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Bram Stoker – im Schatten seiner düsteren Schöpfung

Heute jährt sich der Todestag von Bram Stoker, dem Schöpfer von Dracula, zum 100. Mal. Im Gegensatz zum irischen Schriftsteller hat sich sein Vampir-Graf als unsterblich erwiesen – und bis heute nichts von seiner Faszination eingebüsst.

Südostschweiz
20.04.12 - 02:00 Uhr

Von Ralf Sotscheck

Dublin. – Dracula, der finstere Graf aus Transsilvanien, war in Wirklichkeit Ire. Sein Erfinder, der Dubliner Schriftsteller Bram Stoker, der heute vor 100 Jahren gestorben ist, bezog seine Inspiration aus der irischen Geschichte und Mythologie. Die Kelten feierten am 31. Oktober das Fáilte na Marhh, das Fest zur Rückkehr der Toten aus der Anderswelt. Vor allem aus dem Südwesten Irlands, der Grafschaft Kerry, sind viele Vampirgeschichten überliefert. Die Blutsauger sollen auf der «Burg des blutigen Gesichts» gelebt haben. Auf Irisch heisst sie Dún Dreach-Fhoula, was «Drak-óla» ausgesprochen wird.

Besonders bekannt ist die Geschichte von Abhartach, einem grausamen Clan-Chief aus dem 5. Jahrhundert. Seine Untertanen überredeten einen anderen Clan-Chief, Cathán, ihn zu töten. Das tat er auch, doch Abhartach kehrte immer wieder aus dem Grab zurück und dürstete nach Blut. Erst als Cathán beim dritten Versuch ein Holzschwert benutzte, den Leichnam kopfüber inmitten von Dornenzweigen beerdigte und das Grab mit einer riesigen Steinplatte sicherte, herrschte Ruhe.

Mysteriöse Vorfälle am Grab

Das Grab gibt bis heute Rätsel auf. Als der Bauer, dem das Land gehört, es 1997 einebnen und den Dornenbusch beseitigen lassen wollte, versagten zwei nagelneue Kettensägen. Der Traktor, der die Steinplatte heben sollte, setzte sich von alleine in Bewegung und überrollte eine weitere Kettensäge. Die Arbeiter flohen, seitdem hat sich niemand mehr an das Grab herangewagt.

Begonnen mit Theaterkritiken

Stoker, der «Dracula» in der heute zu Rumänien zählenden Region Transsilvanien ansiedelte, selbst aber nie in Osteuropa war, kannte die überlieferten Geschichten von seiner Mutter Charlotte Thornley. Der Schriftsteller wurde am 8. November 1847 im Norden von Dublin geboren. Bis zu seiner Einschulung mit sieben Jahren war er ein kränkliches Kind, erholte sich dann aber. Später studierte er Mathematik am Dubliner Trinity College und bestand sein Examen 1870 mit Auszeichnung. Stoker arbeitete danach als Theaterkritiker für die «Dublin Evening Mail», die Joseph Sheridan Le Fanu gehörte, dem Autor vieler Horrorgeschichten.

Weil Stoker einen überaus freundlichen Artikel über Henry Irvings «Hamlet»-Aufführung geschrieben hatte, lud der ihn zum Essen ein. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft, die dazu führte, dass Irving – einer der bekanntesten Schauspieler jener Zeit – ihn als Geschäftsführer seines Lyceum-Theaters nach London holte. Diesen Posten behielt Stoker 27 Jahre lang. Nebenbei schrieb er seinen Roman «Dracula», der 1897 erschien und eines der erfolgreichsten Bücher aller Zeiten wurde. Durch Irving lernte Stoker nicht nur Schriftsteller wie Walt Whitman und Arthur Conan Doyle kennen, sondern auch die US-Präsidenten William McKinley und Theodore Roosevelt.

Stoker heiratete 1878 Florence Balcombe, eine bekannte Dubliner Schönheit, die zunächst von Stokers Freund Oscar Wilde umworben worden war. Stoker und Balcombe bekamen 1879 einen Sohn, den sie Irving Noel Thornley Stoker tauften. Bram Stoker starb am 20. April 1912 in London, er wurde 64 Jahre alt. Seine Urne wird im Krematorium Golders Green in London aus Angst vor Vandalismus hinter verschlossenen Türen aufbewahrt.

«Nosferatu»-Film eingeklagt

Als zehn Jahre nach Stokers Tod Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm «Nosferatu» erschien, klagte die Witwe dagegen, weil sie weder um Erlaubnis gefragt worden war noch irgendwelche Tantiemen erhalten hatte. Nach jahrelangem Rechtsstreit bekam Balcombe 1925 recht, und sämtliche Filmkopien mussten zerstört werden. Ein paar Kopien dieses Meisterwerks überlebten jedoch.

Ins kollektive Gedächtnis brannte sich Dracula freilich erst mit der Verfilmung von 1931 ein, mit dem Ungar Béla Lugosi in der Hauptrolle. Es folgten zahlreiche weitere Verfilmungen, aber auch Parodien auf den blutsaugenden Grafen; der Roman wurde in mehr als 45 Sprachen übersetzt. Einzig Stoker erlebte nicht mehr, wie sein Dracula unsterblich wurde.

Von Christine Sticht (sda)

Vampirfilme und -serien sind Kult, doch nur wenige Fans kennen den Roman, der den Mythos der Blutsauger begründet hat. Eine neue, ambitionierte Übersetzung von «Dracula» ins Deutsche, die zum 100. Todestag des Autors Bram Stoker erschienen ist, soll dies ändern. «Selbst Fans, die alle Filme kennen, wird das Buch überraschen», verspricht der Übersetzer, der deutsche Schriftsteller Andreas Nohl.

Der neue «Dracula» ist eine Neuinszenierung des 1897 erschienenen Montageromans, der aus Tagebucheinträgen, Briefen und Zeitungsartikeln besteht. Behutsam hat Nohl stilistische Unwuchten herausgearbeitet und den Figuren eigene Stimmen verliehen. Er sichtete sämtliche Literatur über den adligen Untoten, studierte die Original-Ausgabe, wichtige britische Ausgaben sowie sämtliche Übersetzungen ins Deutsche. Vielleicht weil Stoker neben seinem Job als Theaterleiter vor allem nachts geschrieben hatte, fanden sich selbst im Original eine Menge Fehler, etwa falsche Datierungen oder unlogische Handlungsabläufe.

Das Geheimnis von «Draculas» Erfolg liegt für Nohl in der «enormen mythischen Kraft» des Werks. «Die Figuren sind alle moderne Ritter, die Frauen raushauen und die Welt retten wollen. Das ist ein Hauptgrund für den Erfolg», sagt er. Eine weitere deutsche Neuübersetzung ist von Ulrich Bossier erschienen.

Bram Stoker: «Dracula». Übersetzt von Andreas Nohl. Steidl-Verlag. 540 Seiten. 38.40 Franken.

Bram Stoker: «Dracula». Übersetzt von Ulrich Bossier. Reclam-Verlag. 606 Seiten. 33.50 Franken.

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