Inwiefern?

Heute ist allen klar, dass die Bedrohungslage viel komplexer ist. Ich erwähne nur mal die ganze Technologie und die Infrastruktur. Diese sind sehr verletzlich, wie das Beispiel der Sicherheitslücke bei der Verschlüsselungstechnik OpenSLL soeben gezeigt hat. Ich mag mich gut an die Nacht auf den 1. Januar 2000 erinnern, als ich zusammen mit dem Krisenstab tief unten im Bundeshaus sass. Für sehr viel Geld haben sich Banken und andere Dienstleister, darunter natürlich die Behörden und die Armee, darauf vorbereitet, die Folgen des befürchteten Millenniumbugs abzufedern. Zum Glück geschah nichts. Seither sind die elektronischen Systeme noch komplexer, noch wichtiger, aber sicher nicht weniger anfällig geworden.

Mit der Armee hätte man diesem Käfer aber nicht den Garaus machen können.

Die Armee ist auch nur ein Teil der Sicherheitsarchitektur, die jedes Land benötigt, um sich zu schützen. Die Armee ist in dabei in Friedenszeiten klar subsidiär einzusetzen. Aber es braucht sie. Die Frage ist nur, was sie uns kosten soll.

Heute bekommt die Armee rund fünf Milliarden Franken jährlich. Genügt das nicht?

Doch, ich denke, damit kann sie auskommen.

«Jede Nation will sich verteidigen können»

Um die «beste Armee der Welt», die Maurer schon an der Arbeit sieht, aufzubauen, reicht das ja wohl kaum.

Die «beste Armee der Welt» definiert sich über die Qualität der Ausbildung und der Ausrüstung. Abgesehen davon reicht es, wenn wir eine gute Armee haben. Im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel ist sie zumindest glaubwürdig.

Sicherheit zu schaffen, ist doch längst auch eine internationale Verbundaufgabe. Die Terrorbekämpfung sowieso. Wäre ein Nato-Beitritt der Schweiz nicht längst fällig?

Wir haben in einem internationalen Gremium, das ich hier nicht nennen will, mal die Fragen gestellt, ob jedes Land eine Luftwaffe braucht, ob jedes Land einen eigenen Raketenschirm haben muss, ob man nicht gewisse Dinge zusammenlegen könnte. Wir haben rasch festgestellt: Das geht nicht. Jede Nation will sich selber verteidigen können, längst nicht nur die neutrale Schweiz.

Hand aufs Herz: Gab es zu Ihrer Zeit Bestrebungen innerhalb des Bundesrats und der Armee, die Schweiz in die Nato zu führen, wie das seinerzeit oft gemunkelt wurde?

Ich war immer politisch neutral. Solange die Schweiz die bewaffnete Neutralität will, muss ich als Auftragnehmer dahinter stehen. Wir kooperierten mit der Nato damals und tun es heute nur dort, wo es mit der Neutralität vereinbar ist: Partnerschaft für den Frieden, Einsatz im Kosovo.

Wir könnten doch wenigstens unsere Luftsicherheit bei der Nato einkaufen?

Könnte man schon. Die Frage ist bloss: Wer übernimmt die Verantwortung für einen Abschussbefehl? Das kann doch nur der Verteidigungsminister jenes Landes sein, das akut bedroht wird. Undenkbar, einen solchen Befehl einer ausländischen Armee zu geben.

Für die Luftraumüberwachung während des World Economic Forums nimmt die Schweiz ja auch die Hilfe von Nachbarstaaten in Anspruch.

Aber in der Luft sind nur Schweizer Kampfflugzeuge – und der Befehl zu einem allfälligen Abschuss käme von Bundesrat Maurer. Unsere Nachbarn helfen uns, weiter zu sehen, die Bedrohung früher wahrzunehmen.

Und deshalb brauchen wir ein neues Kampfflugzeug und faute de mieux den Gripen?

Wir brauchen ein neues Kampfflugzeug, ja. Eine Armee braucht ein Dach. Ohne machen Bodeneinsätze keinen Sinn. Die Durchhaltefähigkeit beträgt heute zwei bis drei Wochen. Mit den 22 neuen Flugzeugen könnten wir sie verdoppeln.

Aber nur zu den Bürozeiten…

… auch dies ist ein Entscheid der Politik. Für eine 24-Stunden-Einsatzbereitschaft müssten die finanziellen Prioritäten anders gesetzt werden.

Der Gripen gilt vielen als Papierflieger.

Das stimmt aber nicht. Auch der A380, das grösste Passagierflugzeug der Welt, wurde erst gebaut, als genügend Bestellungen vorlagen. Der Gripen E basiert auf dem Vorgängermodell. Das Gerüst steht also schon. Insofern ist das Risiko klein.

Warum kauft man nicht ein paar F/A-18-Occasionen? Davon gibt es ja genügend.

Weil das auf Dauer auch nicht billiger ist. Die brauchen teure Updates und basieren auf einem Konzept aus den Achtzigerjahren.

Ist es überhaupt sinnvoll, dass das Volk statt einfach grundsätzlich über den Beschaffungsfonds auch gleich noch über den Flugzeugtyp entscheidet?

Das kann man sich schon fragen. Eigentlich geht es um den Fonds. Dummerweise hängt noch der Gripen an der Frage. Damit will ich nichts gegen diesen Flieger sagen. Man hätte den Raphael kaufen können oder den Eurofighter. Beides Spitzenprodukte, aber für unsere Armee einfach schlicht zu teuer. Auch wenn sich die Schweiz diese Flugzeuge schon leisten könnte.

«Gripen ist eine Vernunftlösung»

Ist der Gripen eine Billiglösung?

Eine Vernunftlösung. Der Gripen mag etwas weniger Leistung haben, aber technisch wird er mithalten können. Aber ich bin kein Spezialist...

... der Stammtisch hingegen schon. Da hat jeder seine eigene Meinung, welches der richtige Kampfjet für die Schweiz sei.

Stimmt. Deshalb wäre es schon besser, wenn es nur um den Fonds, über den am 18. Mai abgestimmt wird, gehen würde. Dieser ist ja so wichtig, weil die Armee den selber speisen kann und muss. 300 Millionen Franken fliessen jährlich aus dem ordentlichen Armeebudget in diesen Fonds. Ohne Fonds müsste dieser Betrag gemäss Bundeshaushaltsgesetz wieder in die allgemeine Bundeskasse zurückfliessen – und für die Beschaffung bliebe nichts übrig.

Hersteller Saab versucht, Einfluss auf die Politik zu nehmen, der schwedische Botschafter äussert sich abfällig über gewisse Parlamentarier, SVP- Sicherheitspolitiker Thomas Hurter spricht von einem Plan B und will den Gripen auch bei einem Volks-Nein kaufen. Die Abstimmung steht unter keinem guten Stern.

Zumal Thomas Hurter Präsident der sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats ist. Das macht seine Aussagen besonders heikel. Wir bringen es ganz offensichtlich nicht fertig, im Vorfeld der Abstimmung einheitlich zu kommunizieren. Weder das Parlament noch das Verteidigungsdepartement haben das bis heute begriffen.

Ist Ueli Maurer doch nicht der beste Verteidigungsminister der Welt?

Es liegt mir fern, Bundesrat Maurer zu qualifizieren. Ich sage es so: Wenn man in einem solchen Geschäft Schlangenlinien fährt, verunsichert das die Stimmbürger – und dann sagen sie im Zweifelsfall Nein.

«Ganzheitliches Denken fehlt»

Das tönt nicht sehr optimistisch. Was geschieht bei einem Nein?

Dann müssen Bundesrat und Parlament die Verantwortung übernehmen. Beide haben Probleme mit der Sicherheit, weil ganzheitliches Denken fehlt. Der nächste sicherheitspolitische Bericht, der derzeit erarbeitet wird, müsste alle relevanten Bereiche umfassen, nicht nur das Militär. Sie werden sehen, er wird unvollständig sein.

14 Jahre nach Ihrem Rücktritt geben Sie nun dieses Interview. Warum?

Weil ich mich um die Sicherheit der Schweiz und um die Armee sorge. Und weil Sie mich überredet haben. Es wird aber definitiv mein letztes Interview sein.

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