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Der Cider aus dem Glarnerland

Die Interessengemeinschaft «für den besten Cider» hat im Sommer 2012 den Verein Cidonia gegründet. Urs Trottmann ist eines der fünfzehn Mitglieder und der Sommelier der Gruppe.

Südostschweiz
28.10.12 - 02:00 Uhr

Von Sabine Tschudi

Glarus. – Auf dem kleinen Platz zwischen den Häusern in Glarus steht der Schatz, der schon bald viele Kehlen befeuchten und Gaumen erfreuen wird. Aufgestapelte Kisten gefüllt mit Äpfeln aller Art nehmen einen beträchtlichen Platz ein. Davor ist ein Tisch aufgestellt, auf dem zwei Vereinsmitglieder von Cidonia die Äpfel vierteln.

England als Inspirationsquelle

Die guten gehen ins Töpfchen, sprich in die Zerkleinerungsmühle, die schlechten nicht ins Kröpfchen, sondern auf den Kompost. Denn faules Obst kann schnell ein Geschmackskiller sein. An zwei Wochenenden teilen sich die fünfzehn Vereinsmitglieder die Arbeit. So ist es weniger Arbeit, sondern mehr ein geselliges Vergnügen. Fünfhundert Liter Cider sollen am Ende herauskommen. Dafür braucht es immerhin eine Tonne Äpfel und einige Stunden Einsatz.

Auf den Geschmack gekommen ist Urs Trottmann in England. Genauer gesagt in Jersey, wo er vier Jahre lang aus beruflichen Gründen gelebt hat. Seit etwa zwanzig Jahren erlebe das Nationalgetränk dort ein Revival. Plötzlich gäbe es wieder viele kleine Hersteller, die diese Kunst für sich entdeckt hätten.

Wenig richtige Äpfel dieses Jahr

Schon wandert die nächste Kiste mit Äpfeln in den Waschzuber. Wichtig für einen guten Geschmack seien die richtigen Apfelsorten, weiss Trottmann. Die Äpfel dürfen nicht zu süss sein wie etwa die Berner Rose. Ein gewisser Säuregehalt sei ebenso wichtig wie genügend Bitterstoffe oder Phenole, wie sie auch genannt werden. Sie kommen in der Schweiz vor allem in der Apfelsorte Boskoop vor.

Dieses Jahr sei es schwierig gewesen, genügend richtige Äpfel zu finden. «Absolut kein Apfeljahr. Wir mussten sogar Äpfel zukaufen», erzählt Trottmann. Mit der Zeit entwickle man ein richtiges «Apfelauge». Jeder Hochstämmer werde innerlich registriert und im Herbst auf seinen Apfelgehalt hin geprüft.

Viele Besitzer hätten heute keine Lust oder Zeit mehr, das anfallende Obst zu verarbeiten. Das ganze Obst am Boden verfaulen zu sehen, habe ihn buchstäblich gewurmt. Das sei die Geburtsstunde des Glarner Ciders gewesen. Hinzu kommt, dass Trottmann als Hobbybierbrauer bereits über das nötige Equipment verfügt hat. Die Hygiene sei bei beiden Herstellungsverfahren sehr wichtig, so Trottmann. Auch darin haben er und Rolf Kamm einschlägige Erfahrungen mitgebracht.

Im Laufe des Nachmittags verwandeln sich die Kisten voller Äpfel in Kisten voller Apfelstückchen. Am nächsten Tag kommt die neue Errungenschaft zum Einsatz: eine Handpresse aus solidem Eichenholz. «Die haben wir diesen Sommer für 200 Franken im Internet erstanden», erzählt Trottmann stolz.

Vor den Ausguss wird ein Filter montiert und ein Zehn-Liter-Eimer gestellt. Ungefähr zweihundert Kilo Apfelstücke werden pro Pressgang in den Eichenbottich gefüllt. Die Masse wird mit vier Holzplatten bedeckt, darauf kommen kreuzweise zwei Eichenbalken. Auf diese werden wiederum zwei Eichenbalken kreuzweise gelegt. Die Fläche ist nun in Achtel aufgeteilt.

Dies ist nötig, um den Druck gleichmässig zu verteilen. Die Spindel wird jetzt langsam mithilfe einer Kurbel auf den Kreuzpunkt geschraubt. Mit jeder Umdrehung erhöht sich der Druck und der feine Saft beginnt zu fliessen. «Dreissig bis vierzig Tonnen Druck können wir so erzeugen», schätzt Trottmann. Der frischgepresste Saft kommt in einen grossen Behälter und wird sofort mit Weinhefe angesetzt. «Damit andere Bakterien keine Chance haben, ihren Stamm auszuweiten und damit den Geschmack zu beeinflussen.»

Experimente mit Apfelsäure

Jetzt muss das Ganze drei bis vier Wochen gären. Dieser Prozess ist abhängig von der Temperatur, die im Keller herrscht. Ab der zweiten Woche wird dann der Zuckergehalt gespindelt. Das heisst, mit einem Röhrchen wird die Dichte des Saftes gemessen. Je dicker der Saft ist, desto länger muss er noch gären. Einen Rest Zuckergehalt lässt man aus geschmacklichen Gründen aber stehen. Eine kleine Geschmacksprobe zeigt, dass der Saft noch sehr süss ist. Der brauche jetzt noch zwei Wochen bis zur Trinkreife, erklärt Trottmann.

Manchmal müssten sie auch noch etwas mit künstlicher Apfelsäure nachhelfen, gibt Trottmann zu. Denn sie seien noch sehr viel am Experimentieren. Wenn die Vereinsmitglieder auf neue Apfelsorten stossen, werden diese erst separat vergoren und gegebenenfalls mit dem bekannten Cider vermischt. Manchmal werde auch noch ein Schuss Kohlensäure zugesetzt. Der französische Cidre enthält natürlicherweise Kohlensäure, denn er wird nach der Champagnermethode hergestellt.

Viel Tüftelei hinter Trinkerlebnis

Viel Tüftelei stecke hinter jedem runden Trinkerlebnis, beteuert Urs Trottmann, der Sommelier aus Leidenschaft. Schon erhält man eine weitere Trinkprobe. Englischen Cider, ein Ferienmitbringsel direkt aus Jersey. Der eigene sei leider schon ausgetrunken. Tatsächlich ist ein bitterer Nachgang zu schmecken. Als Vergleich reicht Trottmann einen Cidre, der mit der Champagnermethode produziert wurde. Prickelnd, aber nicht so nachhaltig wie Champagner.

Bevor der Saft nun in seine endgültige Verpackung kommt, wird er mehrmals umgefüllt, damit sich die Trübstoffe senken. «Aus der Maische werden wir dieses Jahr erstmals versuchen, einen Schnaps zu brennen.» Denn alle Ressourcen zu nutzen sei auch ein Ziel des Vereins Cidonia.

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