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Das Zentrum für Asylsuchende ?im Degenbalm ist zu 95 Prozent belegt

MORSCHACH Das Durchgangszentrum Degenbalm ist fast voll. Nebst Eritreern und Syrern kommen vermehrt Tibeter in den Kanton Schwyz.

Südostschweiz
18.08.14 - 02:00 Uhr

«Ich versuche, die Menschen in dieser Region zu verstehen und ihre teils abwehrende Haltung nachzuvollziehen.»

Hanspeter Harlacher,?leiter Asylzentrum

Andrea Schelbert

«Wie in einem Ameisenhaufen» gehe es im Durchgangszentrum Degenbalm in Morschach manchmal zu und her, sagt Leiter Hans-Peter Harlacher. «Ich bin froh, dass ich am Abend abschalten und meine Privatsphäre geniessen kann», so der 64-Jährige. Er und sein Team erleben intensive Arbeitstage. Denn das Zentrum für Asylsuchende, das Platz für 90 Menschen bietet, ist zu 95 Prozent belegt. «Im Juli hatten wir teilweise sogar eine Auslastung von 110 Prozent und mussten zusätzlichen Platz schaffen», erzählt Harlacher. Manchmal sei es im «Degenbalm» ähnlich wie in einem Bahnhof, wo ständig neue Leute eintreffen, während andere wieder abreisen.

Flucht ohne die Familie

Die meisten Flüchtlinge, die in den vergangenen Monaten nach Morschach gekommen sind, stammen aus Eritrea und sind um die 20 Jahre alt. Auffällig ist, dass immer mehr Tibeter in die Schweiz einreisen. «Sie sind nach Eritrea und Syrien aktuell die drittgrösste Gemeinschaft in Morschach. Grund für die vermehrte Einreise von Tibetern ist ein Grundsatzentscheid des Bundesverwaltungsgerichts, der ihre Chancen auf Asyl erhöht», erklärt Harlacher. «Wir haben jedoch auch einige unbegleitete Minderjährige aus Eritrea im Haus, die ohne Eltern nach Europa gekommen sind. Um sie müssen wir uns speziell kümmern.» Weil die jungen Asylsuchenden nicht mündig sind und damit auch keine Dokumente unterschreiben dürfen, berät und unterstützt sie eine Vertrauensperson. Zudem hat Harlacher dafür gesorgt, dass die Jugendlichen Hilfe von älteren Landsleuten erhalten, die ebenfalls im Durchgangszentrum leben. «Sie übernehmen eine Art Götti-Funktion.»

Den minderjährigen Flüchtlingen steht offen, ob sie sich an den Reinigungsarbeiten im Durchgangszentrum beteiligen wollen. Helfen sie mit, stehen ihnen Fr. 3.– statt Fr. 1.20 Taschengeldpro Tag zur Verfügung. «Die meisten wollen arbeiten», sagt der Chef des Zentrums. Er habe den Eindruck, dass es ihnen gut gehe. «Sie sind lebhaft und fröhlich. Wir haben auch dementsprechend viel zu tun, weil sie manchmal die Nacht zum Tag machen», erklärt Harlacher. Eritreer seien vom Naturell her ein lautes Volk. Er habe die Nordostafrikaner darum über die Nachtruhe und Privatsphäre in der Schweiz informiert. «Sie waren sehr erstaunt und hatten Verständnis. Ihnen war ihr Verhalten nicht bewusst.»

Seit 22 Jahren im Asylzentrum

Hans-Peter Harlacher arbeitet seit 1992 mit Asylsuchenden. Damals wurde im Durchgangszentrum Steinbach in Euthal eine Nachtwache gesucht. Harlacher bewarb sich und bekam den Job. Acht Jahre später übernahm er die Leitung im Asylzentrum. 2006 folgte der Umzug nach Morschach, das Zentrum in Euthal wurde geschlossen. Dass er in einem konservativen Kanton arbeitet, in dem die Politik eine eher ausländerkritische Haltung vertritt, stört ihn nicht. «Ich versuche, die Menschen dieser Region zu verstehen. Ich probiere, ihre teilweise abwehrende Haltung Ausländern gegenüber nachvollziehen zu können. Denn in all den Jahren habe ich gelernt, dass wir alle Menschen sind und ähnlich funktionieren.» Als Zentrumsleiter hat er mehrmals erlebt, wie positiv Schweizer auf Asylsuchende reagieren, sobald sie diese kennenlernen. «Menschen, die eine sehr kritische und ablehnende Haltung gegenüber Asylsuchenden hatten, waren plötzlich begeistert, als sie sich mit ihnen austauschten. Es ist wiederholt vorgekommen, dass Schweizer Flüchtlinge zu sich nach Hause eingeladen haben.» Harlacher fragte diese Schweizer jeweils, ob sich ihre Einstellung geändert habe. «Sie verneinten und erklärten, dass diese Person sicher eine Ausnahme sei. Nur die Person, die sie besser kennengelernt hatten, war für sie akzeptiert. Allen anderen Flüchtlingen gegenüber sind sie abweisend geblieben.»

Crash-Kurs in Schweizer Kultur

Die Vorurteile, die man den Asylsuchenden teils entgegenbringt, dementiert Harlacher entschieden. «Es stimmt keineswegs, dass alle Flüchtlinge kriminell sind und nicht arbeiten wollen. Meine Erfahrung ist, dass sie sich sehr darum bemühen, auf eigenen Beinen zu stehen.» Vielen Schweizern sei nicht bewusst, wie schwierig es für die Flüchtlinge sei, unsere Sprache, Kultur und Gesellschaft innerhalb von wenigen Monaten zu verstehen. «Das, was uns Eltern und Lehrer in 10 bis 15 Jahren beigebracht haben, müssen sie in wenigen Monaten begreifen. Das ist sehr anspruchsvoll.»

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