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«Der Verteilkampf steht noch bevor»

Neu präsidieren zwei Frauen die Glarner Grünen. Priska Müller und Regula N. Keller sprechen über die Bedeutung der kantonalen Raumplanung und erklären, wieso Grün nicht immer gleich Grün ist.

Südostschweiz
23.04.13 - 02:00 Uhr

Mit Priska Müller Wahl und Regula N. Keller sprach Antonella N. Nicolì

Frau Müller, Frau Keller, heute sind ja alle Parteien grün. Braucht es die Grünen da überhaupt noch?

Priska Müller Wahl: Natürlich. Wir sind diejenigen, die ökologisch konsequent abstimmen und nicht bloss in unseren Wahlslogans damit werben.

Regula N. Keller: Wobei wir natürlich nichts dagegen haben, wenn das «Grüne» sich auch in anderen Parteien verbreitet. Je mehr Grün, desto besser.

Soeben sind die Grünliberalen gegründet worden. Warum soll man trotzdem die Grünen wählen?

Müller: Wir Grüne denken in wirtschaftlichen Kreisläufen und wollen nicht auf Kosten der nächsten Generation und der gesellschaftlich Schwächeren handeln. Inwieweit dieses Denken bei der GLP verankert ist, wird sich in Zukunft zeigen.

Fürchten Sie die Konkurrenz der GLP?

Müller (lacht): Wir werden angeregt, aktiv zu bleiben. Es ist eine Herausforderung – und das ist auch gut so.

Wo grenzen sich die beiden Parteien voneinander ab?

Müller: Sicher in sozialen und wirtschaftlichen Fragen. Wir sind für Integrieren statt Ausgrenzen. Die GLP verfolgt beispielsweise in der Ausländerpolitik, vor allem national, eine harte Linie. Wir wollen keine Mittepartei werden, nur um zu gewinnen.

«Arbeitsteilung kommt uns entgegen»

Wo ziehen sie am gleichen Strick?

Müller: Ich hoffe, es gibt in unseren Kernthemen Raumplanung, Energiepolitik und im Natur- und Landschaftsschutz eine gute Zusammenarbeit. Bei Letzterem bin ich mir aber nicht ganz sicher, da wir bisher sehr allein waren.

Auf der Website der Grünen Glarus sind Sie noch nicht als Parteipräsidentinnen aufgeführt; die letzten Medienmitteilungen sind Jahre alt. Anders sieht es bei den Jungen Grünen aus, deren Internetauftritt ausgebaut und aktuell ist. Aber ohne neue Medien erreicht man heute die Jungen nicht.

Keller: In der nächsten Vorstandssitzung wird die Homepage ein wichtiges Thema sein. Das wird sich also in Bälde ändern.

Müller: Es ist wichtig, dass man in allen Medien präsent ist, doch darf man diese auch nicht überschätzen. Das Persönliche und auf der Strasse mit Aktionen gesehen zu werden, ist gerade im Kanton Glarus sicher genauso wichtig. Da werden die Jungen und wir «alten» Grünen aktiv bleiben.

Wieso eigentlich die Entscheidung zu einem Co-Präsidium?

Keller: Ich finde es eine angenehme Ausgangslage, wenn man für anstehende Fragen stets eine Ansprechspartnerin hat. Es setzt möglicherweise mehr Koordination voraus, doch die Arbeitsteilung kommt uns entgegen. Wir ergänzen uns gut.

«Man darf die Natur nicht möblieren»

Für eine so kleine Partei wie Ihre ist es schwierig, professionell zu funktionieren; eine Fusion wäre da naheliegend.

Müller: Mit wem denn? Eine Fusion ist gar kein Thema. Wir stellen nach unserem Wahlerfolg von 2010 eine 12-Prozent-Vertretung im Landrat und sind grösser als die CVP/GLP- Fraktion. Vier der insgesamt neun Frauen im Landrat sind in der Grünen Fraktion. Es gibt viele Themen, die nur wir aufbringen. Zu jeder Wasserkonzession wird beispielsweise sonst kein Wort mehr gesagt zu den langfristigen Folgen für Natur und Gesellschaft. Obwohl diese dann 80 Jahre gilt.

Bleiben wir gleich beim Thema Wasser. Soll die Linthschlucht touristisch genutzt werden, wenn Linthal 2015 vollendet ist?

Keller: Man muss aufpassen. Im Versuch, die Naturräume zugänglicher zu machen, darf man nicht beginnen, sie zu «möblieren».

Müller: Glarus hat für den Tourismus durchaus Einzigartiges zu bieten, das durch gezielte Kommunikation touristisch attraktiver werden kann, auch ohne Möblierung. Wie zum Beispiel das Unesco-Welterbe Sardona, über welches auch das Naturzentrum informiert. Aber um langfristig finanziell einen Mehrwert für alle zu gewinnen, muss dieser natur- und kulturnahe Tourismus durchdacht sein. Darin sehen wir Grünen durchaus Potenziale.

Was halten die Grünen denn vom Tourismusprojekt «Avanti» in Elm?

Keller: Da bin ich skeptisch. Ich habe mich nicht im Detail damit beschäftigt, aber das geht für mich eben in Richtung «Möblierung» des alpinen Raums, sodass man künftig sozusagen in den Sandalen dort hinauf kann.

Im Landrat sind die Grünen mit sieben Sitzen eine Minderheit, die oft überstimmt wird.

Müller: Ich habe in einer Zeit begonnen, als wir bereits eine gewisse Grösse erreicht hatten und ernst genommen wurden. Was uns natürlich immer noch fehlt, ist ein Sitz in der Regierung oder zumindest einen direkten Draht zu ihr.

Keller: Genau. Ich bin erst seit September dabei, habe dies aber auch schon feststellen müssen. Auch an Informationen zu kommen, ist für uns deshalb oftmals schwieriger.

Wo sehen Sie die künftigen Schwerpunkte der Grünen Glarus?

Keller: Ein wichtiges Anliegen bleibt die Raumplanung. Vieles ist bereits angestossen worden; die Richtpläne stehen schon, aber der eigentliche Verteilkampf wird erst mit den Nutzungsplänen losgehen. Das ist, auf kantonaler und auf Gemeindeebene, ein zentrales Thema für uns.

Die Haltung der Grünen zum Richtplan Glarus ist bekannt. Wie sieht es mit Nord und Süd aus?

Müller: Wir sind noch nicht so weit. Es ist ja im Norden nicht einmal beschlossen, ob die Richtplanung ins Gemeindeparlament und an die Gemeindeversammlung kommt. Für mich ist der Fall klar: Der kommunale Richtplan muss im Parlament beraten werden, wie das auch auf kantonaler Ebene geschieht. Das Ziel muss ja sein, dass er breit abgestützt und akzeptiert ist, um zumindest einem Teil der bevorstehenden Konflikte vorzubeugen. Wir sind natürlich aktiv dabei. Die Parlamentarierin Ann-Kristin Peterson von den Grünen Glarus Nord ist bei der Raumplanung sehr engagiert.

«Die Umfahrung Glarus ist ein schöner Traum»

Was meinen Sie zu den derzeitigen Umfahrungsprojekten?

Keller: Ich habe lange in Chur gewohnt, das sich in den letzten zehn Jahren gewaltig verändert hat. Es gibt eine autofreie Altstadt und seit ein paar Jahren auch eine Begegnungszone rund um den Bahnhof. Zurück im Hauptort Glarus vermisse ich einen öffentlichen Raum, wo man sich als Fussgängerin gerne aufhält, immens. Dies wäre allenfalls mit einer Umfahrung zu erreichen, aber es würde bedingen, den hausgemachten Verkehr in Glarus radikal einzuschränken. Dass man das durchbringt, bezweifle ich aber. Die Einführung des «Modells Köniz», das eine Verflüssigung des Verkehrs bei einer Verlangsamung auf Tempo 30 beinhaltet und an den Foren zum Richtplan mehrfach diskutiert worden ist, ist da sicher der vielversprechendere Ansatz.

Müller: Die Umfahrung Glarus ist ein schöner Traum, der finanziell im Alptraum enden könnte. Denn wie viel Bausteuerprozente wir jahrelang

dafür bezahlen müssten, wagt niemand zu sagen. Wir haben eine Interpellation am Laufen und sind gespannt, mit welchen Zahlen der Regierungsrat rechnet.

Keller: Da wird mit Millionenbeträgen herumgeboten. Wenn es aber um kulturelle Fragen geht, werden bereits um 10 000 Franken riesige Diskussionen eröffnet.

Müller: Einzigartig ist, dass wir im Kanton so viel selbstgemachten Zielverkehr haben. Da fehlen die kreativen Lösungsansätze, welche eine Verkehrsentlastung und nicht nur eine Verschiebung bringen. Die Grünen haben schon zweimal einen Antrag zur Parkplatzbewirtschaftung des Zaunplatzes gestellt.

Keller: Da liegt noch viel Potenzial brach. Doch es ist schwierig, weil man in den Köpfen etwas verändern müsste. Ein Bewusstsein für Alternativen schaffen, aber auch klare finanzielle Anreize geben. Beispielsweise eben mit einem Parkierungssystem oder mit Steuererleichterungen für Firmen, die sich für umwelt- und zukunftsorientierte Mobilitätskonzepte engagieren.

Die Grünen haben für viele ein Verhinderer-Image, sollen also stets diejenigen sein, die sich Neuem entgegensetzen. Ist dieses Bild berechtigt?

Keller: Es geht nicht darum, zu verhindern, sondern innezuhalten und eine Angelegenheit vernetzt zu betrachten. Das setzt in vielen Fällen eben auch eine Denkpause voraus.

Müller: Wir setzen uns aber auch für Innovation ein. Manchmal sind wir einfach für einen anderen Weg.

Für einen langsameren …

Müller: Oder einfach für den besseren (lacht).

Ennenda. – Regula N. Keller ist neue Co-Präsidentin der Grünen Glarus. Sie arbeitet seit zwölf Jahren als Lehrerin an der Kantonsschule Glarus, wo sie Geschichte und Deutsch unterrichtet. In Graubünden aufgewachsen, lebt sie seit acht Jahren im Glarnerland. Die Ennendanerin ist seit 2012 im Landrat und Co-Präsidentin der Grünen der Gemeinde Glarus. (an)

Niederurnen. – Priska Müller Wahl präsidiert zusammen mit Regula N. Keller die GP Glarus. Die Biologin leitet an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil eine Forschungsgruppe. Sie ist im Glarnerland aufgewachsen und hat ihr Biologiestudium in Bern absolviert. Heute lebt sie in Niederurnen und ist Mutter zweier Kinder. Im Landrat ist sie seit neun Jahren. (an)

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