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Bundesrat erscheint in der Tinner-Affäre als CIA-Gehilfe

Der in der Tinner-Affäre zuständige Untersuchungsrichter Andreas Müller kritisierte gestern den Bundesrat scharf. Dieser habe die Ermittlungen schwer behindert.

Südostschweiz
24.12.10 - 01:00 Uhr

Von Daniela Karst

Bern. – Bei seinen fast vier Jahre dauernden Untersuchungen wegen mutmasslichen Atomschmuggels gegen die Ingenieure Friedrich, Marco und Urs Tinner durfte der zuständige Untersuchungsrichter Andreas Mül-ler nur untersuchen, was vor 2003 geschehen war. Der Grund: Ab dann arbeiteten die Tinners für den amerikanischen Geheimdienst CIA, der mit den Schweizern Insider aus dem Netzwerk des pakistanischen «Vaters der Atombombe», Abdul Qadeer Khan, gewinnen konnte.Dass ein Gericht die illegalen Tätigkeiten des CIA in der Schweiz ans Tageslicht bringen könnte, war offenbar für die USA eine Schreckensvision. Dies schreibt der Atomwaffenexperte und ehemalige UNO-Waffeninspektor David Albright in zwei diese Woche veröffentlichten Berichten zur Affäre.Gemäss Albright übten die Amerikaner massiven Druck auf den Bundesrat aus. Schliesslich durfte die Justiz auf Geheiss des Bundesrats die Spionagearbeit der Tinners für die CIA nicht unter die Lupe nehmen. Dies obwohl es Schweizer Bürgern verboten ist, für andere Staaten zu spionieren. Der Bundesrat darf, sollten die Interessen der Schweiz tangiert sein, eine Spionage-Untersuchung untersagen. Von diesem Recht machte er im August 2007 Gebrauch.

Fast alle Beweismittel vernichtet

Besonders scharf kritisierte Müller, der gestern alleine vor die Medien in Bern getreten war, die bundesrätliche Schredderaktion von Anfang 2008. Auf Druck der USA habe der Bundesrat im November 2007 beschlossen, gemäss Müller 98 Prozent der Beweismittel – vor allem Computerdaten – zu vernichten. Anfang 2008 taten die Schredder ihre Arbeit: Unter anderem wurden Baupläne für Atomwaffen, Gaszentrifugen und Lenkwaffensysteme vernichtet. Diese Dokumente waren bei Hausdurchsuchungen bei den Tinners beschlagnahmt worden.

IAEA widerspricht

Gleichzeitig machte die Tageszeitung «Blick» die Aktion publik und der Bundesrat musste sich rechtfertigen: Die Vernichtung sei aus Sicherheitsgründen erfolgt, hiess es. Zudem verbiete der Atomwaffen-Sperrvertrag der Schweiz den Besitz von Plänen für Atomwaffen. Der Vernichtungsentscheid sei nach Absprache mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) getroffen worden. Die IAEA widerspricht: Man habe dem Bundesrat verschiedene Varianten vorgeschlagen, wie er mit diesen Plänen umgehen solle, sagte gestern eine IAEA-Sprecherin der Nachrichtenagentur SDA. Die Schweizer Regierung habe selbstständig entschieden.Müller kritisierte gestern, der Bundesrat habe «massiv in den Gang der Justiz eingegriffen». Er schloss sich dem Urteil der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments an, das im Januar 2009 die Vernichtungsaktion als unverhältnismässig verurteilte.Die Ermittlungen wurden auch dadurch behindert, dass die Exekutive der Bundeskriminalpolizei (BKP) zunächst befohlen hatte, nicht mit dem Untersuchungsrichter zusammenzuarbeiten. Erst 2009 habe die BKP ihn wieder unterstützen dürfen, sagte Müller. Alle Vertreter der drei Staatsgewalten täten gut daran, sich ab und zu an die Basis der Demokratie – Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit – zu erinnern, mahnte Müller.

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