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«Als Abt ist man oft ein Winkelried»

Mit der morgigen Abtwahl endet die Amtszeit von Daniel Schönbächler als Vorsteher des Klosters Disentis. «Ich merke, dass ich körperlich und mental müde geworden bin», sagt der 70-Jährige. In den Ruhestand geht er trotzdem nicht.

Südostschweiz
18.04.12 - 02:00 Uhr

Von Jano Felice Pajarola

Disentis. – Da sitzt er, der er bald wieder ein Floh sein will, ein Floh im Sack seines Nachfolgers, wie er es einmal formuliert hat im Gespräch mit dem renommierten Reporter Erwin Koch. Hinter ihm an der Wand: ein mächtiges Eisenkreuz seines verstorbenen Künstlerfreunds Silvio Mattioli. Links und rechts: Einbauschränke ohne Ende, die er seit Wochen ausmistet. Vor ihm auf dem Tisch: ein Buch. Und eine alte Ausgabe der Zeitschrift «Disentis», deren Alleinredaktor er auch in den letzten zwölf Jahren geblieben ist. Er blättert darin, schaut sich Bilder an, schmunzelt, liest, es ist das Heft über seine eigene Wahl zum Abt im Dezember des Jahres 2000. Ja, räumt Daniel Schönbächler ein, er habe das Amt nicht gesucht. «Ich bin konsensorientiert, der Häuptling liegt mir nicht.» Aber zu bereuen gebe es nichts, denn «bereuen kann man nur Fehler». Und nicht den Ruf ins Amt.

Anfang Februar hat das Benediktinerkloster Disentis die Medienmitteilung veröffentlicht: Abt Daniel Schönbächler tritt zurück, «aus gesundheitlichen und persönlichen Gründen», am 19. April wird sein Nachfolger gewählt, der 66. Abt des Konvents (siehe Kasten). Doch eine Neuigkeit war das eigentlich nicht. «Ich habe schon bei Amtsantritt gesagt: Mit 70 höre ich auf», betont Schönbächler. Fünf Jahre früher also, als in der Schweiz bei Äbten möglich und üblich, ein Umstand, der ihm letzte Woche in Augsburg, bei der Konferenz der deutschsprachigen Benediktineräbte, mehrmals die Frage eingebracht hat: «Was, du demissionierst schon?»

Vom Fundraising hat er genug

Ja, es gibt Dinge, von denen er einfach genug hat. Das Fundraising zum Beispiel. «Das Kloster muss von einer grösseren Gemeinschaft getragen werden, bei einem Sanierungsbedarf von 40 Millionen Franken geht es nicht allein mit der Arbeit der Mönche», sagt Schönbächler. Vor zehn Jahren, beim Bau des neuen Mädcheninternats mit Architekt Gion A. Caminada, lief die Geldsuche noch gut, mit der neu gegründeten Stiftung Pro Kloster Disentis, seit der Wirtschaftskrise aber geht es nur noch zäh vorwärts. «Fast unmöglich, heute noch Mittel zu bekommen», weiss Schönbächler. «Sowieso liegt mir das Wirtschaftliche und Politische nicht so, ich habe auch nicht unbedingt einen besonders guten Draht zu den Leuten am Schalthebel», findet er selbstkritisch. «Und ich merke, dass ich körperlich und mental müde geworden bin.» Als Abt, meint er, «ist man oft ein Winkelried», man fängt Speerstösse ab, von Amtes wegen.

Der für ihn schlimmste Fall: die im März 2010 bekannt gewordenen Vorwürfe eines ehemaligen Klosterschülers, er sei in den Achtzigerjahren Opfer eines sexuellen Missbrauchs durch ein Mitglied der Klostergemeinschaft geworden. «Die Anschuldigungen haben sich als nicht haltbar erwiesen», konstatiert Schönbächler, «aber aushalten muss man das als Abt dennoch. Eine Zeit lang kamen auf Google zuerst mal vier Links zum Thema Missbrauch, wenn man nach ‘Abt Daniel’ suchte.»

«Ein Durchschnitt der Gesellschaft»

Natürlich, der Abt weiss: Auch im Benediktinerkloster ist nicht alles Gold, was glänzt, «wir sind ein Durchschnitt der Gesellschaft, und fast alles, was es ‘draussen’ gibt, gibt es ‘drinnen’ auch. ‘Wir sind nicht besser’», zitiert er den Titel des Buchs, das vor ihm auf dem Tisch liegt. Eine Tendenz beispielsweise, die er in der ganzen Gesellschaft ortet, ortet er auch in der Klostergemeinschaft: das Davonlaufen. «In der Ehe ist es immer öfter so, und bei uns auch. Vier meiner Mitbrüder sind derzeit exklaustriert, das heisst, sie leben vorübergehend ausserhalb der Klostermauern», suchen eine Antwort auf die Frage, ob sie in Disentis noch am richtigen Ort sind.

Überhaupt: Wie einen Sack Flöhe hüten, nur ohne Sack, so sei seine Aufgabe manchmal, hat der Abt scherzeshalber zu Reporter Koch gesagt. Formuliert er es ernsthaft, greift er zu seinem Wahlspruch: «Unitas in diversitate», «Einheit in Vielfalt», er steht auch eingraviert auf dem Abtskreuz, das er um den Hals trägt. «Im Kloster muss ich einerseits die Einheit der Gemeinschaft ausfächern in die Vielfalt der Mönche und ihrer Talente. Schwieriger ist es aber, die Vielfalt zu fokussieren auf eine Einheit.» Beim Individualismus, der heute herrsche, schaffe man es nur selten, die Gemeinschaft auf einen gemeinsamen Weg zu bringen, sie am gleichen Strick in die gleiche Richtung ziehen zu lassen. «Ich wünsche meinem Nachfolger, dass er besser führen kann als ich. Ich habe mein Bestmögliches gemacht.» Eben, der Häuptling liegt ihm nicht.

Aber hat sich der Mensch Daniel Schönbächler verändert in den knapp zwölf Jahren als Klostervorsteher? Ja, doch, findet der Abt, «ich habe sicher gelernt, ruhiger zu sein, die Dinge mal stehen lassen zu können. An Widerständen wächst man. Und ich bin halt auch ein Dutzend Jahre älter geworden. Da konzentriert man sich mehr auf das, was wichtig ist.» Allerdings: Den eigenen Charakter, davon sei er überzeugt, bekomme man bei der Geburt, «wie ein Handköfferchen, das Gott einem mit auf den Weg gibt. Ändern kann man den Charakter nicht. Nur ein Leben lang lernen, damit umzugehen.»

Nun hat er also seine letzten Stunden als Abt vor sich. Was wird ihm die Zukunft bringen? Die Redaktion des «Disentis» wird er weiter betreuen, auch den Freundeskreis des Klosters, den er aus der Taufe gehoben hat, er wird auch in Zukunft die Abtei repräsentieren, «auch wenn ich persönlich öffentliche Auftritte nicht brauche – das Kloster muss bekannter werden». Vor allem aber will er seiner eigentlichen Arbeit wieder intensiver nachgehen können, «das sind die Seminare für Persönlichkeitsentfaltung, die Einzelgespräche, die psychologisch-spirituellen Begleitungen. Für die Energiearbeit, die Psychokinesiologie, habe ich einfach eine Begabung. Ich möchte sie vereint sehen mit der Seelsorge.»

«Ein neuer Abt ist eine Chance»

Auch an ein Sabbatical denkt er, noch ist nichts konkret, aber wer weiss – vielleicht sei es besser, wenn man den Altabt mal eine Zeit lang in die Wüste schicke, gibt er lachend zu verstehen. «Obwohl ich mich nicht einmischen werde in die Arbeit meines Nachfolgers. Und ein neuer Abt ist immer eine Chance für die ganze Gemeinschaft.» Die Flöhe organisieren sich dann neu. Im Sack mithüpfen wird auch wieder ein Floh namens Daniel.

Von Jano Felice Pajarola

Die Namen sind schnell aufgezählt: Im Kloster Disentis sind es nur sechs Patres, die alle Bedingungen erfüllen, um neuer Abt von Disentis zu werden, nämlich Urban Affentranger, Vigeli Berther, Athanasius Dudli, Pirmin Gnädinger, Bruno Rieder sowie Theo Theiler. Das sind halb so viele wie bei der Wahl von Daniel Schönbächler anno 2000. Die Wählbaren müssen die festliche Profess seit mindestens fünf Jahren haben und zwischen 30 und 70 Jahre alt sein.

Zur Wahl berechtigt sind derzeit 21 Mönche, die sogenannten Kapitularen. Sie sind heute Abend zu einem Vorkapitel geladen, an dem Abtpräses Benno Malfèr – dem Vorsteher der Schweizerischen Benediktinerkongregation obliegt die Leitung der ganzen Wahl – verschiedene Fragen klären wird: Soll ein Abt aus den eigenen Reihen gewählt werden oder ein externer Benediktiner? Soll ein Abt oder nur ein Administrator erkoren werden? Und soll die Wahl auf Lebzeit erfolgen oder temporär?

Erwartet wird, dass sich die Kapitularen für einen Abt aus den eigenen Reihen auf Lebzeit entscheiden.

Gewählt wird ohne Altabt

Am Donnerstag kommt es dann zur Wahl. Der Tag beginnt mit einer Heiliggeist-Messe um 7.30 Uhr, danach folgt ein Fototermin mit dem Altabt und dem ganzen Konvent. Anschliessend begeben sich die Wahlberechtigten – der scheidende Abt zählt jeweils nicht zu ihnen – an den Wahlort, im Fall von Disentis das &dcTwo;Refektorium (Speisesaal). Dort erfolgt in geheimer schriftlicher Wahl die Bestellung des neuen Abts.

Ist die Wahl getroffen, läuten die Glocken der Klosterkirche für zehn Minuten. Der Abtpräses kommt mit dem Nachfolger zum Altabt und stellt den neuen Amtsinhaber vor. Zu dritt ziehen sie dann in die Kirche ein, wo üblicherweise eine grosse Schar Gläubige aus dem Dorf auf den Moment der Verkündung wartet.

Direkte oder indirekte Stimmenwerbung im Vorfeld ist den Wählbaren ebenso untersagt wie die Gruppenbildung. Erlaubt sind nur Zwiegespräche.

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