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«Der Betrachter ist der eigentliche Künstler»

Das St. Moritz Art Masters versammelt zum vierten Mal die klingendsten Namen des zeitgenössischen Kunstschaffens im Engadin.

Südostschweiz
27.08.11 - 02:00 Uhr

Von Julian Reich (Text) und Rolf Canal (Fotos)

Da sind sie wieder, die grossen Namen: John Armleder, Jonathan Meese, Yves Netzhammer, Roman Signer, Georg Dokoupil und noch einige mehr zieren heuer das Programmheft des St. Moritz Art Masters. Vor vier Jahren vom Berufsvisionär Monty Shadow zur Belebung der Sommersaison gegründet, ist das Festival mittlerweile dort, wo Reiner Okopu, der Kurator, es sich vorstellt: «Wir haben ein Netzwerk geflochten mit der Region und zugleich mit den Künstlern», sagte er gestern vor dem Medien. Die meisten der noch bis am 4. September zu sehenden Werke sind eigens für das Art Masters entstanden, viele der Künstler sind anwesend.

Viel Zirkus, aber gratis

Das Art Masters vermittelt zunächst den Eindruck eines mit vielen Sponsorenmillionen aus dem Boden gestampften Kunstzirkus’, der sich vor allem um sich selber dreht. Nun, so ist es auch, zum Teil zumindest. Nur sorgen die Millionen eben auch dafür, dass die ausgestellten Kunstwerke kostenlos zugänglich sind. Auf dem «Walk of Art», einem täglich geöffneten Parcours durch St. Moritz, lässt sich an 16 gewohnten und auch ungewohnten Orten Kunst entdecken.

In der Fussgängerzone des Dorfes etwa Laserprojektionen von Stephan Reusse, im alten Schulhaus eine Lichtinstallation von John Armleder, im Paracelsus-Gebäude in St. Moritz Bad eine komplexe Installation von Yves Netzhammer. Ebenfalls beim «Kempinsky» ist eine neue Arbeit des Bündner Fotografen Jules Spinatsch zu sehen.

Die Galerien Jean-David Cahn, Caratsch, Gmurzynska, Karsten Greve und Bruno Bischofberger sind einbezogen in den Rundgang, genauso wie die Hotels «Badrutt’s Palace» oder «Kempinsky». Aber auch ausserhalb von St. Moritz finden Veranstaltungen statt, etwa in den Planta-Häusern in Zuoz und Samedan. In der Chesa Planta Samedan steht heute ein Anlass mit dem Multitalent Jonathan Meese an (14 bis 16 Uhr). Von ihm ist übrigens in St. Moritz Dorf die Skulptur «Die Humpty-Dumpty-Maschine der totalen Zukunft» zu sehen, an der sich die Geister scheiden.

Ortsspezifische Arbeiten

Eine eigene Reihe bildet das Projekt «Lingua Franca». Auf Einladung des Festivals zeigen sechs Künstler Arbeiten zum Thema Kunst als Sprache. Entstanden sind sechs ortsspezifische Interventionen. Mitzuverfolgen war gestern etwa eine Performance des Chinesen Li Wei, der an einen Helikopter gebunden über den St. Moritzer See flog und Farbe versprühte. Als Aktivierung des Himmels als Raum für die Kunst bezeichnete Kurator Marc Hungerbühler die Aktion. Li Wei wird heute um 17 Uhr (am See) und am Montag um 15 Uhr (Skisprungschanze) weitere Performances zeigen.

Sehenswert ist die Intervention von Choei Jeong Hwa aus Korea, der unter anderem das alte Schwimmbad im Park des «Kulm Hotels» bespielt. Den so heruntergekommenen wie verwunschenen Ort verwandelt der Künstler in ein Sinnbild von Natur und Künstlichkeit. Im baufälligen Schwimmbecken liegt Totholz, aus dessen Ästen Plastikblüten spriessen, an den Bäumen hängen tropische Früchte, die sich als Luftballons erweisen. Dabei hat der Künstler selbst nie Hand angelegt, er liess Studenten des Lyzeum Alpinum für sich arbeiten.

Vielsprachiges St. Moritz

Eine Toninstallation des Duos Jacqueline Baum & Ursula Jakob nimmt das Thema Sprache am explizitesten auf. Beim Eingang des Parkhauses Serletta lassen sie aus einem Gewühl aus Kabeln und Lautsprechern Fragmente von Interviews rieseln, in denen sie Einwohner von St. Moritz zu ihren persönlichen Bedeutungen von Heimat, Wurzeln und Identität befragen. Auch wenn alle Befragten St. Moritzer sind, geführt wurden die Interviews in acht verschiedenen Sprachen.

Grosse Namen, hoher Anspruch

Während des St. Moritz Art Masters finden heute und morgen Gesprächsrunden zum Thema «Mapping the Alps» statt, die sogenannten «Engadine Art Talks». Sie stehen unter der Leitung von Beatrix Ruf, der Direktorin der Kunsthalle Zürich, und Hans Ulrich Obrist, dem Co-Direktor der Serpentine Gallery in London. Zu Gast sind Künstler wie Sarah Morris oder Hamish Fulton, Kritiker wie Philip Ursprung oder die Architekten Andrea Deplazes und Peter Zumthor.

Das St. Moritz Art Masters trumpft mit grossen Namen und hohem Anspruch auf. Sympathisch da die Äusserungen John Armleders von gestern: «Das Wichtigste ist die Kunst selbst, der Künstler ist letztlich nur das Tor zwischen ihr und den Menschen. Kunst entsteht erst dann, wenn sie betrachtet wird. Insofern ist der Betrachter der Künstler.»

www.stmoritzartmasters.com

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