×

In den Mühlen der Hexenjustiz

Historiker Hubert Giger geht unter die Belletristik-Autoren: In seinem Erstling «La stria da Dentervals» schildert er ein Frauenschicksal – und die Befindlichkeit in der Surselva zur Zeit der Hexenverfolgung.

Südostschweiz
22.02.11 - 01:00 Uhr

Von Jano Felice Pajarola

Chur/Disentis. – Es ist ein Thema von ungebrochener Aktualität und Faszination, um das sich alles dreht in der mittlerweile vierten Publikation des noch jungen romanischen Verlagshauses Chasa Editura Rumantscha. Seit zehn Jahren schon ist der aus der Val Medel stammende Historiker und Radioredaktor Hubert Giger bekannt als der Spezialist, wenn es um die Aufarbeitung der Hexenverfolgung insbesondere in der Surselva geht. Genauer: Seit 2001 sein wissenschaftliches Werk «Hexenwahn und Hexenprozesse in der Surselva» erschienen ist. Nur: «Wissenschaftliche Bücher lesen viele nicht», dessen ist Giger sich bewusst. Auch deshalb hat er sich vor fünf Jahren entschieden, die Thematik literarisch aufzuarbeiten. Das – hochspannende – Ergebnis liegt nun druckfrisch vor: «La stria da Dentervals».

Nicht historisch, nicht erfunden

In Sursilvan, seinem angestammten Idiom, erzählt Giger in seinem belletristischen Erstling die Geschichte der Onna Pintga, einer älteren Frau, die in der Cadi der um 1670 grassierenden Hexenverfolgung zum Opfer fällt. Es ist der erste historische Roman in der Rumantschia seit Langem – und er ist gleichzeitig ein Sittenbild einer Zeit, die noch nicht überall auf der Welt der Vergangenheit angehört.

Der Ort Dentervals, «Zwischen den Tälern», ist fiktiv, ebenso fiktiv sind die Dorfleute, die Giger nachzeichnet. Auch die Figur der Onna ist nicht im engeren Sinne historisch, sie ist aber auch nicht einfach «erfunden». Was ihr widerfährt, hat der Autor in akribischer Recherche aus verschiedenen Hexenprozessen zusammengetragen, und es gibt auch eine historische Figur, die viel gemeinsam hat mit Onna: die als Hexe angeklagte Thrina Joss Jon Ping aus Waltensburg; ihren Fall hat Giger 2001 dargestellt. Erkennbar ist auch die Gegend, in der der Roman spielt: der Kreis Disentis, die Cadi.

Onna Pintga gerät in «La stria da Dentervals» in den Verdacht, ein Kindergrab geschändet zu haben, um an Knochen für ein Schadenzauber-Pulver zu kommen. Dass sie von Zeugen in Zusammenhang gebracht wird mit verschiedenen Unglücksfällen, macht ihre Lage noch aussichtsloser, als sie schliesslich angeklagt wird. Onna endet vor dem Scharfrichter.

Zwischen Zweiflern und Antreibern

«Wir wissen, dass Onna keine Hexe ist. Aber wir können nichts tun.» Das lässt Giger den ehemaligen Landammann Clau Maissen in seinem Buch an Mattias Sgier schreiben, den damaligen Dekan des Bistums Chur. Im Gegensatz zu den Dorfleuten sind nämlich kirchliche und staatliche Behördenmitglieder im Roman nicht fiktive, sondern historisch belegte Personen. Die einen – wie Maissen und Sgier – sind Zweifler, andere sind Antreiber des Wahns. Zwischen diesen beiden Polen zeichnet der Autor jenes Bild, das er dem Leser vor allem vermitteln will – «die Befindlichkeit der Menschen, wie sie handeln, welche Ängste sie haben. Das Schema», so Giger, «ist überall auf der Welt das gleiche.»

Mit Klischees wird aufgeräumt

Dabei räumt Giger auch auf mit Klischees: Nicht einfach die Gerichte waren schuld an den Grausamkeiten der Hexenprozesse, nicht einfach die Kirche. Es ist ein komplexes Zusammenspiel menschlicher Einbildungen und Schwächen, sozialer Umstände und unglücklicher Zufälle, das in «La stria da Dentervals» zum tragischen Ende führt – und in der Realität führte. 28 angebliche Hexen und Hexer wurden allein 1675 in Disentis hingerichtet.

Hubert Giger: «La stria da Dentervals», 320 Seiten, 34 Franken.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu MEHR