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Der Herr der Linthal-2015-Baustelle

Rolf W. Mathis kennt als Leiter der Division Hydroenergie bei der Axpo die Riesenbaustelle rund um den Limmernsee wie seine Hosentasche. Das Projekt sei auf Kurs und es komme wenn nötig auch ohne neue Atomkraftwerke aus, meint er.

Südostschweiz
12.12.10 - 01:00 Uhr

Mit Rolf W. Mathis sprach Daniel Fischli

Herr Mathis, der Winter ist da. Welche Auswirkungen hat das auf Ihre Baustelle im Hochgebirge?

Rolf W. Mathis: Wir haben das Bauprogramm von Anfang an darauf ausgerichtet, dass wir im Winter an den kritischen Orten, zum Beispiel am Muttsee, nicht arbeiten müssen. Das ist bisher genau aufgegangen. Wir konnten in diesem Herbst sogar etwa drei Wochen länger oben arbeiten als geplant. Jetzt sind wir mehr im Berg drin oder am Ochsenstäfeli beim Limmernsee tätig.

Sie bohren für das neue Kraftwerk rund 10 Kilometer kreuz und quer durch den Berg; die obersten Baustellen am Muttsee liegen auf rund 2500 Metern über Meer. Gibt es für die Ingenieure überhaupt noch Grenzen oder ist heute alles möglich?

Ja, die Grenzen bestehen, die Natur gewinnt am Ende immer. Die Geologie könnte uns einen Streich spielen, wenn wir zum Beispiel in eine Kluft kommen. Man kann das überwinden, aber der Aufwand steigt. Im Wallis wären wir bei einem Projekt in eine Zone gekommen, in der das Gestein wie Kristallzucker ist, die Tunnelbohrmaschine hätte sich darin nicht mehr verstemmen können. Technisch wäre das Problem lösbar gewesen, in Kanada hatte man so etwas schon einmal gemacht, aber der Aufwand wäre in keinem Verhältnis mehr zum Nutzen gestanden. Wir mussten das Projekt abbrechen.

Befürchten Sie, dass etwas Ähnliches auch in Linthal passieren könnte?

Im Moment haben wir keine Hinweise auf unerwartete Schwierigkeiten. Was wir bis heute im Berg antreffen, bestätigt unsere Erwartungen, die wir auf Grund von Sondierbohrungen und anderen Abklärungen haben. Und dann darf man auch nicht vergessen: Wir wissen sehr viel über den Fels aus der Bauzeit des ersten Kraftwerkes anfangs der Sechzigerjahre. Aber die Nagelprobe haben wir erst bestanden, wenn wir fertig sind. Den Respekt vor dem Berg werden wir bis zum letzten Tag behalten müssen.

«Wir dürfen nichts dem Zufall überlassen»

Und was bedeutet das für Sie kon- kret?

Alle Vorsichtsmassnahmen treffen, nichts dem Zufall überlassen. Falls wir zum Beispiel auf viel Wasser treffen, ist auf den Maschinen alles eingerichtet, um mehr Vorausbohrungen zu machen, mit denen der Fels sondiert werden kann.

Bei der Neat wurde kürzlich der Durchstich gefeiert. Gibt es in Ihrem Projekt auch einen Punkt, an dem Sie aufatmen können und denken: «Jetzt sind wir durch, es kann nichts mehr passieren!»?

Etwas passieren kann immer. Aber mit den Durchstichen im Zugangsstollen 1 und in den beiden Druckschächten sowie mit dem Ausbruch der Kaverne werden sicher wichtige Meilensteine erreicht sein. Das wird Anfang 2012 soweit sein. Dann wissen wir, der Fels hält!

Konnten Sie den Baufahrplan bisher einhalten?

Über das Ganze gesehen sind wir auf Zielkurs. Es gibt einzelne Teilbereiche, in denen wir leicht im Rückstand sind. Dafür sind wir beispielsweise am Muttsee dem Fahrplan voraus und in der Summe gleicht sich das aus. Das Problem in einem solchen komplexen Projekt ist allerdings, dass alles zusammenpassen muss. Wenn beispielsweise die grosse Tunnelbohrmaschine im Zugangsstollen 1 schneller vorankommt, nützt uns das nichts, wenn oben der Kavernenausbruch noch nicht abgeschlossen ist. Es gibt im Moment aber keinen Hinweis darauf, dass wir nicht im letzten Quartal 2015 wie geplant die erste Maschine in Betrieb nehmen könnten.

Gibt es einen Bauabschnitt, der Ihnen Sorgen bereitet?

Sorgen mache ich mir nicht, denn wir sind gut vorbereitet. Gegen Ende des Jahres 2011 wird es aber spannend werden, ob die ersten Schnittpunkte zeitlich zusammenpassen. Ob zum Beispiel die Arbeiten an der Kaverne und am Stollen gleichzeitig vorankommen.

Und das hängt vom Fels ab?

Ja – und dann kann natürlich auch einmal eine Maschine eine grössere Panne haben. Das kann immer passieren.

Wie sieht es finanziell aus? Sind Sie da auch auf Kurs?

Ja – gewisse Arbeiten konnten wir etwas günstiger als im Kostenvoranschlag vergeben und auf der anderen Seite gibt es Dinge, die man unterschätzt hat. Solche Abweichungen sind bei einem 2,1-Milliarden-Projekt nichts Aussergewöhnliches.

«Kernkraftwerke wären die ideale Energiequelle»

Was Ihnen aber am Schluss noch einen Strich durch die Rechnung machen könnte, sind die Strompreise. Was passiert beispielsweise, wenn in der Schweiz keine Atomkraftwerke mehr gebaut werden können und der Preis für den Pumpstrom ansteigt?

Massgebend für den Erfolg ist letztlich die Preisdifferenz zwischen dem Bandstrom und dem Spitzenstrom. Die Bandenergie aus den Schweizer Kernkraftwerken wäre für uns die ideale Quelle. Aber wir können auch importieren, zum Beispiel aus Deutschland, wo viel Bandenergie hergestellt wird. Wir gehen davon aus, dass sich das Werk über seine Konzessionszeit von 80 Jahren wirtschaftlich betreiben lässt.

Sie brauchen also den Beznau-, Gösgen- oder Mühlebergersatz nicht, um rentabel zu sein?

Nein, wir haben immer in beiden Szenarios – mit und ohne neue Kernkraftwerke – geplant.

Es werden aber auch Konkurrenten von Linthal 2015 auf den Markt kommen: andere Pumpspeicherwerke, die den Preis für den Spitzenstrom drücken werden.

Die Schweiz hat Bedarf für mehr als ein Pumpspeicherwerk. Und Linthal 2015 ist zusammen mit dem Projekt Nant de Drance im Wallis das erste grosse Pumpspeicherwerk, das in der Schweiz ans Netz gehen wird. Ein weiterer Aspekt kommt dazu: Je mehr Windenergie ins Netz eingespeist wird, desto wichtiger sind Werke, welche die schwankende Einspeisung ausgleichen können. Das schaffen bislang nur die Pumpspeicherwerke.

«Die Systeme der Arbeitssicherheit funktionieren»

Sie hatten schon schwere Unfälle auf der Baustelle, einen davon leider mit tödlichem Ausgang. Und in einem Fall hat die Suva eine Untertagebaustelle geschlossen, weil die Luft im Tunnel zu schlecht war. Sind Sie, was die Sicherheit angeht, zu nachlässig?

In der ersten Phase eines solchen Projektes startet man mit einfachen Mitteln, zum Beispiel mit Hilfsseilbahnen. Damit wird dann auch die Rettungs- und Lüftungsinfrastruktur nach und nach aufgebaut. Die Aufbauphase hat es in sich. Wenn einmal alles läuft, ist man stabil. Und in dieser ersten Phase hatten wir tatsächlich Diskussionen mit Behörden um Themen wie Abwasser oder Luftqualität. Aber heute dürfen wir mit Stolz sagen, dass seit dem Frühsommer alles funktioniert. Auch bei der Arbeitssicherheit – «Holz alange» – funktionieren die Systeme, von der Kommunikation über die Rettungsgeräte bis zum Rettungssanitäter, der seit Juni rund um die Uhr hier auf Platz ist.

Im Sommer war zum ersten Mal in Mollis kein Rega-Helikopter mehr stationiert. Haben Sie ihn vermisst?

Die Rega garantiert uns den Einsatz. Ob er von Untervaz, von Erstfeld oder von Zürich aus geflogen wird, spielt keine Rolle. Und bei schwierigen Verhältnissen wird laut Rega in Mollis jemand mit genauen Kenntnissen der lokalen Geographie in den Heli zusteigen.

«In Linthal hat es eine Entwicklung gegeben»

Im Hinterland hat man sich von der Baustelle wirtschaftliche Impulse erhofft. Wie schätzen Sie den Effekt ein? Kaufen Sie nicht das meiste von aussen ein?

Wie ich von den Behörden von Glarus Süd und Linthal höre, hat es in Linthal eine Entwicklung gegeben. Wohnungen können wieder vermietet werden, die Mieten sollen um beachtliche 10 bis 15 Prozent gestiegen sein, Hotelzimmer findet man kurzfristig kaum. Ich stelle auch fest, dass viele Anlieferer im Tierfehd – vom Schreiner über den Spengler zum Automechaniker – Glarner Autonummern haben. Und dann gibt es grosse Aufträge für Glarner Firmen für Rohre, Armierungsstahl und so weiter. Hingegen: Wo die Kantine einkauft, weiss ich nicht, das ist Sache der Betreiber.

Es gibt Stimmen, die sich eine grössere touristische Ausschlachtung des Projektes wünschen. Die Axpo ist aber nicht begeistert. Weshalb?

Während der Bauphase bieten wir Führungen im Tierfehd an, die auf ein sehr grosses Interesse stossen. Im Sommer dieses Jahres hatten wir über 3500 Besucher hier. Auf den Gebirgs- und Untertagebaustellen hat die Sicherheit absoluten Vorrang, da können wir mit Besuchern nicht hin.

Und nach der Inbetriebnahme, könnte man da das Werk nicht öffnen?

Die grossen Seilbahnen werden nach dem Abschluss der Bauarbeiten wieder demontiert. Die Standseilbahn vom Tierfehd in die Kaverne ist nicht für öffentliche Personentransporte ausgerüstet. Was bleibt, ist die alte Seilbahn, die nach wie vor offen bleiben soll. Auch den alten Tunnel vom Chalchtrittli zum Limmernsee werden wir vermutlich wieder öffnen. Ob es im kleineren Stil Führungen in der Kaverne geben wird, weiss ich jetzt noch nicht. Wir müssen auch berücksichtigen, dass oben wieder ein ruhiges alpines Gebiet entstehen soll. Ich glaube nicht, dass wir die Bewilligung für ein grosses touristisches Projekt erhalten hätten. Unsere Anlagen liegen im Gegensatz zum Kraftwerk am Grimsel nicht in einem Tourismusgebiet.

Linthal. – Die Baustelle für das Pumpspeicherwerk Limmern läuft seit dem Frühherbst im Vollbetrieb. Nach dem Abschluss der Vorbereitungs- und Sondierarbeiten sind jetzt 450 bis 500 Arbeiter zwischen Tierfehd und Muttsee tätig. Gearbeitet wird rund um die Uhr, sieben Tage die Woche.Bereits abgeschlossen ist der Ausbruch des Zugangsstollens 2. Gegenwärtig wird der Zugangsstollen 1 vom Tierfehd her nach oben in Richtung Kavernenzentrale mit einer Tunnelbohrmaschine ausgebrochen. In diesem Stollen soll ab dem Jahr 2013 eine Standseilbahn die Pumpen, Turbinen und Generatoren in die Kaverne transportieren.Ausserdem wird am Fensterstollen von der Bauseilbahn 2 zur Schieberkammer unterhalb des Muttsees gebaut.Im Ochsenstäfeli am Limmernsee wird im Schutz von Lawinendämmen auch über den Winter gearbeitet; dort befindet sich unter anderem die Kiesaufbereitungsanlage. An der Muttseestaumauer dagegen kann witterungsbedingt nur von Juni bis Oktober gebaut werden. Nach der Inbetriebnahme soll das Kraftwerk in Zeiten mit niedrigem Energiebedarf, zum Beispiel in der Nacht, mit billigem Strom Wasser vom Limmern- in den 630 Meter höher gelegenen Muttsee pumpen. Wenn viel Strom verbraucht wird und entsprechend teuer verkauft werden kann, wird das Wasser wieder zur Stromerzeugung genutzt.Das Kraftwerk wird eine Leistung von 1000 Megawatt aufweisen, was derjenigen des Atomkraftwerks Leibstadt entspricht. (df)

Rolf W. Mathis ist bei der Axpo Leiter der Abteilung Hydroenergie. Er ist also der Herr über alle Wasserkraftwerke der Axpo und damit auch über das Kraftwerk Linth-Limmern und die Linthal-2015-Baustelle. Mathis ist 54 Jahre alt und wohnt in der Gegend von Aarau. Er ist studierter Maschinen- und Wirtschaftsingenieur und verbringt nach eigenen Angaben zur Zeit im Schnitt zwei Tage pro Woche auf der Baustelle im Tierfehd. (df)

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