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Alfred Tanner: «Dabei sind wir es, die jedes Papier retten»

Archivar Alfred Tanner ist entsetzt über die Vorwürfe der Glarner Historiker. Am Beispiel Mitlödi will er zeigen, dass er seine Arbeit so professionell mache, wie kein anderer.

Südostschweiz
04.04.12 - 02:00 Uhr

Von Brigitte Tiefenauer

Mitlödi. – Mit einem kraftvollen Ruck schiebt Alfred Tanner die wuchtigen Archivwände auseinander. Jahrhundertealte Geschichte präsentiert sich in den Regalen unter der gewölbten Decke des Gemeindearchivs in Mitlödi: in Leder gebundene, abgegriffene Wälzer zur Rechten, neuzeitlich anmutende Kartonkisten gegenüber. Alles säuberlich eingeräumt und etikettiert.

Alfred Tanner nimmt einen geschnürten Band aus dem Gestell. Rigoros löst er die Knoten, entbindet 300-jährige, handschriftlich auf brüchigem Pergament notierte Geschichte. Ein «Gemeindebuch» aus dem frühen 18. Jahrhundert.

Seit Jahrzehnten im Geschäft

Seit 33 Jahren ordnet der 68-jährige, ehemalige Gemeindeschreiber Archive. In der deutschen und der rätoromanischen Schweiz, im Fürstentum Liechtenstein und seit einigen Jahren oft im Glarnerland. Im Zug der Gemeindefusion führt er – oft zusammen mit Angestellten – die Glarner Dorfarchive zusammen. Und er werfe dabei mehr weg als es historisch interessierten Glarnern lieb sei, werfen ihm Glarner Historiker vor.

«Dabei sind wir es, die jedes Papier retten», empört sich Tanner. Die Glarner hätten es nicht besser haben können, sagt er und meint damit seine «ausgewiesene Facharbeit zu fairem Preis». Er arbeite minutiös nach Archivgesetz, so Tanner weiter. Dieses verlange eine lückenlose Aufbewahrung aller Protokolle und Verträge, schreibe aber auch vor, gewisse Dokumente nach einer bestimmten Frist wegzuräumen – aus Datenschutzgründen. Auch reiche es, bei bedeutungslosen Seriendokumenten ein Beispiel zu archivieren.

Er sei überzeugt, dass er das richtige Augenmass habe, sagt Tanner und zückt als Beweisstück ein Alphabetbuch aus dem Jahr 1840. «Dieses schöne Buch gehört mir, Joachim Dürst auf Trümpis in Linthal», heisst es auf der Titelseite. Das Sammelwerk biblischer Passagen ist offensichtlich durch viele Hände gegangen. Das Kunstwerk sei ein Zeugnis historischer Schönschreibkunst mit zwar null Informationsgehalt, aber umso grösserem theatralischem Wert, findet Tanner.

Die Kosten für die aufwendige Restauration möchte er dem Steuerzahler wie in vielen anderen Fällen nicht zumuten. Stattdessen hat er einen Faksimiledruck des Alphabetbuches fertigen lassen, und eine seiner Lehrtöchter hat die Texte transkribiert. «Das ist ein Vorzeigeprodukt unserer Archivarbeit», so Tanner.

Futterneid und Inkompetenz

Mehr noch als der offensichtliche «Futterneid der Möchtegern-Historiker» ärgere ihn, dass ausgerechnet diese sich nie einen Deut um eine professionelle Archivierung gekümmert hätten. «Unsägliches» – von der Unordnung an sich über falsche Aufbewahrungsmethoden in muffigen Kellern bis hin zu Originalurkunden als Wandschmuck in Sitzungszimmern – habe er im Glarnerland angetroffen. Längst hätte man zumindest die alten Bestände von vor 1798 filmisch festhalten müssen, moniert der Fachmann.

Sagts und entnimmt einer Archivschachtel ein auf den ersten Blick unscheinbares, gefaltetes Brieflein mit bröckligem Siegel. «An die Vorsteherschaft der ehrsamen Gemeinde Mitlödi» steht darauf. Absender ist die «Kanzlei» der Regierung. Sämtliche Korrespondenzen der alten Gemeinde Mitlödi von 1799 bis 1989 seien im Original bereit für das Endarchiv in Glarus, versichert Tanner. Was jünger als zehn Jahre sei, bleibe in Mitlödi, ebenfalls säuberlich aufbereitet und geordnet zum Nachschlagen bei der täglichen Arbeit in der Gemeinde.

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